Rheinpfalz Hochstapler

Mehr sein wollen, als sie sind, ist ihr Antrieb. Dabei echt zu wirken, ist

ihre Kunst. Nun also Petra Hinz, Bundestagsabgeordnete der SPD und Pseudo-Juristin. Die Empörung ist groß, dabei ist die Dame in der Welt des Scheins ein kleines Licht. Eine Zusammenstellung.

Lebe Ein anderes LebenDer Doppelgänger Angenommen, man wagte einen Zeitsprung ins 16. Jahrhundert und träfe dort einen Mann namens Arnaud du Tilh, um ihm die Verfehlungen der Petra Hinz zu schildern. Er hätte vermutlich verständnislos den Kopf geschüttelt. Und sich verwahrt, als Hochstapler mit der Genossin aus Essen in einen Topf gesteckt zu werden. Petra Hinz hatte ihren Lebenslauf ersponnen und damit andere über ihre Qualifikationen getäuscht. Vermutlich hatte sie sich ganz allmählich in ihr Lügengespinst verstrickt und dann krampfhaft versucht, die Täuschung aufrechtzuerhalten, so wie 2007 der Landauer OB-Kandidat „Dr.“ Kai Schürholt (CDU), der gar einen vorgeschobenen Gehirntumor aus der Fabulierkiste holte, um einen geordneten Rückzug antreten zu können. Arnaud du Tilh aber tat, was einen wahren Hochstapler ausmacht: Er lebte ein komplett anderes Leben. Ein Dorf in den Pyrenäen. Als Martin Guerre 1548 des Diebstahls bezichtigt wird, haut er ab, lässt Frau und Kind zurück. 1556 ist er wieder da. Drei Jahre bleibt alles ruhig. Dann beschuldigt ihn ein Verwandter, gar nicht Martin Guerre zu sein. Es kommt zu einem langen Hin und Her, da taucht Martin Guerre auf – der echte. Der andere, so kommt heraus, heißt Arnaud du Tilh, ein Mann aus einem Dorf in der Nähe, der Martin Guerre ähnlich sieht, die Gelegenheit ergriff und sich als der Verschwundene ausgab. Die Täuschung war so gut, dass selbst Guerres Familie sie glaubte – oder glauben wollte. Über die Motive lässt sich nur spekulieren: Ist es die strenge soziale Ordnung der damaligen Zeit, die es besser erscheinen lässt, einen Fremden als Mann im Haus zu haben als gar keinen? Oder war der Trickser vielleicht sogar die bessere Wahl, so wie bisweilen die Kopie dem Original den Rang abläuft? Arnaud du Tilh jedenfalls schlüpfte in die andere Identität wie in eine zweite Haut. Ein frühmoderner talentierter Mr. Ripley. Hängen musste er dennoch. Aber seine Story ist so gut, dass sie später unter anderem im Hollywood-Streifen „Somersby“ aufgegriffen wurde. Lebe deine TräumeFreund und Helfer „Ich wollte nur helfen“, sagt Danny H., der seit Kurzem in Berlin vor Gericht steht. Die Anklage: Urkundenfälschung, Missbrauch von Titeln, Betrug, sogar gefährliche Körperverletzung, begangen in Danny H.s Lieblingsrolle – als Arzt. Seit 2010 geistert der heute 41-Jährige durchs Gesundheitswesen, dank einer gefälschten Approbationsurkunde brachte es der gelernte Krankenpfleger zum Anästhesisten und Intensivmediziner, er dozierte an der Berliner Charité und wirkte auch mal als Bordarzt auf einem Aida-Kreuzfahrtschiff. Wegen mangelnden Fachwissens fiel H. in dieser Zeit offenbar nicht auf, erst bei einem Dokumentenabgleich der Berliner Ärztekammer. Das erinnert an Thomas Salme. Der schwedische Fotograf wurde 2010 auf dem Amsterdamer Flughafen verhaftet – nachdem er 13 Jahre lang als Flugkapitän Passagiere durch Europa geflogen hatte. Unfallfrei, makellos. Doch ohne Fluglizenz. Seit seinen Kindertagen wollte Salme Pilot werden. Weil es die Finanzen seiner Familie nicht zuließen, eignete er sich sein Wissen im Flugsimulator an und las Fachliteratur. Dann fälschte er seine Lizenz und startete bei Billigfliegern durch. Seine flugfehlerfreie Karriere rechnete ihm ein holländisches Gericht hoch an: Salme bekam eine Geldstrafe und ein einjähriges Flugverbot. Die Fälle Danny H. und Thomas Salme zeigen zweierlei. Erstens: Wer sein Leben