Kultur Südpfalz Erhellende Bezüge von Einst und Jetzt

Der Blick zurück hilft, die Gegenwart zu verstehen. Das Karlsruher Staatstheater stellt den blutigen, rechten Terror der „Zwickauer Zelle“, wie er sich vor wenigen Jahren in den Morden des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) ausdrückte, vor die Folie des demagogischen Nazi-Stückes „Schlageter“ von 1933: „Rechtsmaterial“ zeigt sinnfällig ein Muster auf.

Seit mehr als hundert Sitzungstagen steht Beate Zschäpe in München vor Gericht. Nur mühsam kommt der Prozess voran und macht ganz nebenbei den beklemmenden Leichtsinn deutlich, mit welchem die deutschen Behörden bei der Verfolgung des NSU-Terrors dessen rechtsradikalen Hintergrund ignoriert haben. Kein Wunder, dass mehrere Theater von Berlin und Potsdam bis Frankfurt und Köln sich dieses Themas angenommen haben, verweist doch die Geschichte dieser Terrorzelle und der Umgang mit ihr über die juristische Dimension hinaus auch auf Besorgnis erregende, aktuelle gesellschaftliche Komponenten. In Karlsruhe haben Jan-Christoph Gockel (Regie) und Konstantin Küspert (Dramaturgie) einen durchaus originellen Weg gewählt, sich ihrem komplexen Gegenstand zu nähern: Sie betten die Vorstellungen und Taten der drei Terroristen ein in das Geschehen, wie es der NS-Dramatiker Hanns Johst in seinem ausdrücklich „Adolf Hitler in liebender Verehrung“ zugeeigneten Propaganda-Stück „Schlageter“ entwirft, das 1933 zu Hitlers Geburtstag uraufgeführt und in über 100 deutschen Theatern nachgespielt wurde – auch in Karlsruhe, wo das Werk nur zwei Tage nach der Uraufführung auf die Bühne kam. Johst beschreibt in seinem demagogischen Drama, das im Jahre 1923 spielt und auf historische Vorgänge zurückgreift, den Weg des jungen Weltkriegsveteranen Leo Schlageter, der sich in der neuen Welt der Weimarer Republik nicht zurechtfindet, als zunehmend fanatisierter Freischärler im französisch besetzten Rheinland Terroranschläge verübt und von den Franzosen hingerichtet wird. Das Stück stellt ihn als Kämpfer für die „nationale Sache“ hin, dessen Tod dann von den Nazis auf ihrer Suche nach einem frühen „Helden der Bewegung“ zum Fanal für das Dritte Reich umgedeutet wurde. Die Karlsruher Aufführung spielt das Werk in großen Auszügen nach, aber mehr und mehr wird der Text durchsetzt mit entlarvenden Szenen, Zitaten, Film- und Textpassagen, in denen das Zwickauer Trio immer stärker in den blutigen Sog rechtsradikaler Agitation gerät und schließlich mit eisiger Selbstverständlichkeit zu jener Mordserie aufbricht, der am Ende zehn Menschen zum Opfer fallen. Es ist diese suggestive Parallelisierung des Einst und Jetzt, der das Projekt „Rechtsmaterial“ seine stärksten Impulse verdankt. Freilich nicht so sehr, weil die Geschehnisse um Johst-Schlageter und den NSU durchweg so schlagend ähnlich wären. Schon sprachlich klaffen die beiden Ebenen weit auseinander – ein literarisch überhöhtes, stark expressionistisch getöntes Nationalpathos des Dramas steht dem rebellischen, menschenverachtenden Jargon des authentisch gezeichneten Terror-Trios gegenüber, wobei die sehr unterschiedlichen Erzählebenen sich nicht selten gegenseitig kontrastiv überlappen und entwerten. In erster Linie macht sich die Aufführung durch den plakativen Längsschnitt verdient, der das mörderische Treiben des NSU in ein Kontinuum rechtsradikaler Gewalt rückt. Weil diese durchaus einleuchtende und produktive Struktur dem Gespann von Regisseur und Dramaturg/Autor aber nicht genügt, reichert die Inszenierung die beiden Spiel-Sphären mit einer so stolz wie aufdringlich ausgebreiteten Überfülle von ergänzendem, erhellendem, illustrierendem und kommentierendem Beiwerk an, in dem nicht nur die zentrale These des Abends unterzugehen droht, sondern das überdies die drei nachdrücklich und kompetent agierenden Hauptdarsteller an tieferer Ausgestaltung ihrer Rollen hindert: Matthias Lamp, der den Schlageter (und Mundlos) mit nachdenklichen Zügen ausstattet, Thomas Halle, der als Schlageter-Kumpan Thiemann (und Böhnhardt) das Moment eifernder Emphase einbringt, und Sophie Löffler, die als Thiemann-Schwester Alexandra (und Zschäpe) zwei sehr gegensätzliche Figuren umsichtig verschränkt. Gewiss, die zusätzlichen Funde, die das Ensemble in kollektiver Entwicklung in das Stück eintrug, sind in sich zumeist durchaus wertvoll und aussagekräftig. Und doch wäre weniger mehr gewesen. Der gut zweistündige Abend hat vermeidbare Längen. Die Ernsthaftigkeit seines Anliegens gewinnt überdies nicht durch die Neigung der Regie, das Gezeigte durch Elemente von Parodie und Karikatur vor allem in den Nebenfiguren „aufzulockern“ – und doch auch gleich insgesamt zu veralbern. Mit „Rechtsmaterial“ ist dem Karlsruher Ensemble eine allemal anregende, aufschlussreiche Produktion gelungen, deren Stärke jedoch weniger in ihrer szenischen Qualität und theatralen Aufbereitung als vielmehr in ihrem dokumentarischen Ansatz liegt. (rkr)

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