Rheinpfalz Das Tor zur Welt

Die Bastion der Männlichkeit, das Fußballstadion, bröckelt. Die Fankultur trägt Make-up. Bei Weltmeisterschaften, den Hochämtern des runden Leders, machen Frauen mittlerweile die Hälfte der Zuschauer aus. Sitzen sie nur vor der Glotze, um ihren Partnern das schweißnasse Händchen zu halten? Oder steckt mehr dahinter?

Angela Merkel ist nur eine von Millionen. Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei Welt- und Europameisterschaften lässt sich die Kanzlerin selten entgehen. Und ihre männlichen Untertanen merken: Es ist keine aufgesetzte Attitüde einer PR-versierten Staatsfrau, wenn sie bei einem Tor aufspringt oder nach dem bestandenen Elfmeterschießen die Lichtgestalt Beckenbauer umarmt wie ein Schulmädchen ihren ersten Schwarm. Und wenn sie in der Kabine den schweißnassen, halbnackten Vorzeige-Integrierten Mesut Özil anhimmelt, wird deutlich: Da ist eine große Freude in ihr. „Da ist eine große Freude in mir.“ Diesen Satz hat Jürgen Klinsmann bei seiner ersten Pressekonferenz als Bundestrainer 2004 gesagt. Der blonde Schwabenpfeil steht – mit seinem Nachfolger und Alter Ego Joachim Löw – dafür, dass Fußball aus dem Ghetto der wilden Kerle ausbrach. Als Klinsmann nach nur zwei Jahren zurücktrat und das Sommermärchenbuch der WM im eigenen Land zuklappte, startete die Internet-Aktion „Klinsmann muss bleiben“. Viele Frauen trugen sich ein. Sabrina aus der Nähe von Köln schrieb: „Das, was du aus diesem Sport oder noch eher aus Deutschland gemacht hast, das ist unglaublich. Früher, als ich mich noch nicht so sehr für diesen Sport interessiert habe, habe ich die Leute nur mit hochgezogener Augenbraue angeschaut, wenn ihr Lieblingsverein ein Tor schoss, und sie überschwänglich anfingen, loszuschreien und rumzuspringen. Aber wenn man sich auf diesen Sport einlässt, ist man wie gefangen darin, wie eine Sucht. Man muss die Spiele schaun, man will das Gefühl des Glücks spüren und nach Herzenslust jubeln können.“ Lange war das ein Privileg für Jungs. In der bleiernen Zeit, in der Fußball etwas Verschwitztes hatte und so gar keinen Sex-Appeal. Übungsleiter wie Helmut Schön erinnerten in ihren verblichenen Trainingsanzügen an die griesgrämigen Bademeister der chlorverpesteten Hallenbäder, in denen wir unter Badekappen mühsam schwimmen lernten. Sie sprachen zu ihren Spielern über Kameradschaft und Treue, über scharfe Schüsse und Blutgrätschen, Vokabeln aus dem Wortschatz von Kriegern. Außerhalb der Werbebanden für Sechsämtertropfen waren die Verhältnisse entsprechend. Ein Herbergerleben lang schienen Frauen gut fürs Kaltstellen der Bierflaschen und deren Auftragen, und man(n) war froh, wenn sie dies vollbrachten, ohne vor dem Bildschirm herumzutapsen, während der Angriff rollte. Frauen die Abseitsregel zu erklären schien so abwegig zu sein, wie dem Hofhund die kopernikanischen Himmelsgesetze erläutern zu wollen. Reden über Fußball war so exklusiv wie Gespräche über Technik, Militär und Sex. Frauen kamen nur als Groupies oder Spieler-Gespielinnen vor, die auch noch im Ruch von Schlampen standen. Abgeschreckt wurden Frauen lange auch von einem im Dunstkreis des Fußballs wabernden Sexismus. Die Sprache männlicher Fans war und ist nicht immer jugendfrei. Wie verhält sich eine Frau im Stadion, wenn ihr Typen hinterhergrölen „Zieh’ dich aus, kleine Maus, mach’ dich nackig“? Es scheint, als seien Fußballspiele letzte Reservate, bei denen Männer ein traditionelles Macho-Verhalten an den Tag legen dürfen, wollen und auch sollen. Selbst Offizielle sind infiziert. Als der 1. FC Saarbrücken das Match gegen die Sportfreunde Siegen zum Frauentag erklärte, begrüßte der Stadionsprecher die Zuschauerinnen mit den Sätzen: „Liebe Frauen. Das Grüne da unten ist der Rasen. Das Weiße, das sind die Tore. Das Rote, das ist der Gegner. Jubeln dürft ihr erst, wenn unsere Jungs ein Tor gemacht haben.