umfassend upgraden will, kommt fast nie ohne strafbare Handlungen aus: Urkundenfälschung, Titelmissbrauch, Amtsanmaßung. Zweitens: Wer hochstapelt, ist nicht zwangsweise inkompetent. Es gibt etliche Geschichten über angebliche Mediziner, die zum Teil jahrelang praktizierten, ohne dass ihre Leistungen negativ auffielen. Gerd Postel ist so jemand. Von Haus aus Postbote, fälschte der Bremer 1980 eine Approbationsurkunde und narrte von da ab als Psychiater Behörden und Kliniken – obwohl er zwischenzeitlich mehrmals wegen Urkundenfälschung, Täuschung und Missbrauchs von Titeln vor Gericht stand. 1995 brachte er es gar zum leitenden Oberarzt an einer Fachklinik für Psychiatrie und erstellte forensische Gutachten, Fachkollegen lobten seine aus Worthülsen bestehenden Schriftsätze. 1999 wurde er zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Hochstapler werfen stets auch ein Licht auf die Gesellschaft, aus der sie kommen. Der Schuhmacher Friedrich Wilhelm Voigt konnte 1906 als Hauptmann das Rathaus von Köpenick besetzen, weil unter Willem Zwo beim Erscheinen einer Uniform jegliche eigenständigen Denkprozesse aussetzten. Und Postel behauptete, er habe sich in der Psychiatrie „als Hochstapler unter Hochstaplern gefühlt“, einer titelgläubigen Fachwelt mit Standesdünkel und Hang zur Selbstdarstellung. Der Titel seiner angeblichen Doktorarbeit: „Über die Pseudologia phantastica am literarischen Beispiel der Figur des Felix Krull nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Mann“. Lebe lieber ungewöhnlichDie Vorgaukler Es ist eine perfekte Geschichte: Ein junger Mann bringt sich selbst das Komponieren bei, weil er angeblich die herkömmlichen Methoden der Kompositorik ablehnt, schreibt gefeierte Werke für Videospiele, verliert sein Gehör – und macht weiter, besser denn je. Als „japanischer Beethoven des digitalen Zeitalters“ feiern ihn die Medien, es hagelt Ehrungen und Ehrerbietungen. Nur: Nichts stimmt. Mamoru Samuragochi ist weder taub noch komponiert er selbst. Diese Arbeit erledigt größtenteils sein Ghostwriter, pardon, Ghostkomponist Takashi Niigaki. 2014 fliegt der Schwindel auf: Niigaki hat schlicht genug davon, immer im Schatten zu stehen. Die daraus folgende Regel, dass ein Hochstapler lieber allein arbeiten sollte, beherzigte Adam Barraclough. Man darf getrost vermuten, dass der damals 17-Jährige auch das rheinland-pfälzische Innenministerium um den Finger gewickelt hätte, hätte er bereits im Jahr 2009 von den Verkaufsplänen um den Flughafen Hahn gewusst. Der junge Brite aus York schaffte es, über ein raffiniertes Blendwerk aus gefälschten Internetauftritten, virtuellen Büros und falschen Namen, seinen Gesprächspartnern vorzugaukeln, er baue eine neue Airline auf, die American Global Group. Als deren Chef verhandelte er mit Flughafenmanagern über Flugverbindungen. Unter anderem auf den Kanalinseln Jersey und Guernsey stieß er auf offene Ohren, Fachzeitschriften widmeten ihm Artikel, die seine gebastelte Reputation faktisch untermauerten. Die Sache flog ebenso auf wie der wundersame Karrieresprung von Jean-Philippe-Olivier Gaillard, einem Mechaniker, der 2012 kurzzeitig Direktor des Flughafens im französischen Limoges war. Oder wie der Aufstieg des 56-Jährigen, der 2010 Leiter einer Drogenklinik bei Kleve wurde – er hatte sich als Doktor der Psychologie ausgegeben und seine therapeutische Kompetenz zuvor als Drogenschmuggler, Heroinabhängiger und Patient von Entzugseinrichtungen erworben. Während Samuragochi mit einer Leistung glänzen wollte, die er nicht erbringen konnte, ging es den anderen in erster Linie um gesellschaftliche Weihen. Hochstapler haben ein großes Geltungsbedürfnis. Sie suchen sich Rollen, die aufgrund von Leistung