Rheinpfalz „Das Böse war nicht immer sichtbar“

Neustadt. Die NS-Zeit und der pfälzische Gauleiter Josef Bürckel: Ist die Aufarbeitung von Bürckels Rolle bisher zu kurz gekommen? Die Historikerin Pia Nordblom hat sich vor der Tagung heute im Saalbau kritisch dazu geäußert. Kulturdezernent Marc Weigel verteidigt die Gedenkarbeit in der Stadt.

Herr Weigel, die Historikerin Pia Nordblom hat in einem Interview gesagt, man könne nicht nur von Hambach profitieren, man müsse sich auch Bürckel stellen. Da klingt Kritik durch. Sehen Sie Defizite bei der Beschäftigung mit Bürckel in der Stadt?

Ich denke, dass man der Stadt Neustadt aktuell auf jeden Fall nicht den Vorwurf machen kann, dass sie sich mit dem Nationalsozialismus nicht beschäftige. Das findet in vielfacher Form statt, ich nenne jetzt nur mal die Stolpersteine und die Gedenkveranstaltungen. Teilweise ist das auch Impulsen aus der Bürgerschaft zu verdanken. Ich glaube aber, man sollte die Möglichkeiten einer Stadtverwaltung hinsichtlich historischer Forschung nicht überschätzen. Historische Forschung geht großenteils auf Initiativen aus der Bürgerschaft zurück. Die gibt es – Gott sei Dank. Pia Nordblom hat aber selbst dargelegt, dass die Bürckel-Forschung erst in den letzten Jahren so richtig Fahrt aufgenommen hat. Seine Rolle wurde lange unterschätzt. Wenn es Nachholbedarf in der Geschichtswissenschaft gibt, dann glaube ich nicht, dass man der Stadt Vorwürfe machen kann.

Thema der Podiumsdiskussion heute Abend ist ja das Erbe Bürckels als Herausforderung für die Gegenwart. Das ist dann schon ein Punkt, an dem die Stadt sich einbringen kann. Sie nehmen ja selbst für die Stadt an der Diskussionsrunde teil – was verstehen Sie darunter – das Erbe Bürckels als Herausforderung für die Gegenwart?

Gedenkarbeit ist ein Zusammenwirken. Das ist eine kulturgeschichtliche und politische Aufgabe der Zivilgesellschaft, der Kommunen und der Länder. In dem Zusammenhang muss auch die Stadt ihren Platz finden, und ich finde, sie löst das ganz gut. In punkto Bürckel geht es darum, dass man versucht, aus einer Biografie wie der Bürckels Erkenntnisse zu gewinnen. Und verstehbar zu machen, wie ein verbrecherisches System wie der Nationalsozialismus überhaupt möglich war. Da ist Bürckel ein gutes Beispiel. Weil er skrupellos und menschenverachtend war, aber es auch Leistungen gibt, die man ihm damals in der Pfalz angerechnet hat – im sozialen Bereich und im Tourismus. In der Bilanz ist es unstrittig, dass er ein Verbrecher an der Menschlichkeit war. Er hat aber einen ganz guten Zugang gefunden zu den Leuten, über eine wein- und leutselige Art. Insofern ist das Perfide an solchen Persönlichkeiten am Beispiel Bürckel ganz gut zu erkennen. Im privaten Bereich waren das keine Bestien, das Böse war sozusagen nicht immer sichtbar. So stellen sich das viele ja vor, diese Erfahrung mache ich auch immer wieder mit Schülern.

Apropos Schüler, Sie sind ja Lehrer: Was bedeutet Lokalgeschichte denn für den normalen Unterricht?

Lokalgeschichte hilft dabei, außerschulische Lernorte zu schaffen. Geschichte wird anschaulich. Die räumliche Nähe kann auch eine größere Betroffenheit auslösen.

Bürckel ein „Verbrecher an der Menschlichkeit“: Herrscht darüber heute Konsens?

Ich denke, da muss man unterscheiden. In den Generationen, die zeitlich näher an der NS-Zeit dran sind, gibt es, glaube ich, schon noch Haltungen, die nicht eindeutig sind. Viele können aber mit dem Namen gar nichts anfangen. Bürckel ist in Fachkreisen bekannt, aber in weiten Kreisen der Bevölkerung und auch in der Jugend ist er das nicht. Da wird die Tagung sicher ein Beitrag sein, das Wissen über ihn und seine Rolle im Nationalsozialismus zu verbessern.

x