Rheinpfalz „Es gibt noch andere Themen als Migration“
«Kusel». Die Grünen sind aktuell auf dem Weg, zweitstärkste politische Kraft in Deutschland zu werden. Können Sie angesichts ihrer Beliebtheit überhaupt noch laufen vor lauter Kraft? Unter anderem darüber haben wir mit Andreas Hartenfels gesprochen, dem Landtagsabgeordneten aus Nanzdietschweiler.
(lacht) Ganz gut. Wobei der Begriff Volkspartei durch die Entwicklung der vergangenen Jahre nicht mehr so gebräuchlich ist. Dafür hat sich das Wählerverhalten zu sehr geändert. Als ich in die Politik gegangen bin, gab es noch eine starke Parteibindung der Wähler. Heute sind die Wähler anspruchsvoller und flexibler in ihren Wahlentscheidungen geworden. Daher ist es wichtig, die Themen zu treffen, die die Wähler wirklich bewegen. Wahlergebnisse und Prognosen deuten darauf hin, dass Ihre Partei das im Moment besser schafft als CDU und SPD... Die Menschen merken, dass wir uns seit Jahren um Themen kümmern, die ihnen immer wichtiger werden. Beispiel Diesel-Skandal. Durch die Versäumnisse der Politik drohen nun Fahrverbote in Städten. Also schauen sich die Menschen dieses Thema an und sagen: Hoppla, da sind die Grünen ja schon lange dran. Also wenden sie sich uns zu – auch weil sie wissen, dass wir uns nicht von der Autoindustrie am Nasenring durch die Manege führen lassen. Sind die Grünen die Protestpartei für die Besserverdienenden und die Intellektuellen geworden? Muss man es sich leisten können, grün zu wählen? Sie meinen ökonomisch? Nein, sicher nicht. Wir erarbeiten Konzepte für gesellschaftliche Fragen, die alle Menschen betreffen. Das fängt bei einer nachhaltigen Finanzpolitik an, kämpft für soziale Gerechtigkeit und reicht bis zum schonenden Umgang mit Ressourcen. Sie sind die einzige Partei gewesen, die sich zuletzt nicht vom Thema Flüchtlinge hat treiben lassen. Das stimmt. Natürlich ist das Thema Migration wichtig. Aber es hat für die Menschen nicht diese Bedeutung, die die großen Parteien zuletzt diesem Thema gegeben haben. Es gibt noch andere Themen. Und wenn ein Bundesinnenminister (Horst Seehofer – Anmerkung der Redaktion) so einen unsinnigen Satz sagt wie: Die Migration ist die Mutter aller Probleme, dann hat er sich selbst diskreditiert, weil das nicht nur inhuman ist, sondern auch noch all die Chancen außer Acht lässt, die Migration unserer Gesellschaft bietet. Da fragen sich immer mehr Menschen: Wo ist hier die Humanität geblieben? Wird dieser Wert hier einfach in die Tonne getreten? Sie werden damit für neue Wählerschichten interessant? Ja, viele Menschen, denen humane Werte wichtig sind, stellen dann fest, dass wir diese Werte weiterhin vertreten, die andere über Bord geworfen haben. Das macht uns auch für Wertkonservative interessant. Sie gewinnen aber auch bei den Nichtwählern... Ja, wir haben zuletzt sehr viele Nichtwähler für uns gewonnen. Das hat ganz verschiedene Gründe. Zum Beispiel sehen immer mehr Leute, was da in anderen Ländern passiert – Stichwort Erdogan – und wie sehr das der Demokratie schadet. Auch bei uns gibt es Strömungen, die die Demokratie gefährden. Also gehen diese Menschen zur Wahl, weil sie die Demokratie stärken wollen und weil sie in uns dafür einen Garanten sehen, der sich um die Kernthemen kümmert. Die Grünen scheinen zu gewinnen, seit es mit der Jamaika-Koalition auf Bundesebene nicht geklappt hat. Die ist nicht an uns gescheitert. Die Jamaika-Verhandlungen haben aber den Wählern gezeigt, dass wir ernsthaft verhandeln, dass wir zu unseren Kernthemen stehen, aber auch kompromissbereit sind. Das hat uns sicherlich gestärkt. Wie hoch kann denn der Höhenflug der Grünen noch gehen? (lacht) Ich glaube, das können wir nur bedingt beeinflussen. Das hängt in erster Linie davon ab, was SPD und Union weiterhin machen. Wenn vor allem deren Parteispitzen weiterhin so katastrophal agieren wie zuletzt, dann sind dem Höhenflug keine Grenzen gesetzt. Sie müssen doch augenblicklich angesichts dieser Entwicklung eine ganz breite Brust in Mainz haben. Kommen Sie noch durch die Tür? Ja, kommen wir. Wir sind sehr bodenständig, wir haben eine gute Koalition in Mainz und wir haben einen Koalitionsvertrag für die gesamte Legislaturperiode, der das Miteinander regelt. Wir werden jetzt nicht übermütig. | Interview: Wolfgang Pfeiffer