Sport Die schwarze Bestie faucht noch

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München. Erst vital dank Vidal, am Ende resigniert wegen Ronaldo: Muss Bayern München den Traum von einem Triumph in der Fußball-Champions-League nach dem 1:2 im Viertelfinal-Hinspiel gegen Real Madrid für diese Spielzeit bereits bestatten? Trainer Carlo Ancelotti verneint: „Wir sind am Leben!“

Es gab in München mal einen Stürmer namens Adolfo Valencia. Er spielte nur etwas mehr als eine Saison für den FC Bayern, 1993/94. Der Kolumbianer sollte die Roten nach drei Jahren ohne Meistertitel wuchtig zurück auf den Gipfel führen. Schließlich eilte ihm der Spitzname „El Tren“ voraus: der Zug. Elf Tore erzielte Valencia (manch eines wirkte wie Slapstick), doch die Erwartung an einen nicht zu bremsenden Kraftprotz wurde enttäuscht. Bisweilen wirkte er wie eine Regionalbahn mit Getriebeschaden. Und sein Torschuss – nun ja. Nicht umsonst nannte ihn Franz Beckenbauer den „Entlauber“. Allzu viele Bälle rauschten derart weit über das gegnerische Tor, dass sich im Olympiapark die Bäume wegduckten. Das Hinspiel des Viertelfinales der Champions League gegen Real Madrid hat Beckenbauer gewiss betrachtet, vielleicht fühlte er sich in der 45. Spielminute, die in dieser Begegnung die entscheidende sein sollte, um zweieinhalb Jahrzehnte zurückversetzt. Arturo Vidal, aufgepumpt durch sein Tor zum 1:0 (25.), schritt zum Elfmeterpunkt. Die Ausführung konnte ihm gar nicht schnell genug gehen. Mehrfach bedeutete er Keeper Keylor Navas, sich endlich in den Kasten zu schleichen. Vidal barst vor Energie, und als er dann endlich schießen durfte – drosch er den Ball ins Nirgendwo. Die spanische Sportzeitung „As“ schrieb dazu, der Chilene habe Real ein Extra-Leben geschenkt, und auf der Tribüne entsann sich Präsident Uli Hoeneß vermutlich eigener sportlicher Kalamitäten. 1976, Endspiel der Europameisterschaft, Elfmeterschießen – Hoeneß, der Entlauber. Es ist eine reine Hypothese, doch hätte Vidal das 2:0 erzielt, wären die Bayern vermutlich mit einer prächtigen Ausgangsbasis nach Madrid gereist. So aber drohen sie mit der Bürde eines 1:2 im Estadio de Bernabéu ins offene Messer zu laufen und Harakiri zu begehen. Sie müssen mit mindestens zwei Toren Differenz siegen oder gewinnen und dabei auf jeden Fall drei Treffer erzielen. „Es hat schon größere Geschichten im Fußball gegeben, als das noch zu drehen“, sagte Thomas Müller trotzig. Eine zutreffende Aussage des Ur-Bayern. Noch ist alles möglich. Doch Real ist Real, immerhin Rekordsieger der Champions League und deren Titelverteidiger. In der verbliebenen halben Stunde nach der Gelb-Roten Karte gegen Javi Martinez besaß die Elf von Carlo Ancelotti keine Torchance mehr, bis dahin waren es drei gewesen, abgesehen vom Elfmeter. Müllers These, das Spiel sei nach dem 1:1 durch Cristiano Ronaldo (48.) „total gekippt“, stimmt nur gefühlt. In der Tat wirkte der FC Bayern zunächst agiler, der Ausfall Robert Lewandowskis aber reduzierte das Gefahrenpotenzial erheblich. Auf der anderen Seite erspielten sich die „Königlichen“ außer Ronaldos 1:2 (77.) ein halbes Dutzend opulenter Gelegenheiten. Und, nicht zu vergessen: Karim Benzema hatte schon vor der Pause den Ball ans Aluminium geköpft. Torwart Manuel Neuer allein verhinderte eine Schmach, dank ihm lebt die Hoffnung auf eine Wende im Rückspiel. Ronaldo, der anfangs einen Freistoß weit über die Latte schoss (besitzt etwa auch Real einen Entlauber?), hat als erster Fußball-Profi nun 100 Tore in Europacup-Wettbewerben erzielt. „Die Bestie trägt schwarz und heißt Cristiano Ronaldo“, titelte die Sportzeitung „Marca“ in Anlehnung an den Mythos der „Bestia negra“, den sich eigentlich die Bayern mit ihren Erfolgen seit 1976 gegen Real erarbeitet hatten. Faucht es noch, das Ungetüm? „Unser Glaube ist groß, sonst wären wir nicht beim FC Bayern“, sagte Thomas Müller, „wir haben die Qualität und die Leidenschaft.“ Toni Kroos, der Mittelfeldstratege Reals, mahnte: „Es wird definitiv noch mal eng. Für etwas anderes ist Bayern zu gut.“ Was zu beweisen wäre. Kommentar

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