Boxen Mit den Fäusten gegen Parkinson

Dilar Kisikyol (rechts), Profiboxerin, erklärt Kursteilnehmerin Karin Schmitt eine Übung.
Dilar Kisikyol (rechts), Profiboxerin, erklärt Kursteilnehmerin Karin Schmitt eine Übung.

Wenn an Parkinson leidende Menschen am Boxsack trainieren, ruft das Skepsis hervor. Eine Hamburger Profiboxerin leitet einen solchen Kurs für Frauen. Ist gerade diese Sportart sinnvoll dafür? Eine Experte findet: definitiv ja!

Boxen hat schon immer polarisiert. Mit Fäusten aufeinander einzuschlagen kann trotz gepolsterter Handschuhe nicht gesund sein, lautet das Hauptargument der Kritiker. Die Hamburger Profiboxerin und Sozialpädagogin Dilar Kisikyol sieht das anders. Sie steht nicht nur im Ring und strebt als Dritte der aktuellen WBA-Rangliste Ende des Jahres einen WM-Kampf im Superleichtgewicht (bis 63,5 kg) an. Kisikyol leitet in Hamburg auch eine Gruppe von elf Frauen, die an Parkinson erkrankt sind und Boxtraining absolvieren (unsere Sonntagszeitung informierte).

Das Beispiel Muhammad Ali

Skeptiker wittern bei Parkinson und Boxen einen Widerspruch in sich. Muhammad Ali, als weltbester Boxer und Jahrhundert-Athlet verehrt, litt an Parkinson. Grund sei das Boxen gewesen, lautet eine These. Bewiesen ist der Zusammenhang nicht, behauptet wird er weiterhin. Warum sollen dann ausgerechnet an Parkinson leidende Menschen also boxen?

„Es geht um Kraft und Beweglichkeit, um Arm- und-Bein-Koordination, um Reaktionsfähigkeit“, berichtet Dilar Kisikyol. „Die verlieren Parkinson-Patienten allmählich. Mit Boxen können wir diese Fähigkeiten beleben.“ Die auch Schüttellähmung genannte Erkrankung des zentralen Nervensystems lässt Muskeln versteifen, schränkt Beweglichkeit ein, führt zu Zittern von Armen und Beinen.

Unfallchirurg und Sportmediziner Professor Walter Wagner, seit 1977 Ringarzt im Boxen, sagt: „Durch Boxtraining können Parkinson-Patienten gezielt Koordination, Schnellkraft, Ausdauer und Kondition trainieren. Das hilft ihnen, die Herausforderungen der Krankheit anzunehmen.“ Warum nicht Radfahren, Laufen oder Schwimmen? Wagner: „Boxen ist die wohl universellste aller Sportarten.“

Nie wird gegeneinander gekämpft

Dabei geht es nur ums Training, also Schattenboxen, Pratzenarbeit, Schläge am Boxsack. Es geht nie um Kämpfe gegeneinander. Die Frauen in der Hamburger Gruppe, 43 bis 72 Jahre alt, sind angetan von den Übungen. „Sie kommen zu mir und sagen: Nach dem Training fühlen wir uns viel besser“, erzählt Kisikyol. „Das macht mich stolz. Gerade weil das ein neues Gebiet für mich ist.“ Die Frauen lieben sie geradezu. Ihren 30. Geburtstag im Februar hat die ansteckend fröhliche Sportlerin mit der Gruppe in der Boxhalle gefeiert.

Kursteilnehmerin Ute Stender-Killguß ist begeistert. „Das sind andere Bewegungsabläufe, viel anspruchsvoller als Krankengymnastik und Rehasport. Es macht mir Spaß, Kraft in Übungen reinzulegen“, sagt die 71-Jährige. „Ich merke, es bringt mir körperlich viel mehr. Ich habe Ansätze des typischen Parkinsongangs. Wenn ich nach dem Boxtraining nach Hause gehe, denke ich: Mensch, du bist doch kerngesund.“

Früher hatte Boxen einen hohen Igitt-Faktor bei den Kursfrauen. Kam Faustkampf im TV, nahmen sie Reißaus. „Wenn Dilar boxt, stehen wir auf der Matte“, schwört Stender-Killguß heute. „Wir haben uns schon Videos von ihr im Ring angesehen.“ Die in Leverkusen geborene Tochter kurdischer Eltern leitet das Parkinson-Projekt ehrenamtlich. Die Frauen- und Inklusionsbeauftragte des Hamburger Boxverbandes hat einen Motor, der heißt Leidenschaft. Während andere die Aussicht auf Karriere und höhere Gehaltsstufen antreibt, reicht bei Kisikyol Begeisterung.

„Ich brenne für das Boxen. Das war Liebe auf den ersten Blick“, schwärmt sie. „Als Kind hat mich meine Mutter zu Klavierstunden geschickt. Ich habe Fußball und Basketball probiert. Ich war ein bisschen tollpatschig, konnte mich für nichts richtig begeistern. Später wollte ich Polizistin werden, das hat nicht geklappt.“ Boxen aber hat sie immer fasziniert. Eine Ursache dafür vermutet sie in ihrer Säuglingsphase. Zur Welt kam sie als Drilling mit nur 1500 Gramm, war damit die Leichteste im Trio und am stärksten gefordert. „Mein Leben“, sagt sie, „hat mit einem Kampf begonnen.“

„Niederlagen sind nicht das Ende des Lebens“

Kisikyol will ihr soziales Engagement ausweiten. Sie möchte an Schulen Kurse für Inklusion und Gewaltprävention etablieren. Kontakt mit der Schulbehörde gab es bereits. Für ihr Projekt „Du kämpfst“ reichen die finanziellen Mittel nicht. „Ich suche Förderer“, sagt sie. Und auch: „Derzeit lebe ich von Ersparnissen.“ Als Sozialpädagogin ist sie selbstständig. Im Profiboxen gibt es nicht mehr wie zu Zeiten Regina Halmichs die großen Gagen. Dennoch: Sie jammert nicht, stöhnt nicht. „Boxen“, meint sie, „ist wie das Leben: kämpfen, durchbeißen. Niederlagen sind nicht das Ende des Lebens.“

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