Rheinpfalz Der Besuch des Gottesdienstes gehört dazu
Nein, eine Langschläferin ist Anita Schäfer nicht. Punkt 6.30 Uhr sitzt sie in den Sitzungswochen an ihrem Schreibtisch im Paul-Löbe-Haus, das zwischen Bundeskanzleramt und Reichstag liegt. Mit einem Kaffee startet sie in den Tag. Luxuriös darf man sich ihr Büro nicht vorstellen. Es ist etwa 15 Quadratmeter groß und vor allem eines: voll. Voller Akten, voller Materialien und voller Erinnerungsstücke an ihre Arbeit im Parlament. Irgendwie hat man es geschafft neben dem Schreibtisch noch einen Fernseher zu installieren, eine kleine schwarze Couch, einen Besprechungstisch und eine Handvoll Stühle in den Raum zu stopfen. Auf dem Schrank hinter der CDU-Politikerin stehen eine deutsche und eine taiwanesische Flagge – sie ist Vorsitzende der „Deutsch-Chinesischen Gesellschaft – Freunde Taiwans“ –, ein Pirmasenser Stier erinnert an den Wahlkreis 211, zu dem Pirmasens, Zweibrücken und der Landkreis Südwestpfalz sowie Teile des Landkreises Kaiserslautern gehören. Schäfer verbringt etwa die Hälfte des Jahres im Wahlkreis, den Rest bei den Sitzungswochen in Berlin. Die Tage in der Hauptstadt sind für die Parlamentarier streng getaktet: Montags tagen der Fraktionsvorstand und die Landesgruppen. Dienstags treffen sich dann die Fraktionen und die fraktionsinternen Arbeitsgruppen, mittwochs treten die Ausschüsse zusammen. Donnerstags und freitags stehen die Plenardebatten an. Dazwischen stehen Termine mit anderen Abgeordneten oder Vertretern bestimmter Interessengruppen auf dem Programm. Schäfers Tagesablauf orientiert sich an einem genauen Zeitplan. Die Übersicht behält sie dank einer grünen Klarsichthülle. Sie ist ihr ständiger Begleiter. In ihr befindet sich jeweils ein Kalenderausdruck mit den Terminen des aktuellen Tages. Ganz oben stehen Namen von Geburtstagskindern. Schäfer ruft sie an ihrem Ehrentag an oder schickt eine Karte, oft sind es Parteifreunde, die sich über Post oder Anruf der Abgeordneten freuen können. Einmal im Jahr darf sich Schäfer über einen Anruf freuen. Am 9. Juli meldet sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, um der Saalstadterin persönlich zum Geburtstag zu gratulieren. Auch bei anderen Parlamentariern meldet sich Merkel am Ehrentag. „Eine schöne Geste“, findet Schäfer. Ganz überraschend kommt der Anruf nie: Einen Tag vorher meldet sich Merkels Büro und vereinbart eine feste Uhrzeit für das Telefongespräch. „Die Kanzlerin ruft dann immer pünktlich an.“ Der heimische Wahlkreis ist weit weg von Berlin. Sieben Stunden mit der Bahn oder eine Stunde mit dem Flugzeug von Saarbrücken. Autofahrer können die 700 Kilometer in sechs bis sieben Stunden zurücklegen. Aber manchmal ist die Distanz doch nicht so groß. Auch in Berlin verfolgt Schäfer das Geschehen in der Heimat genau. Unter anderem indem sie die RHEINPFALZ liest. Aber sie wird auch von Bürgern aus dem Wahlkreis angeschrieben und angerufen, die sich mit Anliegen an sie wenden. Zuständig ist sie als Bundestagsabgeordnete nicht immer, aber die Anliegen mache sie sich doch zu eigen, zumindest wenn sie überzeugt ist, dass der Bürger Recht habe, erzählt die 62-Jährige. Dann greift sie zum Hörer, ruft in Behörden an, schickt Briefe und fragt nach. Viel mehr kann sie nicht tun. Sie hat den Mitarbeitern fremder Behörden nichts zu sagen und deren politische Leitungsebene dürfte auch nicht über jedes Schreiben der Politikerin erfreut sein. Schäfer berichtet, dass sie nicht nur zum Hörer greift, wenn sie angerufen wird. Während der Auseinandersetzung um die Krim und angesichts drohender Wirtschaftssanktionen für Russland ruft sie beispielsweise bei Firmen im Wahlkreis an. Sie will wissen, welchen Einfluss die Entscheidungen der Bundespolitik auf sie hätten. Berlin und die Südwestpfalz sind sich in solchen Momenten ganz nahe. Eine Besonderheit in der Sitzungswoche ist für Schäfer ein Gottesdienst. Er beginnt donnerstags um 7.30 Uhr in der katholischen Akademie und richtet sich an die Abgeordneten. Beim Besuch der RHEINPFALZ predigt Erzbischof Robert Zollitsch. In der Kapelle sind unter den 30 bis 40 Gläubigen die kirchenpolitischen Sprecher der einzelnen Fraktionen, Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung, Ex-Bildungsministerin Annette Schavan sowie der evangelische Unionsfraktionschef Volker Kauder. Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht am Ende der Feier ein Grußwort anlässlich der Verabschiedung von Zollitsch als Chef der Deutschen Bischofskonferenz. Nach dem Gottesdienst geht es zum Frühstück in den Nachbarraum. Aber so richtig genießen kann die frischen Brötchen niemand. Die Politiker schütten den Kaffee in sich hinein, schmieren schnell ein Brötchen und schlingen es hinunter. Vor der Tür warten schon die dunklen Limousinen der Fahrbereitschaft, mit denen sich die Abgeordneten innerhalb Berlins für einen Euro pro Fahrt bewegen können. Eine Minute vor 9 Uhr betritt Schäfer das Reichstagsgebäude, zeitgleich mit Angela Merkel. Die Kanzlerin soll um 9 Uhr ihre Regierungserklärung zum europäischen Rat halten. Wenn die Kanzlerin spricht, wird erwartet, dass die eigene Fraktion zahlreich erscheint – und vor allem pünktlich. Die Abgeordneten stehen unter dem sozialen Druck ihrer Kollegen. Wer Merkels Ansprache schwänzt oder sich verspätet, braucht eine gute Erklärung. Aber nicht nur Schäfer lauscht an diesem Donnerstag Merkels Worten. Auf den Besuchertribünen hat eine Gruppe aus Schäfers Wahlkreis Platz genommen. Nach der Rede ist ein Fototermin auf der Reichtagskuppel mit der Abgeordneten geplant, die sie nach Berlin eingeladen hat. Schäfer huscht aus dem Parlament, findet auf dem Dach ein paar freundliche Worte, schüttelt Hände, lacht in die Kamera und verschwindet wieder ins Plenum, wo sie selbst gleich reden soll. Anspannung verspüre sie keine, verrät die 62-Jährige. Warum? Hier, in Berlin, sei sie Gleiche unter Gleichen. Selbst wenn man sich verhaspele oder verspreche werde man nicht ausgelacht. Die Kollegen wüssten schließlich, wie das ist, eine Rede im Bundestag zu halten. 96 Minuten sind für die Aussprache zum Wehrbericht vorgesehen. Die Sprechzeiten werden anhand der Fraktionsgröße verteilt. Innerhalb der Fraktionen werden sie nochmals gesplittet. Die Saalstadterin darf 14 Minuten sprechen. „Das Wort hat Kollegin Anita Schäfer“, sagt Ulla Schmidt, die als Vizepräsidentin des Bundestags die Sitzung leitet, um 12.24 Uhr. Mit einer gelben Jacke, blauem Oberteil und in schwarzer Hose tritt Schäfer an das Rednerpult. 14 Minuten lang kommentiert sie den Bericht des Wehrbeauftragten aus ihrer Sicht und spricht über Wehrpolitik. Punkt 12.38 Uhr ist sie fertig. Applaus gibt es von den Regierungskoalitionen. Die Opposition schweigt. Eine Mittagspause gibt es im Parlament nicht. Die Abgeordneten können kommen und gehen wie sie wollen. In der Regel sind sie nur anwesend, wenn sich die Debatte um ihr Spezialgebiet dreht. Bei Schäfer sind das Verteidigungs- und Innenpolitik. Nachmittags steht für Schäfer noch Arbeit am Schreibtisch an, später geht es dann wieder in den Plenarsaal. Den Abend haben die Abgeordneten selten zur freien Verfügung. Sie treffen sich entweder mit Besuchern aus dem Wahlkreis oder sind zu Gast bei Lobbyistengruppen. Die laden – meist in vornehmem Ambiente – zu sogenannten „parlamentarischen Abenden“ ein. Dort gibt es nach einem Glas Sekt zur Begrüßung eine Rede, in der die Verbände auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Die Politiker hören sich das an. Anschließend sprechen die Lobbyisten in kleiner Runde bei einem Glas Wein oder Bier mit den Abgeordneten. Immerhin einmal, berichtet Schäfer, hat sie es in Berlin schon in die Oper geschafft. Aber in der Regel fehle ihr dafür die Zeit. Und außerdem: „Wir haben in Kaiserslautern mit dem Pfalztheater ja auch ein sehr gutes Haus.“