Eisenberg „Die DDR war kein Rechtsstaat“

EISENBERG. Die Evangelische Jugendzentrale und das Dekanat Grünstadt laden Jugendliche und junge Erwachsene am morgigen Mittwoch um 19 Uhr ins Evangelische Gemeindehaus in Eisenberg zu einem Zeitzeugenbericht mit dem Grünstadter Peter Lücker ein. Lücker hatte 1964 mit anderen Studenten unter Lebensgefahr einen Tunnel von West- nach Ostberlin unter der Berliner Mauer hindurch gegraben. Damit verhalf er, fast auf den Tag genau vor 50 Jahren, 57 Menschen zur Flucht aus der DDR. Wir haben mit Peter Lücker gesprochen.

Herr Lücker, gerade haben wir den Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Hätten Sie 1964, als Sie mitgeholfen haben, den Tunnel zu bauen, geglaubt, dass 25 Jahre später die Mauer fällt?

Es war ja der Höhepunkt des Kalten Kriegs. Wir haben alle nicht daran geglaubt. Wenn wir eine Chance dafür gesehen hätten, dann hätten wir das Ganze nicht auf uns genommen. Wir haben ja nicht nur den Tunnel gebaut, sondern Leute auch auf andere Weise aus der DDR rausgeholt, zum Beispiel in Autos versteckt. Sie haben schon öfter Vorträge über ihre Erlebnisse gehalten. Haben Sie den Eindruck, dass junge Menschen noch ein Bewusstsein für diesen Teil deutscher Geschichte haben? Ich halte mittlerweile zum zwölften Mal einen Vortrag darüber. Viele Vorträge habe ich in Schulen gehalten. Die Kenntnisse dessen, was in der DDR passiert ist, sind meiner Erfahrung nach nicht sehr groß. Die Schüler erfahren noch viel Neues. Ich gehe in meinem Vortrag zunächst auch auf die DDR als Unrechtsstaat ein. Das lieferte schließlich auch die Begründung, das Risiko mit dem Tunnel einzugehen. Über den Begriff „Unrechtsstaat“ in Zusammenhang mit der DDR gibt es ja gerade eine Diskussion. Die Linke, also die Nachfolgepartei der SED, wehrt sich gegen diese Bezeichnung. Das ist empörend, unverschämt und dumm. Viele Ostdeutsche sagen immer noch: Wir waren ein Rechtsstaat. Dabei war die DDR eher mit einem mittelalterlichen Feudalstaat vergleichbar. Wenn man eine Beschwerde hatte, gab es keine Instanz, an die man sich wenden konnte. Die Leute konnten einen Brief an Honecker schreiben. Der wurde aber nicht geöffnet, wenn kein psychiatrisches Gutachten über den Schreiber beigefügt war. Die SED hat beispielsweise auch Richter und Staatsanwälte eingesetzt. Die DDR war kein Rechtsstaat, man denke nur an die ganzen Grenzanlagen. Haben Sie noch Kontakt zu den Mitstreitern von damals und zu Menschen, denen Sie zur Flucht verholfen haben? Zu den Mitstreitern habe ich noch Kontakt, wir haben uns gerade in Berlin getroffen. So ein emotionales Erlebnis wie der Bau des Tunnels schweißt zusammen. Die Leute, die damals geflohen sind, waren innerhalb von zwei Stunden draußen und haben sich dann in die ganze Bundesrepublik verstreut. Vereinzelt haben Menschen, denen wir geholfen haben, später versucht, Kontakt aufzunehmen. Interview: Timo Leszinski

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