Paralympics Die deutsche „Küken-WG“ räumt ab

Auf Goldkurs: Leonie Walter und ihr Guide Pirmin Strecker.
Auf Goldkurs: Leonie Walter und ihr Guide Pirmin Strecker.

Die 15 Jahre alte Linn Kazmaier und die drei Jahre ältere Leonie Walter haben schon an den ersten Tagen ihrer Paralympics-Premiere in Peking überrascht. Die – vorläufige – Krönung schaffte nun gestern Walter mit Gold im Biathlon über zehn Kilometer.

Direkt hinter der Linie fiel Leonie Walter entkräftet auf den Rücken – doch als klar war, dass die 18 Jahre alte Biathletin Paralympics-Gold gewonnen hat, gab es kein Halten mehr. „Ich habe die ganze Zeit nach oben geschaut und mich gefragt: Wo bleibt die Zeit?“, erzählte Walter mit zittriger Stimme: „Dann sind alle aufgesprungen, und ich wusste, ich hab’s.“

Im Teamkreis werden Walter und ihre drei Jahre jüngere Zimmergenossin Linn Kazmaier nur die „Küken-WG“ genannt. Und die liefert bei den Paralympics zuverlässig. Doch mit dieser goldenen Krönung durch Walter hätte niemand gerechnet.

Anruf bei der Mama während TV-Interview

Die zehn Kilometer in der Klasse der Sehbehinderten hatte die Schülerin in der Loipe von Zhangjiakou mit bemerkenswerter Coolheit gemeistert. Beim Live-Anruf bei Mutter Renate im Schwarzwald während eines ARD-Interviews verschlug es ihr dann aber die Sprache. Lachend und kommentarlos hörte sie sich an, wie die Mutter ihr zurief, wie „unfassbar“ und „unglaublich“ das alles sei. Und dass „ganz St. Peter jetzt auf dich wartet.“

Mit Silber für Fahnenträger Martin Fleig und Bronze für Anja Wicker gab es am Ruhetag der alpinen Athleten sogar einen kompletten Medaillensatz für den Deutschen Behindertensportverband (DBS). Doch das zweite Gold nach dem von Anna-Lena Forster überstrahlte alles. Und war die Krönung des Auftritts von Leonie Walter und ihrer diesmal geschonten Zimmergenossin Linn Kazmaier. Nach zweimal Silber der 15 Jahre alten Kazmaier und zuvor zweimal Bronze für Walter hat das sehbehinderte Teenager-Duo aus der „Küken-WG“ schon fünf Medaillen geholt.

„Das ist über alle Erwartungen hinaus“, sagte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. Der 75-Jährige war außer Atem, er war auf der Ziellinie neben Walter hergelaufen, um sie anzufeuern. „Und nun strahle ich mit der Sonne um die Wette“, sagte er.

„Eine coole Socke“

„Ich habe erstmal Bier in die Wachskabine gebracht“, berichtete Deutschlands Chef de Mission Karl Quade. Verdient, wie Bundestrainer Ralf Rombach fand. „Das war auch eine Materialsache“, sagte er: „Aber wie Leonie in so jungen Jahren die Nerven behält, ist schon sehr besonders. Sie ist einfach eine coole Socke.“

Dass die zuvor stets direkt vor Walter platzierte Kazmaier am Dienstag pausierte, sei dennoch kein Fehler gewesen, beteuerten alle. „Man muss vorsichtig sein, was man einem 15-jährigen Körper zumutet“, betonte Beucher. Quade erklärte, man könne eine so junge Athletin nicht sechsmal starten lassen: „Wer weiß, was man damit nachhaltig kaputtmacht.“ Und Rombach stellte gleich die nächste Überraschung in Aussicht: „Linn wollte gerne für den Sprint am Mittwoch viele Körner haben.“

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