“ 2006 spielte sich die peinliche Szene ab, im Jahr des Sommermärchens. Gleichwohl ist der Vormarsch der sanften Männer unübersehbar, auch auf dem satten Grün. Trainer wie Löw und Klinsmann lassen Leithammel, wie sie einst den Rasen pflügten, ins Abseits laufen. Die Matthäus’ und Ballacks, die testosterongetränkt das Spielfeld rauf- und runterrannten, haben androgynen Typen wie Philipp Lahm oder Mario Götze Platz gemacht, denen wir zutrauen, dass sie eine halbe Stunde früher ihr Training beenden, um die Tochter aus der Kita zu holen oder Platten für die Lasagne zu schichten. Solche Typen kommen an beim weiblichen Fan. Außerdem ist Fußball ein Objekt der Kommerzialisierung geworden. Und Marketing bleibt erfolglos, wenn es nicht die Frauen anspricht, denn die haben zwar nicht die Stutzen an, aber die Hosen mit der Kreditkarte in der Tasche. Angeblich kaufen Frauen jährlich Fanartikel im Wert von über 100 Millionen Euro in Deutschland. Damenkollektionen in Fanshops reichen von Ohrclips in den Vereinsfarben bis zu eleganten Quarz-Armbanduhren. Stadien sind nicht länger nur Ort proletarischer Männerrituale. Eine Stichprobe beim Heimspiel von Bayern München gegen den SC Freiburg in der Saison 2012/13 ergab einen weiblichen Zuschaueranteil von 41 Prozent. Und Werder Bremen hat im Weserstadion am Weltfrauentag 2012 gemeinsam mit einem Sponsor die „Jacobs Ladies Lounge“ eröffnet, bundesligaweit die erste Loge speziell für Frauen. Dort serviert man Kaffee und Kuchen statt Bier und Currywurst. Und Vereine, die etwas auf sich halten, investieren Geld in Damentoiletten mit einem besseren Hygienestandard. Denn die neue Zielgruppe pinkelt nicht mehr in dunkle Ecken. Der weibliche Vormarsch ist also unübersehbar. In der Bundesliga schwenken sie Fahnen ihres Vereins, bei Weltmeisterschaften drücken sie in schwarz-rot-goldenen Bikinis und mit Herzchen auf der Backe Daumen, bis die Gelenke knacken. Seht her, wir gehören dazu, lautet die Botschaft. Die Frau ist Fan geworden, darf dabei sein, ohne die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe durch einstudierte Schlachtgesänge zu erbetteln. Nicole Selmer, die sich selbst eine Fernbeziehung zu Borussia Dortmund bescheinigt, hat in ihrem Buch „Watching the boys play“ beschrieben, wie Frauen Fußball (er)leben. Sie sagt: „Im Stadion dürfen Frauen mitfeiern, ihre Meinung und Behauptungen deutlich mitteilen, ohne sich ganz sicher zu sein, dass sie den Tatsachen entsprechen.“ Frauen haben die Rolle der stillen Begleiterinnen abgelegt. Und den Fußballverstand lassen sie sich gleich gar nicht mehr absprechen. Was vielen Fußball-Frauen anhängt, ist das Etikett der Event-Ladys. Denn es ist ja wahr: In Bezirksligen und Kreisklassen sind bierbäuchige Männer, die kickenden Stammtischbrüdern ein kritisches „Beweech’ dich“ zurufen, weitgehend unter sich – außer der eigene Sohn stürmt aufs Tor. Die Frauen-Fankultur kulminiert ansonsten in Großereignissen, denen man sich so schwer entziehen kann wie dem Münchner Oktoberfest oder dem Karneval in Köln. Wer nicht flieht, macht eben Party. Wissenschaftler kommen jedoch zu dem Schluss, dass Frauen ein Fußballspiel nicht mit anderen Augen betrachten als ihre männlichen Kumpel auf der Tribüne oder der Fernsehcouch. Julia Zeeh hat 2010 in einer Arbeit am Institut für Soziologie der Universität Wien etliche Stadionbesucherinnen interviewt. Fast immer nennen sie als Grund dafür, „zum Fußball zu gehen“, die Stimmung und das Erlebnis von Gemeinschaft. „Es gibt so viele Emotionen, so viel auf und ab und dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu etwas, du kannst dich mit den anderen freuen und mit ihnen weinen, du bist halt Teil eines Ganzen“, schildert die 22-jährige Studentin Katharina ihre Gefühle. Dass Frauen sich in einer Männerdomäne etablieren müssen, spielt eine untergeordnete Rolle, glaubt man den Aussagen der Befragten. Und keine gibt an, wegen eines Spielers, den sie „süß“ fände, ins Stadion zu gehen. Die erotische Ausstrahlung eines Kickers wird zwar durchaus registriert, aber ein Mats Hummels mag so cool aussehen wie er will – versemmelt er einen Elfer, stöhnen Frauen genauso enttäuscht auf wie ihre männlichen Mit-Fans. Der „Popstar-Faktor“ wird mithin stark überschätzt. Es ist wohl einfach so, dass viele Frauen Fußball genauso genießen wie männliche Fans. Ihre Mannschaften feiern, den Zusammenhalt in der Gruppe pflegen und bei Siegen jubeln, bei Niederlagen leiden. Sie brauchen keine Schminktipps für die Fankurve und keine Belehrungen, ob 4-2-3-1 oder 4-4-2 das effektivere Spielsystem ist. Sie wollen einfach nicht länger doof im Abseits stehen.

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