Rheinpfalz Der Widerstand geht weiter

Netzwerk gegen „Hitlerglocke“: Im August gab es ein erstes Beratungstreffen.
Netzwerk gegen »Hitlerglocke«: Im August gab es ein erstes Beratungstreffen.

«Herxheim am Berg.» Sieben Monate nach dem Beschluss, die „Hitlerglocke“ im Kirchturm von St. Jakob hängenzulassen, reißt die Debatte nicht ab. Die „New York Times“ berichtet im September ausführlich, neue Erkenntnisse liefert indessen ein Aufsatz im Pfälzer Pfarrerblatt. Derweil arbeitet Glocken-Gegnerin Sigrid Peters an einem Netzwerk. Eine Zusammenschau.

Das zweite dänische Fernsehen brachte die Protagonisten im Herxheimer Glockenstreit Ende September wieder alle auf den Bildschirm. Die Journalisten wollten wissen, wie es denn inzwischen stehe um das Objekt, das so viel Wirbel verbreitet hat. Derartigen Wirbel, dass am 2. September sogar die „New York Times“ großflächig über die Glocke mit dem Hakenkreuz und der Inschrift „Alles fürs Vaterland – Adolf Hitler“ berichtete. Hunderte Leserreaktionen dort machten deutlich, dass die Debatte um die Naziglocken in Deutschland jener über den Umgang mit den Südstaaten-Denkmälern in den USA gar nicht unähnlich ist. Ein amerikanischer Jude kommentierte in einer Leserzuschrift, dass die Tatsache, dass eine Hitlerglocke in Deutschland bis heute hängen bleibt, es für ihn schwer mache, über einen Besuch in Deutschland nachzudenken. Umgekehrt ließ sich der Herxheimer Bürgermeister Georg Welker (parteilos) in dem Artikel erneut mit den Worten zitieren, dass man es im Ort nicht zulassen werde, dass der Rest der Welt darüber bestimme, was die Herxheimer mit ihrer Glocke anstellten. 96-jährige Frau wünscht sich „Hitlerglocke“ zur Beerdigung Tatsächlich ist bereits seit dem Frühjahr klar, was mit der Glocke passiert: Sowohl der Gemeinderat als auch das Presbyterium mit Pfarrer Helmut Meinhardt haben sich – wie mehrfach berichtet – mehrheitlich für das Hängenlassen entschieden. Und Welker wurde auch im kürzlich gesendeten Beitrag des dänischen Fernsehens nicht müde zu betonen, dass er sich vorstellen könne, die Glocke zur Mahnung auch wieder zu läuten. Wann genau – das ließ er zunächst zwar offen, brachte aber bewusst die 96-jährige Herxheimerin Dora Jotter ins Spiel, von der er wisse, dass sie sich den Klang des kompletten Geläuts zu ihrer Beerdigung wünsche. Der frühere Pfarrer und heutige Bürgermeister versprach ihr, sich dafür einzusetzen. Diese Erwägungen Welkers lassen diejenigen, die noch immer dafür kämpfen, die Glocke aus dem Turm zu holen, um sie der Öffentlichkeit als Mahnmal zu präsentieren, fassungslos zurück. Er habe als Bürgermeister kein Recht, über den liturgischen Gebrauch der Glocke zu bestimmen, sagen sie. Allen voran Sigrid Peters aus Weisenheim am Berg, die seit Mai 2017 gegen das Objekt im Turm zu Felde zieht, lässt nicht locker und will so lange weiterkämpfen, bis die Glocke abgehängt ist. Sie ist heute der Überzeugung, dass das Dorfgemeinschaftshaus der richtige Ort wäre, um sie aufzustellen. Hauptsache, sie kommt raus aus dem Turm. Neue Erkenntnisse zur „Hitlerglocke“ Zu neuen Erkenntnissen über die „Hitlerglocke“, die 1934 als Polizeiglocke aufgehängt wurde, ist zuletzt Ulrich Loschky aus Elmstein-Appenthal gelangt. Der frühere Gymnasiallehrer und Kirchenmusikdirektor hat für die Oktober-Ausgabe des Pfälzer Pfarrerblatts einen detaillierten Aufsatz geschrieben, der in einer Passage klar darlegt, dass der frühere Herxheimer Pfarrer Karl Wiedmann sich bereits 1946 „dafür einsetzte, die Hitlerglocke nicht weiter zu verwenden“. Diese Information steht im Widerspruch zu jener, die die Stellungnahme des Presbyteriums aus dem Frühjahr 2018 verbreitet. Dort ist formuliert, dass vor dem Jahr 1951 Geld und Material für neue Glocken gefehlt hätten. Tatsächlich, so hat Loschky recherchiert, habe Pfarrer Wiedmann dem Presbyterium damals ein Angebot des Bochumer Vereins für Gussstahl vorgelegt, das drei Glocken zur Neuanschaffung vorschlug. Jede solle, so wird Wiedmann zitiert, eine Inschrift bekommen, die im Gegensatz zu 1934 nüchtern zu halten sei. Warum diese Chance nach Loschkys Auffassung „vertan“ wurde, muss auch in seinem Aufsatz offen bleiben. Aufschluss darüber könnte seiner Meinung nach zum Beispiel das Archiv der Glockensachverständigen Birgit Müller geben. Ihm werde von ihr aber die Einsicht in die Akten verwehrt. Anstatt die Glocke bereits damals abzuhängen, wurde die nach dem Krieg übriggebliebene „Hitlerglocke“ durch zwei neue Glocken zu einem Molldreiklang (f-as-c) ergänzt. Sigrid Peters kommt in einer aktuellen Kritik an der Landeskirche auf diesen Vorgang zu sprechen: „Prallt an Ihnen ab, dass die Landeskirche nachgewiesenermaßen seit 1951 von dem unmöglichen liturgischen Einsatz der Glocke wusste?“, wirft sie Oberkirchenrat Dieter Lutz und seinem Vorgesetzten Christian Schad einen laxen Umgang mit der Sache vor. Mahntafel-Text noch immer nicht bekannt 18 Monate nach Beginn der Debatte gibt es noch immer keinen offiziellen Text für die ursprünglich für dieses Spätjahr angekündigte Mahntafel. Die zuständigen Denkmalabteilungen bei Kirche, Kreis und Land haben bisher keine konkreten Vorschläge zur Gestaltung bekommen. Georg Welker kündigte erneut an, sich „in den nächsten Tagen“ zusammenzusetzen. Einräumen musste er auch, dass das im Frühjahr gegebene Versprechen, die Hakenkreuze am Kirchturm entfernen zu lassen, nicht mehr in diesem Jahr umgesetzt werden könne. Die Planungen für Sanierungsarbeiten am Turm seien umfangreicher als gedacht.

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