ein hohes Ansehen genießen, beispielsweise Arzt, Jurist und Pilot. Oder sie wählen Positionen, die aufgrund ihres Standes ein gewisses Renommee haben, Adlige etwa, oder Geistliche. Oder Lehrer, wie es jener Südpfälzer Elektriker tat, der von 2008 bis 2011 an einem Landauer Gymnasium Sport und Biologie unterrichtete, ohne Abitur, ohne Studium, aber dank gefälschter Urkunden. Er habe vor seinen Eltern gut dastehen wollen, gab der Mann bei seinem Prozess an. Seine fehlenden fachlichen wie pädagogischen Fähigkeiten fielen zwar auf, zeitigten aber vergleichsweise spät Konsequenzen, weshalb der zuständige Richter davon sprach, das Bildungssystem sei vorgeführt worden. Vielleicht wäre der Mann weniger aufgefallen, hätte er Technik unterrichtet. Hochstapler sind umso erfolgreicher, je mehr Grundwissen sie mitbringen. Umso leichter ist es für sie, ihr Umfeld zu täuschen. Doch ewig ist nichts. Auch Barraclough flog auf, allerdings zuckte die britische Justiz damals nur mit den Schultern. Wer sich als gestandener Geschäftsmann von einem Minderjährigen leimen lässt, dem ist nicht zu helfen, sollte das wohl heißen. Mundus vult decipi, wie der Lateiner sagt: Die Welt will betrogen sein. Nutze die MachtHoch- und Merkwürden Vergangenes Jahr tauchte ein 66-jähriger Mann im Würzburger Domladen auf. Er trug ein weißes Ordensgewand mit Brustkreuz und stellte sich als Odilo Scherer vor, real existierender deutschstämmiger Kardinal aus Brasilien. Papst Franziskus habe ihn geschickt, um das Bistum Limburg zu visitieren, erzählte der Mann weiter, was der Würzburger Kirchenverwaltung Portugiesisch vorkam. Natürlich verbarg sich unter der Soutane kein katholischer Oberhirte, sondern Wolfgang Sch., ein wohnsitzloser Rentner, der den brasilianischen Behörden wegen seines Hangs zum Bekleiden hoher kirchlicher Ämter ebenfalls bekannt ist. Auch als polnischer Erzbischof war der gute Mann unterwegs, der in Bayern auch schon fast fehlerfrei Gottesdienst hielt. Religionsgemeinschaften stehen bei Hochstaplern hoch im Kurs, möglicherweise wegen der ausgeprägten Hierarchien. Vielleicht aber verkünden sie auch nur gern die Frohe Botschaft oder rechnen mit einer leichten Verführbarkeit von Gläubigen, wer weiß. Für Wolfgang Sch. hatte sein Verhalten zwar keine strafrechtlichen Konsequenzen, wohl aber kirchenrechtliche: Er ist mit einem Interdikt belegt, jedwede aktive Rolle bei Gottesdiensten und der Empfang der Kommunion sind ihm untersagt. Systeme mit ausgeprägter Rangordnung bei gleichzeitig weniger ausgeprägter Nachfragekultur sind prädestiniert fürs Hochstapeln, das wusste auch Zhao Xiyong. Zwischen 2011 und 2013 foppte der „stets in einen makellosen schwarzen Anzug gekleidete und wohlgenährte Mann“, so die Personenbeschreibung der chinesischen Polizei, Verwaltungskader in der Provinz, indem er sich als Leiter der Forschungsabteilung des Staatsrates ausgab. Bei seinen Besuchen von Fabriken, Unis und Kommunen hielt er herzerfrischende Reden über die Segnungen des Staates, hernach wurde er selbstredend zum Bankett eingeladen und ließ es sich schmecken. Weniger harmlos war das Wirken von Hohepa Morehu-Barlow, der sich von 2007 bis 2011 als „Prinz von Tahiti“ ausgab, sich damit eine Tätigkeit in der Verwaltung des australischen Bundesstaates Queensland erschlich und in dieser Zeit umgerechnet rund 13 Millionen Euro unterschlug. Das ist dann schon nicht mehr witzig und zeigt sehr deutlich, dass die Grenzen zur schwerwiegenden Straftat fließend sind. Erbschleicher, Heiratsschwindler, Vermögensbetrüger – sie sind gleichfalls oft Hochstapler. Nur mit mehr Geldgier als Gier nach Anerkennung und mit meist mehr krimineller Energie.

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