Fussball Legendäre Spiele: Am Tag als der Regen kam

Pitsch-Patsch: Siegtorschütze Gerd Müller und Wladyslaw Zmuda.
Pitsch-Patsch: Siegtorschütze Gerd Müller und Wladyslaw Zmuda.

Durch das 1:0 gegen Polen zieht Deutschland bei der Weltmeisterschaft 1974 ins Finale gegen die Niederlande ein. Als „Wasserschlacht von Frankfurt“ brennt die Partie sich ins kollektive Gedächtnis. Es spritzt bei jedem Schritt, jede Grätsche wird zu einer Rutschpartie. Der Name des Moderators ist Programm.

Am Tag als der Regen kam, hauchte Dalida nicht die Titelmelodie des gleichnamigen Films in ein Mikrofon. Gerd Oswald führte nicht Regie, Mario Adorf und Elke Sommer gaben nicht ihr Schauspieltalent zum Besten. Am Tag als der Regen kam – man schrieb den 3. Juli 1974 – waren andere die Hauptdarsteller. Feuerwehrleute und als Helfer eingesprungene Jedermänner, die desperat und von Gischt umnebelt Walzen über den Platz im Frankfurter Waldstadion schoben.

Es sturzbachte. Der Rasen, das bemerkte Kommentator Ernst Huberty in der ihm eigenen Wortkargheit, glich einer Seenplatte. Petrus hatte es zu gut gemeint. 14 Liter Regen pro Quadratmeter prasselten kurz vor Anpfiff in einer halben Stunde auf den Platz nieder. Die Helfer waren redlich bemüht, das Grün trockenzulegen, ein Unterfangen, das beim Betrachten der Bilder auf YouTube ebenso herzerweichend wie fruchtlos wirkt. Uwe Seeler, einst als TV-Experte vor Ort, staunte nicht schlecht. In seiner Heimatstadt Hamburg regne es ja viel, bemerkte „Uns Uwe“, aber so etwas habe er noch nie erlebt.

Feuerwehr pumpt Wasser ab

Der Anpfiff musste verschoben werden. Mehrfach. Im Studio der ARD beantwortete Moderator Hans-Joachim Rauschenbach (Der Name war an diesem Tag Programm) zum Überbrücken der Zeit Zuschauerfragen. Ob er nun, da ja genügend Zeit sei, nicht in aller Ruhe mal die Abseitsregel erklären könne, wurde Rauschenbach gebeten, welche Stollenlänge wohl die beste sei und: Ob es angesichts der Umstände erlaubt sei, barfuß zu spielen. Schließlich rückte die Frankfurter Feuerwehr an und pumpte einiges an Wasser mit Schläuchen ab. Der österreichische Referee Erich Linemayr erklärte den Platz für passabel. Ein Kalauer.

Komiker Dieter Hallervorden hätte die nun bald angepfiffene Partie zwischen Deutschland und Polen vermutlich als gespielten Witz in sein Programm „Nonstop Nonsens“ aufgenommen, sie fand auf dem am schlechtesten zu bespielenden Untergrund der Weltmeisterschaftsgeschichte statt. Der deutsche Flügelspieler Bernd Hölzenbein erinnerte sich 2015 in einem Beitrag von Kicker-TV, selbst Franz Beckenbauer, der ja „der beste Techniker aller Zeiten“ gewesen sei, habe „unglaublich viele Fehler“ begangen, „es war extrem.“ Polens Stürmer Grzegorz Lato, mit sieben Treffern Schützenkönig des WM-Turniers, sagte: „Es war wie Wasserpolo. Diese Verhältnisse waren eine Katastrophe.“

Polen erspielt sich Chancen im Dutzend

Immer wieder bremsten Wasserlachen den Ball aus, kein Flachpass im Mittelfeld kullerte weiter als über drei, vier Meter, ehe eine Pfütze ihn einsaugte. Es plätscherte bei jedem Schritt. Jedes Tackling wurde zu einer Schlitterpartie. Die flinken, technisch gewieften Polen litten. Gleichwohl dominierten sie. Das Team von Trainer Kazimierz Gorski hatte bis dahin sämtliche WM-Spiele gewonnen.

Keiner anderen Mannschaft war das gelungen, nicht mal den Niederländern um Johan Cruijff. Trotz der lausigen Umstände erspielte Polen sich Chancen im Dutzend. Doch es hatte das Pech, dass Sepp Maier im deutschen Torgeviert vermutlich das beste seiner 95 Länderspiele absolvierte. Maier gegen alle. „Polen war damals die beste Mannschaft“, urteilte Hölzenbein, „nur: Sie hatten nicht den Nerv, die Tore zu machen.“

Gerd Müllers Siegtor

Der deutschen Elf hätte in diesem letzten Spiel der Zwischenrunde ein Remis zum Finaleinzug genügt, doch sie gewann durch einen Treffer von Gerd Müller in der 75. Minute mit 1:0. Zuvor hatte Uli Hoeneß einen Elfmeter verschossen. 30 Millionen Menschen sahen allein in Deutschland zu, 500 Millionen weltweit. In das kollektive Fußballgedächtnis hat die Partie sich als „Wasserschlacht von Frankfurt“ gebrannt.

Die Walzen stehen noch heute im Fußballmuseum der Arena. Franz Beckenbauer sagte einmal: „Unter normalen Bedingungen hätten wir wohl keine Chance gehabt.“ Wie fast auf den Tag genau 20 Jahre zuvor beim Wunder von Bern, als Fritz Walter und Kollegen 1954 die hochfavorisierten Ungarn niedergerungen hatten, rettete der Regen ein deutsches Team erneut.

Verzweifelt: Helfer versuchen, die Wassermassen vom Rasen zu walzen.
Verzweifelt: Helfer versuchen, die Wassermassen vom Rasen zu walzen.
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