Rheinpfalz „Er suchte die Freiheit und fand den Tod“

Der Kurt-Albrecht-Platz erinnert in Rodenbach an den 17-jährigen Wehrmachts-Deserteur, der kurz vor Kriegsende hingerichtet wurd
Der Kurt-Albrecht-Platz erinnert in Rodenbach an den 17-jährigen Wehrmachts-Deserteur, der kurz vor Kriegsende hingerichtet wurde.

Der Name Kurt Albrecht dürfte nicht allzu vielen Menschen geläufig sein – es sei denn, sie kommen aus Rodenbach oder der niedersächsischen Stadt Osterholz-Scharmbeck. In beiden Orten wird an Kurt Albrecht erinnert, weil er noch unmittelbar vor Kriegsende als Deserteur hingerichtet wurde. Der Rodenbacher Kurt-Albrecht-Platz erhielt im Oktober 2008 seinen Namen.

Trotz der allgemeinen Rehabilitierung von NS-Opfern war die Behandlung von Deserteuren lange Zeit umstritten. Bis in die 1980er Jahre hinein hielten große Teile der Bevölkerung die Bestrafung für angemessen. Erst allmählich setzte sich ein Verständnis für die unerlaubte Entfernung von der Truppe im Angesicht des Kriegsendes durch. So erklärte der Historiker und Hitler-Biograf Volker Ullrich: „Jeder Soldat, der sich – aus welchen Gründen auch immer – im Zweiten Weltkrieg den Streitkräften Hitlers entzog, verdient unseren Respekt.“ Historiker schätzen, dass deutsche Feldgerichte während des Kriegs etwa 35.000 Fahnenflüchtige aburteilten. Im Buch „Wehrmachts-Justiz im Dienste des Nationalsozialismus“ beziffern Manfred Messerschmidt und Fritz Wüllner die Anzahl der Todesurteile auf 22.750, von denen 15.000 vollstreckt wurden. Eins der Opfer: Kurt Albrecht, Arbeiterkind aus Rodenbach, 17 Jahre alt. Nach einer Kaufmannslehre wurde er im Sommer 1944 zum Kriegsdienst bei der Marine eingezogen. Zuletzt war er als Melder im Marine-Grenadierregiment Nr. 5 zur Front abkommandiert. Unmittelbar vor Kriegsende setzte er sich im April 1945 bei Rotenburg an der Wümme von der Truppe ab, besorgte sich auf einem Bauernhof Zivilkleidung und trat die Flucht mit dem Fahrrad an. Der Halbwüchsige wollte heim in die Pfalz, zu den Eltern nach Rodenbach. „Der junge Marinesoldat“, so schrieb 2003 der Journalist Lutz Rode, „war kein Widerstandskämpfer oder hatte politische Motive, die ihn zum Deserteur werden ließen.“ Er wollte einfach kein Soldat mehr sein und zurück nach Hause. Doch es kam anders, schrecklicher. Bereits am ersten Tag nach seiner Flucht fiel er einem Offizier auf, der ihn sofort festnehmen ließ. Erneut brannte Kurt Albrecht durch, diesmal zurück in Richtung Gefechtsstation, jedoch ohne Erfolg. Am 28. April trat ein Feldgericht der 2. Marine-Infanteriedivision in einem Privathaus in Buschhausen – einem Ortsteil von Osterholz-Scharmbeck – zusammen. Gemeinsam mit zwei weiteren Richtern gehörte ihm der Marineoberstabsrichter Kurt Göller an. Das dreiköpfige Gremium verurteilte den 17-jährigen Pfälzer zum Tod wegen „Fahnenflucht im Felde“ und erkannte ihm zudem die bürgerlichen Ehrenrechte ab. Er sei, so die Begründung, „nicht unüberlegt, sondern äußerst raffiniert vorgegangen“. Die Strafe sei „auch im Interesse der Aufrechterhaltung der Manneszucht geboten“. Vergeblich bat Kurt Albrecht um ein milderes Urteil. Noch am Abend des 28. April wurde der Jugendliche auf den Schützenplatz von Osterholz-Scharmbeck gebracht, an einen Pfahl gebunden und von einem aus zehn Marinesoldaten bestehenden Kommando erschossen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Rote Armee bereits den Stadtkern von Berlin erreicht, während britische Truppen in Bremen einmarschierten. Das Oberkommando der Wehrmacht gab die Parole aus, dass der Raum zwischen Bremen und Bremerhaven verteidigt werden solle und Osterholz-Scharmbeck in der Hauptkampflinie liege. Am 1. Mai – dem Tag, an dem Kurt Albrecht ohne kirchliche Zeremonie auf dem Scharmbecker Friedhof begraben wurde – meldete der Rundfunk den Tod Adolf Hitlers. Die danach eingesetzte Regierung um Großadmiral Karl Dönitz erklärte eine Woche später die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reichs. Es waren Gleichaltrige, die sechs Jahrzehnte später das tragische Schicksal des jungen Rodenbachers aufarbeiteten und bundesweit bekannt machten. 2005 recherchierte der Geschichts-Grundkurs der Berufsbildenden Schule Osterholz-Scharmbeck den Fall Albrecht. Die Zwölftklässler veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Spurensuche nicht nur im Buch „Stationen der Geschichte in Osterholz-Scharmbeck“, sondern überzeugten sogar den Stadtrat, einen Fußweg nach dem Rodenbacher zu benennen. In Rodenbach erinnert – nicht zuletzt auf Initiative des Regionalhistorikers Gerold Scheuermann – seit 2008 der Kurt-Albrecht-Platz an den Sohn der Gemeinde. Dort wurden auch eine Skulptur aufgestellt und eine Inschriften-Tafel angebracht, auf der steht: „Er suchte die Freiheit und fand den Tod“.

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