Rheinpfalz Hier bin ich Mensch

Dass Krankenhäuser die Patienten kränker machen können, das hört man immer wieder. Inzwischen setzt sich auch in der Medizin die Erkenntnis durch, dass die Architektur einen Einfluss hat auf die Genesung der Menschen. Dänemark ist hier führend: Dachgärten, ein Blick ins Grüne, viel Licht und Abwechslung statt monotoner Flure. Doch auch in Deutschland tut sich was. Ein Besuch.

Im Virchow-Klinikum der Berliner Charité Iiegt – nur eine Tür entfernt von der Gegenwart – die Zukunft. Rechts eine Standard-Intensivstation: grauer Linoleum-Boden, ein Raum, groß wie eine Gymnastikhalle, an einer Wand ein Krankenbett. Viele Schläuche, sodass man das Gesicht des Patienten gar nicht erkennen kann. Die kahlen Wände werfen das Blubbern und Zischen des Beatmungsgeräts zurück. Monitore piepsen vor sich hin. Weiße Platten an der Zimmerdecke, in die Tausende Löcher gestanzt sind. Die Tür links dagegen führt in eine andere Welt. Kurz hört man noch den Lärm von draußen, dann schließt sich die Tür und es ist ruhig. Warme Holzoptik: Hinter den beiden Betten ist die Wand mit einem Kunststoff vertäfelt, der wie Nussbaum aussieht. Echtes Holz ist aus hygienischen Gründen nicht möglich. Im Bett schläft eine Patientin um die 60, die mit einem septischen Schock aus einem anderen Krankenhaus hierher verlegt worden ist. Geräte sind nicht zu sehen. Doch auch diese Patientin wird beatmet. In ihrem Hals steckt ein bleistiftdicker Schlauch, der hinter der Wandvertäfelung am Kopfende des Bettes hervorkommt – erst wenn man sich dorthin beugt, hört man das Beatmungsgerät blubbern und zischen. „Wir verstecken die Geräte hier, und die Überwachungsmonitore sind in den Kontrollraum ausgelagert“, erklärt Claudia Spies, Leiterin der Intensivmedizin an der Charité. „Das dämpft die Geräusche und spart uns 20 Dezibel an Lärmpegel.“ Neben ihr steht ein Raumteiler in Weiß, der auch in ein Designhotel passen würde – ein Sichtschutz zum Patienten nebenan. Und über allem leuchtet das Blau des Himmels: Ein LED-Bildschirm hängt in einem Halbkreis über der Patientin bis zur Wand gegenüber, auf die sie blickt, wenn sie wach wird. Der Bildschirm wird mit Wetterdaten gefüttert. Er lässt für die Patientin morgens die Sonne aufgehen, er zaubert über ihr ein Blätterdach, durch das man in den Himmel blickt, und er lässt ab und zu die Wolken durchziehen. „Nur Regen und Gewitter simulieren wir damit nicht“, sagt Claudia Spies und lächelt. „Wir wollen unsere Patienten nicht erschrecken.“ Die Zukunft der Intensivstation ist ihr Projekt, zehn Jahre dauerten die Planungen, seit zwei Jahren läuft der Betrieb. „Der Screen dient dazu, den Patienten eine Orientierung zu geben“, erklärt die Chefärztin. An der Wand hängt eine Uhr mit Zeigern – es ist 14.20 Uhr. „Normale Intensiv-Stationen sind immer hell erleuchtet – die Patienten wissen oft nicht, ob es 2 Uhr in der Nacht oder am Tag ist.“ Die Menschen verlieren jeglichen Rhythmus, sind desorientiert, finden keine Halt. Ein weiteres Problem: Durch das Dauerlicht und den hohen Lärmpegel werden die Ruhephasen empfindlich gestört. „Die Patienten bekommen oft kaum noch REM- und Tiefschlaf und sind deshalb mental total erschöpft“, erzählt die Professorin. Das hat Konsequenzen. Eine Drittel der Intensivpatienten erlebt Delirien – Zustände, in denen Aufmerksamkeitsstörungen und Halluzinationen auftreten. Zwei Drittel der Betroffenen haben danach psychisch Schwierigkeiten. Spies: „Auf einer Intensivstation helfen wir akut und retten möglicherweise ein Menschenleben. Aber wie gut sich ein Patient erholt, ist eine Frage der Selbstheilungskräfte – die sollten wir möglichst wenig stören.“ Dazu gehörten erholsamer Schlaf und Umstände, die nicht die Desorientierung der Patienten verstärken. Deshalb die neue Intensivstation in der Charité. Das Konzept funktioniert offenbar. Erste Erfahrungen zeigen, dass die Patienten besser schlafen und im Durchschnitt weniger Schmerz- und Beruhigungsmittel benötigen. Claudia Spies ist sich sicher, dass ihre Modelleinrichtung die negativen Langzeitfolgen von Krankenhausaufenthalten mildern kann. Die Untersuchungen dazu laufen. Wenige Kilometer entfernt, an der Technischen Universität (TU) Berlin, versucht man ganze Kliniken so zu konstruieren, dass sie die Heilungsprozesse fördern. Hier gibt es den einzigen Lehrstuhl für das „Entwerfen von Krankenhäusern und Bauten des Gesundheitswesens“ in Deutschland. Im Konferenzraum im fünften Stock hängen noch die Zettel vom letzten Brainstorming der wissenschaftlichen Mitarbeiter, Schlagworte wie Hygiene, Umweltfaktoren, Workflow finden sich da. Darauf sollen angehende Architekten bei der Planung von Krankenhäusern unter anderem achten – und auf die Bedürfnisse von Personal und Patient. Stefanie Matthys, die am Fachbereich und im Planungsbüro der Lehrstuhlinhaberin Christine Nickl-Weller arbeitet, nimmt einen Bildband heraus, um das zu verdeutlichen. Sie schlägt eine Seite auf mit einem Gebäude, das mit seinen bunten Jalousien freundlich neben einem Gründerzeithaus steht – das Kinderkrankenhaus in Innsbruck. „Hier reichen die Fenster bis zum Boden“, sagt Stefanie Matthys. „Das Haus wurde für Kinder gebaut, deshalb sollen nicht nur die Erwachsenen, sondern besonders sie rausgucken können.