Eisenberg Die neue Sexiness der Grünen

Können ihre Popularität kaum fassen: Robert Habeck (links) und Anton Hofreiter, Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion.
Können ihre Popularität kaum fassen: Robert Habeck (links) und Anton Hofreiter, Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion.

Keine Frage: Die Zeiten, in denen man Wähler der Grünen an ihren Jesuslatschen, Wollpullovern, Latzhosen und Jutesäckchen erkennen konnte, sind längst Geschichte. Spätestens seit Joschka Fischer als Außenminister Ende der neunziger Jahre seine Sneakers gegen feine Bally-Schuhe und seine T-Shirts gegen edle Cerutti-Anzüge eingetauscht hat. Wahrscheinlich war der Latzhosen-Sponti sogar schon zu Beginn des Jahrzehnts mehr Klischee denn Wirklichkeit. Dennoch ist es zweifellos so, dass man gewisse Haltungen, gewisse Attitüden eines Menschen schon anhand seines optischen Auftritts erahnen kann. Wer jemals über einen Uni-Campus gelaufen ist, wird ziemlich schnell mit großer Treffsicherheit den angehenden Sozialwissenschaftler vom BWL-Studenten unterschieden haben können. Und so sticht Stephan an diesem Freitagabend in der Eisenberger Jahnstube heraus. Es ist Ende Januar, die Kreis-Grünen haben sich hier im Nebenzimmer gerade zu einem Offenen Treffen versammelt, und Stephan hat sich einfach mal unters Volk gemischt. Zwar trägt an diesem Abend niemand Jesuslatschen und Jutesäckchen, aber dennoch wirkt der 48-Jährige sozusagen wie der BWLer unter den Sozialwissenschaftlern. Dabei ist er in Wirklichkeit Pädagoge. Aber einer, der Zeit seines Lebens eher andere Parteien aus dem demokratischen Spektrum gewählt hat. „Ich habe mich schon so ein bisschen von der Euphorie, von dem Hype um die Partei anstecken lassen“, gibt Stephan im Gespräch mit der RHEINPFALZ zu. Seit das junge und dynamische Führungs-Duo Annalena Baerbock und Robert Habeck bei den Bundes-Grünen das Zepter schwingt, hat die Partei an Attraktivität gewonnen – und eine Magnetwirkung auf Menschen wie Stephan entwickelt. Stephan ist tatsächlich kein Einzelfall. Die Grünen boomen, das lässt sich anhand von Zahlen belegen. Die Partei hat 2018 so viele neue Mitglieder hinzugewonnen wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte: Über 10.246 Eintritte konnte sie sich im vergangenen Jahr freuen, insgesamt zählt sie nun 75.311 Mitglieder, berichtete der Bundesgeschäftsführer Michael Kellner im vergangenen Monat stolz der „Welt“. Ein Plus von 15,75 Prozent. Ein Allzeithoch, ein unfassbarer Aufwärtstrend, dem offensichtlich auch der eine oder andere Twitter-Bock, den der sonst so smarte Habeck in jüngerer Vergangenheit schoss, nichts anhaben konnte. Kellner im Februar zur „Welt“: „Wir werden jünger, weiblicher und ostdeutscher.“ Tatsächlich, so heißt es in dem Text, seien die Grünen vor allem in den ostdeutschen Bundesländern kräftig gewachsen, also in Regionen, in denen es für sie bisher eher schlecht aussah. In Brandenburg habe die Zuwachsrate sogar bei 26 Prozent gelegen, in Sachsen bei 23 Prozent und im Osten insgesamt, abzüglich Berlin, bei 19,1 Prozent, so Kellner in dem Interview. Auch Eisenberg und der Donnersbergkreis sind bislang eher kein grünes Hoheitsgebiet. Im Eisenberger Stadtrat sitzt mit Ernst Groskurt nur ein Grüner, Heiko Geil ist im Kerzenheimer Ortsgemeinderat auch allein. Im Verbandsgemeinderat sind es immerhin zwei – neben Groskurt nimmt hier Stephanie Burkhardt Platz –, im Kreistag drei. In den Beiräten der Eisenberger Ortsteile Steinborn und Stauf sowie im Ramser Gemeinderat sind die Grünen nicht vertreten. „Bundesthemen nicht allein verantwortlich“ Bei den Grünen im Donnersbergkreis hat Doris Hartelt als Kreisvorsitzende den Hut auf. Es ist eine überschaubare Menge an Mitgliedern: 72 sind es derzeit, die Zahl sei in den vergangenen Jahren recht konstant. Sicher, sagt Hartelt, man spüre, dass sich die öffentliche Wahrnehmung der Grünen durch Habeck und Baerbock nochmal verbessert habe, auch das Interesse an der Arbeit der Partei sei gestiegen. Der Aufwärtstrend der Grünen habe aber viele Ursachen. Der heiße Sommer habe im vergangenen Jahr das Thema Klimawandel für viele Menschen greifbar gemacht. Die Verschmutzung der Meere, die inflationäre Verwendung von Plastik als großes Problem – typische grüne Themen, die in jüngerer Vergangenheit in den Mainstream gespült wurden. „Hinzu kommt aber auch die politische Arbeit hier vor Ort. Dass wir uns beispielsweise konsequent gegen die Reaktivierung des Munitionsdepots North Point durch die Bundeswehr gestellt haben, kam bei vielen gut an“, so Hartelt. Prinzipiell habe sich im Umgang mit den Grünen aber auch schon vor Habeck und Baerbock vieles zum Positiven gewandelt. Hartelt erinnert sich, dass noch um die Jahrtausendwende Vertreter anderer Fraktionen gerne mal die Kreistagssitzung verlassen hätten, wenn ein Grüner gerade sprach. „Sie wollten unsere Argumente einfach nicht hören“, so Hartelt. Das gebe es heute zum Glück nicht mehr, die Akzeptanz durch die politischen Gegner sei mittlerweile vorhanden, die Grünen seien ganz normaler Teil des Ratsgeschehens wie die anderen etablierten Parteien auch. Das sieht auch Ernst Groskurt so, in Eisenberg sozusagen das Gesicht der Grünen. Die Partei hat in der Stadt (fünf Mitglieder) und dem Rest der Verbandsgemeinde (vier Mitglieder) keine allzu große Basis. Bei Wahlen jeder Art schneiden die Grünen hier oft schlechter ab als im bundesweiten Schnitt. „Traditionell ist Eisenberg kein gutes Pflaster für die Grünen, das ist ja hier alles sehr sozialdemokratisch geprägt“, so Groskurt, der dem durch die Organisation von Stammtischen oder jetzt eben auch dem Offenen Treff immer wieder versucht hat, entgegenzuwirken. Am Selbstverständnis, am Selbstbewusstsein der Grünen kratzt das aber nicht. Dass Groskurt in Stadt- oder VG-Rat genau hinschaut, genau nachfragt und sich zu Wort meldet – darauf kann man sich üblicherweise verlassen. „Der Umgang mit uns war hier aber auch schon immer ganz gut“, sagt Groskurt. Überhaupt finde er, dass die Partei auch schon immer sexy gewesen sei, sagt er. Mag sein. Nur haben das offenbar nun auch viele andere mitbekommen. Menschen wie Stephan eben.

Doris Hartelt und Ernst Groskurt, hier auf einem älteren Bild.
Doris Hartelt und Ernst Groskurt, hier auf einem älteren Bild.
x