Rheinpfalz Das Phantom-Urteil

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MAINZ/KASSEL. Der Gesundheitsausschuss des Mainzer Landtags wollte sich gestern mit einem Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) auseinandersetzen, das es gar nicht gibt. Es ging in der Sitzung um „Honorar-Notärzte“, deren Beschäftigung durch die angebliche BSG-Entscheidung erschwert würde. Richtig ist freilich, so das Mainzer Innenministerium, dass die Deutsche Rentenversicherung die Tätigkeit solcher Notärzte zunehmend als abhängige Beschäftigung einstufe.

Das Thema „Scheinselbstständigkeit von Notärzten“ stand gestern als dritter Punkt auf der Tagesordnung des Gesundheitsausschusses. Zur Begründung wurde in dem Berichtsantrag der CDU-Fraktion auf ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichtes verwiesen, demzufolge „die Beschäftigung von Honorar-Notärzten auf Rettungswagen künftig nicht mehr möglich“ sei. Dadurch könnte eine Kostenlawine auf die Krankenhäuser zurollen, hieß es weiter. Das klang nach einem Aufregerthema. Doch auf der Internetseite des BSG fand sich keine entsprechende Entscheidung. Und die RHEINPFALZ-Anfrage bei Olaf Rademacker, dem Pressesprecher des BSG, brachte die Erkenntnis, dass die auch gar nicht existiert. Völlig grundlos wurde die Notarzt-Problematik aber trotzdem nicht im Gesundheitsausschuss aufgegriffen. Denn, so das federführende Mainzer Innenministerium gestern auf Anfrage: Die Deutsche Rentenversicherung stufe die Tätigkeit von Honorarärzten im Rettungsdienst zunehmend als abhängige – und damit als sozialversicherungspflichtige – Beschäftigung ein. Dies wirke sich in einigen Regionen auf die notärztliche Versorgung im Rettungsdienst aus. Das war auch der Hintergrund des angeblichen BSG-Urteils: Das Rote Kreuz in Mecklenburg-Vorpommern hatte sich dagegen gewehrt, dass einer seiner Kreisverbände einen Notarzt nicht mehr als Freiberufler beschäftigen durfte. Der Grund: Die Rentenversicherung wertete diese verbreitete Praxis als „Scheinselbstständigkeit“. Das Landessozialgericht von Mecklenburg-Vorpommern ließ das DRK mit seiner Klage abblitzen. Fatalerweise ließ es aber die Revision zum BSG nicht zu. Gegen diese Nichtzulassung legte das DRK Beschwerde ein. Und nur die wies das Kasseler BSG ab. Damit wurde das Mecklenburger Urteil rechtskräftig. Zum „Phantom-Urteil“ geriet der BSG-Beschluss offenbar durch die Ende August verbreitete Meldung einer Nachrichtenagentur, die samt Aktenzeichen sogar Eingang in juristische Internetseiten fand. Die Rechtsanwaltsgesellschaft BDO Legal verbreitete zudem eine „News“ mit der Schlagzeile: „Entscheidung des Bundessozialgerichts: Notarztversorgung in Mecklenburg-Vorpommern und bundesweit in Gefahr“. Denn damit habe das BSG „deutlich klargemacht, wie es auch in vergleichbaren Fällen entscheiden würde“. Dem widersprach gestern BSG-Sprecher Rademacker: Die DRK-Beschwerde sei aus formalen Gründen abgewiesen worden. Inhaltlich habe sich das BSG mit dem Mecklenburger Urteil nicht befasst. Ein klärendes Wort von höchstrichterlicher Seite zur Notarzt-Beschäftigung liegt damit nicht vor, bedauert – nicht nur – das Mainzer Innenministerium. Greifen doch einer Studie zufolge über 40 Prozent der rheinland-pfälzischen Notarzt-Standorte auf Honorarärzte zurück, gut 23 Prozent bestreiten ihre Arbeit sogar ausschließlich mit solchem Personal. Ohnehin ist die Materie höchst kompliziert: 14 verschiedene Kombinationen von Beschäftigungsmodellen von Notärzten gibt es in Rheinland-Pfalz. Zum Verständnis: Die Krankenhäuser sind in Rheinland-Pfalz gesetzlich verpflichtet, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Mediziner als Notärzte gegen Kostenerstattung zu stellen. Bei Bedarf können aber auch niedergelassene Ärzte und Mediziner anderer Organisationsformen am Notarztdienst mitwirken. Es gibt Mediziner, die ausschließlich freiberuflich gegen Honorar arbeiten, andere sind als Arbeitnehmer beispielsweise an einem Krankenhaus beschäftigt und betätigen sich nebenher als Notarzt. Große Bedeutung haben die Honorar-Notärzte vor allem für die ländlichen Regionen. Angesichts der Vorgehensweise der Rentenversicherung muss im Einzelfall geprüft werden, welcher Arzt in welcher Konstellation noch weiter beschäftigt werden könnte und wo Dienste anders als bisher organisiert werden müssten, so das Innenministerium weiter. Entscheidend seien aber Gespräche auf Bundesebene: Das Sozialversicherungsrecht sei bundesgesetzlich geregelt. Andere Bundesländer seien teilweise noch stärker betroffen als Rheinland-Pfalz.

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