Rheinpfalz Golden Ei

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Er sieht ein bisschen aus wie James Bonds ehemaliger Tüftler „Q“ und auch sonst teilt Manfred Wild einiges mit dem britischen Agenten-Ausstatter: Der Idar-Obersteiner entwirft Kreationen aus Gold und Edelstein, die nicht nur die Fachwelt staunen lassen. Sogar die Queen hat ein Exemplar. Mindestens. Denn ein Ei ist nicht genug. Von Martin Schmitt

James Bond, dem Mann vom Geheimdienst Ihrer Majestät, wäre die Sache verdächtig vorgekommen: Im März tauchte ein lange verloren geglaubtes Kunstwerk wieder auf, das „dritte Imperiale Ei“ aus den Werkstätten Carl Peter Fabergés, des Goldschmieds des Zaren. Die Herrscher beschenkten mit dessen erlesenem Ei-Zierrat zwischen 1885 und 1917 alljährlich zu Ostern Mutter und Gemahlin – gewissermaßen Liebesgrüße aus St. Petersburg. In den Wirren der Russischen Revolution gingen etliche der Prunk-Ovale verloren – „und dann steht ein Fabergé-Ei auf einem Tisch im Mittleren Westen der USA “, sagt Manfred Wild mit Skepsis in der Stimme. „Auf einem Trödelmarkt!“ Stimme und Skepsis werden lauter. „Mit einem Preisschild für 13.000 Dollar?“ Manfred Wild rollt nun auch mit den Augen. Man spürt es förmlich: Wäre der Edelsteinspezialist aus einem Dorf bei Idar-Oberstein nicht schon 70 Jahre alt, er hätte längst sein Agentenköfferchen gepackt, um Licht ins Dunkel zu bringen. „Das Ei ist nicht echt“, ist Wild überzeugt, und in seiner Stimme liegt kein Quantum Trost für den Mann mit dem goldenen Ei, der bald aus allen Wolken fallen könnte, auch wenn das Kleinod bisher als echt gilt. Doch Manfred Wild weiß, wovon er spricht. Der Edelsteinkünstler ist in Fachkreisen hoch angesehen, er war Kurator des Deutschen Edelsteinmuseums und ist Mitglied in dessen Vorstand. Und Wild ist ein Kenner von Fabergés Arbeit. Der einstige Hoflieferant der Zaren hat den Idar-Obersteiner zu dessen eigenen Ei-Kreationen inspiriert, die weltweit in Sammlungen und Museen stehen, bei der Queen, bei orientalischen Herrscherhäusern, amerikanischen Promis oder zentralasiatischen Staatschefs. Idar-Oberstein sei, trotz wachsender asiatischer Konkurrenz, bei den Spitzenprodukten immer noch führend, sagt Wild mit handwerklichem Stolz. „Oft weiß ich gar nicht, wer meine Objekte kauft, und die Kunden wissen nicht, dass die Sachen von mir sind. Aber das ist in Ordnung“, meint er schulterzuckend. In der Tat arbeitet Wild meist im Auftrag großer Juweliere in London und Paris. Bei denen kaufen Adel und Geldadel, er selbst empfängt nur selten Privatkunden. Wenn dann doch mal einer kommt, gelandet mit dem Privatjet auf dem Flughafen Hahn und mit der Limousine herumkutschiert, ist dieser zunächst wahrscheinlich irritiert: Wilds Anwesen ist bescheiden, der Schreibtisch voller Zeichnungen, Steine und Krimskrams, die Büroausstattung – alles wirkt ein bisschen, als sei die Zeit schon länger stehen geblieben. Doch dann öffnet sich – ganz wie bei Bond – eine Tür, und man steht mitten drin im Gefunkel und Geglitzer von Wilds fantastischer, Ei-lastiger Edelsteinwelt. Zugegeben: Es sind Motive für ein zumeist „gesetzteres“ Publikum, wie der Meister selbst sagt. Überwältigend sind sie allemal. Eier mit hauchdünnen Bergkristallschalen, die sich öffnen lassen und im Inneren filigrane Blumengebinde aus Gold, Turmalin und Amethyst offenbaren. Tiere aus Citrin und Perlen. Herze und Buddhas aus Rubinen und Opalen. Verspielt. Schwelgerisch. Detailgenau. Hier die Nachbildung einer Jagdflinte: schussfähig mit winzigen Platzpatronen. Dort eine Klarinette aus Bergkristall: bespielbar. Zwischendrin eine goldene Scheibe mit ebensolchen Kreiseln, die sich, perfekt austariert, minutenlang drehen. „Q“ hätte die Miniaturen nicht besser hinbekommen. Doch was heißt Miniaturen. Manche von Wilds Kreationen übersteigen jedes Osterei-Maß. Bis zu 70 Zentimeter hoch ist das größte Objekt, knapp 26 Kilo wiegt das schwerste. Bis zu 4000 Arbeitsstunden stecken in den zierlichen Strukturen. So viel kostbares Eigold hat seinen Preis, der auch mal eine halbe Million Euro erreichen kann. Auric Goldfinger würde strahlen. Dabei ist Manfred Wild weder Edelsteinschleifer noch Kunstschmied, weder Graveur noch Emailleur, auch wenn die Verarbeitung edler Steine in seiner Familie und in der seiner Frau durchgehend mindestens bis ins Jahr 1630 zurückreicht. Einer seiner Großväter schürfte um 1900 in Brasilien nach dem kostbaren Rohstoff für das heimische Edelsteingewerbe. „Eigentlich bin ich gelernter Edelsteinkaufmann“, sagt Wild. Das ist der erste Schlüssel seines Erfolges: Der Hunsrücker weiß, wo er das Rohmaterial, und sei es noch so selten, herbekommt. Der zweite Schlüssel: Fantasie. Schon als Kind sah er in den Formen der Natur alles Mögliche. Heute entdeckt er auch in Steinen, die andere vielleicht als mangelhaft aussortieren würden, Formen und entwickelt daraus Geschichten: Einschlüsse in einem Bergkristall beispielsweise erschienen ihm wie sanfte Wellen. Er setzte darauf kunstvolle Enten – fertig war die Ufer-Szene. Mit dem Diamantenfieber kann Wild nichts anfangen: „Einschlüsse verleihen einem Stein doch erst einen einzigartigen Charakter. Was ist dagegen ein lupenreiner Diamant?“ Für ihn ist die Herausforderung, was aus den Maserungen eines Achats, aus den Einschlüssen in einem Bergkristall herauszuholen ist. Dazu arbeitet er mit einem kleinen Team regionaler Spezialisten zusammen. „Ich bin wie ein Dirigent: Habe ich eine Melodie im Kopf, schreibe ich sie auf, dann stelle ich mir mein Orchester zusammen.“ Jedes Mitglied sei dabei an seinem jeweiligen Instrument viel besser als er, sagt Wild. „Aber ich weiß, was auf jedem Instrument machbar ist, und kann jedem sagen, was er falsch macht.“ Und ein bisschen verrückt, nun ja, „das bin ich auch“. Derzeit bastelt Wild an einem „London-Ei“, den Sockel der Nelson-Statue auf dem Trafalgar Square will er mit der Kuppel der St. Paul’s Cathedral und den Löwen des Buckingham Palace verbinden. Ob James Bond das gefallen hätte, wer weiß?

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