Rheinpfalz Als Professoren verschwanden

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Heidelberg. Bis Mitte Juni ist in Heidelberg eine Ausstellung zu sehen, die sich dem Schicksal vieler jüdischer Wissenschafter zur Zeit des Nationalsozialismus widmet. Der Veranstaltungsort, das Haus für Mathematik und Informatik der Universität, ist nicht zufällig gewählt.

Der Standort im gerade vor wenigen Wochen fertiggestellten Mathematikon ist ideal. Denn die Studenten bleiben stehen, schauen hier und da genauer hin und sind berührt: „Ich kenne zwar die Namen einiger Mathematiker, aber von ihrem Schicksal habe ich nichts gewusst.“ Man stelle sich vor, ein Drittel des akademischen Personals einer Fachrichtung wird entlassen. In jeder deutschen Universität verschwinden zahlreiche Professoren, Assistenten und Doktoranden. Forschung und Lehre brechen ein. Genau dies geschah, als die Nationalsozialisten jüdische Wissenschaftler der mathematischen Fakultäten „eliminierten“. In diesem Fach war der Anteil der Juden mit über 30 Prozent besonders hoch. Denn jüdische Gelehrte pflegten schon immer die Mathematik, um beispielsweise im Mittelalter Kalendertage auszurechnen. Zum Vergleich: 1933 waren nur 0,8 Prozent der gesamten Bevölkerung jüdisch. Die englischsprachige Ausstellung „Transcending Tradition“ widmet sich dem Leben jüdischer Mathematiker im deutschsprachigen Raum. Die Heidelberger Laureate Forum Foundation hat die preisgekrönte Dokumentation nun an das Mathematikon geholt, nachdem sie schon weltweit in mehreren Städten wie Jerusalem, New York und Sydney gezeigt wurde. An detailreich gestalteten Holzwänden sind viele Aspekte veranschaulicht: die herausragende wissenschaftliche Leistung der Juden am Beispiel ausgestellter Buch-„Klassiker“, die kulturellen Beiträge, die sich auch in den Bereichen Didaktik, Philosophie und Literatur offenbaren, und die erschwerten Lebensumstände. An den jeweiligen Wänden kann der Besucher etwas aufklappen, umdrehen, herausziehen oder sogar beschriften. Die Ausstellung erinnert an die Blütezeit der deutsch-jüdischen Zusammenarbeit in der Mathematik vor 1933. Damals waren Berlin und Göttingen weltberühmte Zentren der Mathematik. „Diese Erinnerung ist schmerzhaft und lässt uns nicht ohne Zorn zurück“, sagt Moritz Epple, der Leiter des Projekts. Briefe und Dokumente zeigen die Demütigungen und Gefahren, die das Leben der jüdischen Wissenschaftler begleiteten. An Beispielen wird das Ausmaß deutlich. In Heidelberg wurden die jüdischen Mathematik-Professoren Arthur Rosenthal und Heinrich Liebmann, die vorher sogar Rektor und Dekan waren, vom nationalsozialistischen Studentenbund schikaniert und boykottiert. Rosenthal gab dann auf und bat gezwungenermaßen um seine Versetzung in den Ruhestand. Einigen gelang die Flucht: Emmy Noether, die hochbegabte Mathematikerin aus Göttingen, hatte als Frau und Jüdin große Schwierigkeiten, ihre Habilitation zu erhalten, bekam dann keine Stelle und emeritierte in die USA. Dort unterrichtete sie bis zu ihrem frühen Tod mit 53 Jahren an einem Frauencollege. Andere konnten nicht fliehen. Felix Hausdorff hatte schon 1901 offenen Antisemitismus erfahren, als es bei seiner Berufung Gegenstimmen wegen seiner Religion gab. Die späteren Versuche, eine Anstellung in den USA zu bekommen, scheiterten an seinem Alter: Er war 74 Jahre alt. So begingen Felix Hausdorff, seine Frau und Schwägerin gemeinsam Selbstmord, um der Deportation zu entgehen. Noch Fragen? Die Ausstellung im Mathematikon Heidelberg (Im Neuenheimer Feld 205) ist noch bis 12. Juni zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 8 bis 20 Uhr; Samstag, 9 bis 16 Uhr; Sonn- und Feiertage, 13 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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