“ Eine weitere Klinik, die nach den Grundprinzipien der heilenden Architektur entwickelt wurde, entsteht in Kopenhagen. Das Rigshospitalet ist eins der größten Krankenhäuser Dänemarks – es muss auf kleinem Raum erweitert werden um einen Neubau. Der Entwurf dazu wurde auf dem Welt-Architektur-Festival 2012 als bestes Zukunftsprojekt in der Kategorie Gesundheit ausgezeichnet. Wie hingeworfene Bauklötze wirken die Gebäudeteile. Doch dahinter steckt Methode: Immer zwei nebeneinander liegende Blöcke sind V-förmig gegeneinander angeordnet. So kann man von jedem Zimmer aus nicht nur das gegenüberliegende Gebäude sehen, sondern auch in den Park nebenan schauen. Auf den Dächern entstehen kleine Grünanlagen, in denen sich die Patienten aufhalten dürfen und in die man auch von den Zimmern aus spähen kann. Dass der Blick nach draußen Einfluss auf die Gesundwerdung hat, konnte eine Studie schon 1984 im Fachmagazin „Science“ belegen. Damals fand Roger Ulrich von der Texas A&M University heraus, dass Patienten, deren Fenster ins Grüne hinausgingen, weniger Schmerzmittel brauchten und schneller aus dem Krankenhaus entlassen wurden als Patienten, die auf eine Wand starrten. Heute versuchen Krankenhausplaner nicht nur diesen, sondern auch andere Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. In den 1970er Jahren baute man Kliniken, in denen Stockwerke und Flure nahezu identisch waren. „Diese Monotonie macht den Patienten im Krankenhaus orientierungslos“, sagt die Berliner TU-Architektin Matthys. „Das verursacht Stress und verlangsamt die Genesung.“ Das dänische Rigshospitalet soll deshalb anders sein: Flure öffnen sich zu lichtdurchfluteten Galerien, die unterschiedlich gestaltet sind. Kleine Wendeltreppen schwingen sich in die oberen Stockwerke. Auf Aufzüge wird weitgehend verzichtet. Auch das gehört zum Konzept: Die Patienten, die gehen können, in Bewegung halten. 40 Kilometer nördlich von Kopenhagen in Hillerød entsteht ein weiteres Groß-Krankenhaus, das Nyt Hospital. Dänemark ist im Moment das Dorado des modernen Klinikbaus. Das Land setzt mittlerweile auf größere Krankenhäuser – allerdings sollen keine 70er-Jahre-Klötze entstehen. Das Nyt Hospital wird im Grünen stehen, ein Ensemble aus zweistöckigen Häusern mit Balkonen. Das Ganze hat etwas von einer schönen Feriensiedlung. Es gibt nur Einzelzimmer, aus Gründen der Hygiene und um die Privatsphäre zu wahren. Ist die schöne neue Krankenhauswelt überhaupt bezahlbar, wo doch die Kosten im Gesundheitssystem immer weiter steigen? Womöglich schon. Das gemeinnützige Institute for Healthcare Improvement in Cambridge, Massachusetts, zumindest hat schon mal durchgerechnet, was ein Krankenhaus kosten würde, in dem alle Patienten Einzelzimmer haben, die Geräusche gedämpft sind und in dem auf die Luftqualität geachtet wird. Die amerikanischen Forscher kalkulierten einmalige Mehrkosten von 8,36 Prozent des US-Krankenhausetats. Doch ein Drittel würde pro Jahr eingespart, zum Beispiel durch weniger Infektionen, geringeren Arzneimittelverbrauch und sinkendem Sturzrisiko. Bereits nach drei Jahren hätte sich die Investition rentiert, meinen die Macher der Studie. „Nach drei Jahren übersteigen die Betriebskosten eines Krankenhauses bereits dessen Baukosten“, bekräftigt die Berliner TU-Professorin Christine Nickl-Weller. „Wenn man bedenkt, dass gute Architektur zudem Liegezeiten verringert, ist sie auch wirtschaftlich sinnvoll.“ Claudia Spies von der Charité ist von den neuen Konzepten überzeugt. „Wenn man bei einem Neubau eine Intensivstation so plant wie unsere Modellstation, dann kostet sie nicht mehr als eine normale Intensivstation“, betont sie. „Und die Folgekosten durch Arbeitsausfälle oder nochmalige Klinikaufenthalte, die man durch solche Architektur einsparen könnte, wären enorm.“ Es ist Abend geworden an der Virchow-Klinik. Die 60-Jährige auf der Vorzeigestation ist aufgewacht. Sie wischt mit dem Finger über einen Tabletcomputer. Auf dem Bildschirm an der Decke bewegt sich dadurch ein Lichtfleck, der wie ein Insekt aussieht. „Es ist wichtig für die Patienten, Kontrolle über etwas zu haben und das Gehirn durch diese Übungen zu trainieren“, erklärt Claudia Spies. Auf der normalen Intensivstation nebenan können sie nur auf die Löcher in der Decke starren. „Wie viele Patienten haben mir schon gesagt, dass sie Tausende Löcher gezählt haben – da wird man doch verrückt“, meint Spies. Dann verändert sich das Licht, es leuchtet warm und orange. Der Bildschirm an der Decke lässt die Sonne untergehen im Zimmer.

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