Leitartikel Olympia befreit und erfreut
Der Legende nach haben im Jahr 884 vor Christus mehrere griechische Könige den olympischen Frieden beschlossen. Alle Athleten, Künstler, Familien und Reisende sollten in Sicherheit nach Olympia anreisen und die Wettbewerbe verfolgen dürfen. Für drei Monate sollten alle Waffen und Streitigkeiten ruhen.
Vom olympischen Frieden träumen auch wir heute. Mit der Realität hat das aber wenig zu tun. Ob in der Ukraine oder im Nahen Osten – auch während Olympia wurde leider fleißig weitergekämpft und gebombt, Krisen im Sudan und in Venezuela schwelen unverändert weiter. Was Olympia zu bieten hatte, waren Ablenkung und einige kleine Silberstreife. Dass nord- und südkoreanische Tischtennisspieler gemeinsam ein Gruppenselfie aufnehmen würden, hätte sich vorher kaum jemand vorstellen können. Dennoch ist es passiert. Olympia, der Sport, können also helfen, kleine Gräben zu überwinden. Mehr zu erwarten, hieße, Olympia zu überladen.
Spaltung ist kein rein deutsches Phänomen
Paris – das waren Spiele der gesellschaftlichen Kontroversen. Angefangen bei der spektakulären Eröffnung, in deren Anschluss bestimmte Gruppen die zugegeben gewöhnungsbedürftige Szene einer bacchantischen Feier in eine Verhöhnung des Christentums umzudeuten versuchten. Hier sahen einige etwas, was sie für ihre Agenda sehen wollten; nicht das, was tatsächlich da war. Und fortgeführt in der Diskussion über zwei Boxerinnen, denen ohne Belege unterstellt wurde, sie seien Männer. Dass über die beiden Frauen, die gänzlich unschuldig an der Situation sind, kübelweise Spott, Häme und, leider auch, Gewaltfantasien ausgegossen wurden, ist schändlich.
Beide Vorgänge haben etwas gezeigt, was wir in Deutschland allzu oft gar nicht wahrnehmen wollen. Die gesellschaftliche Spaltung, die gerne an der Politik festgemacht wird, ist kein rein deutsches Phänomen. Es gibt sie im gesamten Westen. Sie ist ein Problem der Menschen und ihrer Einstellung, nicht eines von Regierungen.
Es braucht Stimmung statt Griesgrämigkeit
Paris – das waren Spiele der Hoffnung. Hunderttausende Menschen vieler Nationen haben sich zusammengefunden und ein friedliches, fröhliches Fest gefeiert. Ähnlich wie zuvor bei der Fußball-EM in Deutschland hat der Sport seine verbindende Kraft gezeigt, wenn ihn die Umstände lassen – Stichwort Corona, Stichwort autokratische Gastgeber-Länder. Und wenn die große Mehrheit der Bevölkerung diese Stimmung tragen will, statt in Griesgrämigkeit zu verharren.
Frankreich hat zugleich Deutschland eine Blaupause geliefert, wie auch hier Olympia wieder möglich sein und was es bewirken kann. Ohne Gigantismus, mit bereits vorhandenen Ressourcen, mit einem Plan, der die Bürger mitnimmt. Und: ohne die eigene Kultur zu verleugnen. Die französische Identität hat viel zum Erfolg dieser wunderbaren Spiele beigetragen.
Anders heißt weder besser noch schlechter
Daher ist auch die schnell aufgekommene Frage, ob Los Angeles 2028 die Spiele von Paris 2024 übertreffen könne, eine völlig falsche. Es werden andere Spiele werden, der US-Mentalität und den Voraussetzungen in Los Angeles geschuldet. Es geht ohnedies nicht um besser, größer oder spektakulärer. Es geht nur darum, es gut zu machen. Für die Athleten. Und für die Besucher.