1. FC Kaiserslautern Abpfiff – der Betzenberg-Krimi (8)

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In welchem ein silberfarbener Alukoffer verschwindet – dafür aber ein roter Damenslip auftaucht.

Was soll ich euch sagen? War es das gute Herz von dem Feldkamp oder der Instinkt von dem alten Reporter, sich so eine Gelegenheit nicht entgehen zu lassen? Ihr ahnt es schon: Statt nach Norden ist er an diesem Tag nach Süden gefahren. Statt zurück nach Hamburg nach Memmingen im Allgäu. Und statt in seinem alten Golf Diesel in einem grau metallic lackierten Audi A8 mit dem kleinen Rollkoffer von dem Schiedsrichter im Kofferraum – und einem Plastikbeutel mit unangenehm riechender Schmutzwäsche.

Bis zum Autobahndreieck Karlsruhe hat die Frau Sandig dann eigentlich kein Wort mehr gesagt, und der Feldkamp genug Zeit gehabt, über so einiges nachzudenken.

Wie zum Beispiel kommt ein kleiner Zollinspektor zu einem A8, zu so einem teuren Auto? Wieso kann er sich eine Hotelsuite leisten? Oder bezahlt der DFB seine Schiedsrichter so gut? Oder noch viel interessanter: Was hat der Kerl an der Hotelbar gesoffen, dass er 128 Euro auf der Rechnung hatte? Champagner? Oder hat er Runden ausgegeben? Ich muss unbedingt mit dem Barkeeper reden, denkt er sich und schaut verstohlen zu der Frau des Schiedsrichters auf dem Beifahrersitz.

Die scheint sich inzwischen wieder ein bisschen beruhigt zu haben. Doch sie ist immer noch total angespannt, wie sie dasitzt, die Hände um den Bügel ihrer Handtasche geklammert, die Augen starr nach vorne gerichtet. Auf den zweiten Blick ist sie eigentlich gar nicht so unhübsch, denkt der Feldkamp und überlegt, was er jetzt eigentlich sagen soll. In so einer Situation ist er auch noch nicht gewesen. Mit einer wildfremden Frau im selben Auto zu sitzen, die gerade ihren Mann verloren hat. Und außerdem fällt ihm gerade noch etwas anderes ein, etwas, das er schon fast vergessen hätte.

Irgendetwas war ihm aufgefallen auf dem Foto, das ihnen der Anton Hofreiter gezeigt hat. Irgendetwas, das nicht so richtig gepasst hat zu der ganzen Situation mit dem toten Schiedsrichter auf dem Bett und seinen im Badezimmer verstreuten Klamotten. Aber er kommt einfach nicht drauf. Er muss sich das Foto unbedingt noch einmal ansehen.

„Eigentlich, eigentlich … habe ich ihn gar nicht geliebt.“

Als die Frau Sandig plötzlich den Mund aufgemacht hat, ist der Feldkamp fast auf den Stau aufgefahren, der sich kurz hinter dem Abzweig nach Stuttgart vor einer Baustelle gebildet hat.

Dann hat sie wieder angefangen zu weinen, und der Feldkamp hat jetzt erst recht nicht gewusst, was er sagen soll. Weil, wenn es um Liebe und solche Gefühle geht, ist er immer noch so stumm und unsicher wie als 17-Jähriger in der Tanzstunde.

„Eigentlich habe ich ihn gar nicht richtig gekannt.“

Gott sei Dank scheint die Frau Sandig auch gar nicht zu erwarten, dass er etwas sagt. Sie hört sogar auf zu schluchzen. Und plötzlich bricht es aus ihr heraus wie ein aufgestauter See, der sich talwärts stürzt: Wie sie schon als junges Mädchen ihre Eltern hat pflegen müssen. Wie sie dann nach deren Tod begonnen hat, auch fremde alte Menschen zu pflegen. Schwarz und gegen schlechte Bezahlung. Weil das ja das Einzige gewesen war, was sie gekonnt hat ohne richtigen Schulabschluss und Lehre. Und wie sie so auch in das Haus des Schiedsrichters Peter Sandig gekommen ist zu seiner dementen Mutter. Wie sie dort drei Jahre lang den Haushalt geführt hat, bis auch die tot war. Und wie sie dann der Sandig einfach übernommen hat nach der Beerdigung – als Ehefrau. Denn so war sie noch billiger gewesen als vorher.

Wo ist der silberne Rollkoffer?

Der Feldkamp hat weiterhin nur zugehört. Total neugierig erst. Aber auch etwas peinlich berührt, dass ihm plötzlich die Frau ihr ganzes Leben erzählt. Aber je mehr sie erzählte vom Bügeln, Wäschewaschen und Kochen für ihren Mann, dass er eigentlich nie zu Hause gewesen ist, nur auf der Arbeit und am Wochenende beim Fußball, umso mehr hat er das Interesse verloren daran. Mag ja sein, hat er immer mehr gedacht, dass der Sandig nicht nur auf dem Platz ein Stinkstiefel gewesen ist, aber aus der Geschichte geht immer mehr die Luft raus. Außerdem war es eine scheiß Fahrerei. Ständig neue Baustellen. Ständig Stau. Er musste sich höllisch auf den Verkehr vor sich konzentrieren.

Ehrlich gesagt hat sich der Feldkamp nebenbei auch auf etwas anderes konzentriert: den Passat mit Duisburger Kennzeichen auf der linken Spur nämlich, der immer wieder an ihm vorbeikroch und dann wieder zurückfiel. Duisburg – das ist der nächste Gegner vom FCK. Auswärtsspiel, schwer, aber machbar. Doch ist Duisburg nicht eigentlich ein gutes Pflaster für Kaiserslautern? Haben wir in Duisburg nicht den höchsten Auswärtssieg in der Bundesliga gefeiert? Ja! 7:1! 1994. Und in der letzten Saison haben wir dort auch gewonnen!

Jetzt muss er nur noch vor dem Passat in die Baustelle kommen. Dann ist das ein gutes Omen!

Gewonnen hat – natürlich der Passat. Weil, es ist ja bekannt, dass die, die sich vor einer Baustelle einfädeln müssen, immer schneller, weil rücksichtsloser sind. Die brettern einfach an dir vorbei, setzen Blinker und quetschen sich auf den letzten Metern in deine Spur. Gut, du kannst dann stur bleiben und es darauf ankommen lassen, wer die stärkeren Nerven hat. Aber selbst das ist dem Feldkamp nicht gelungen, ihn nicht reinzulassen, den Duisburger. Denn der ist längst außer Sichtweite, als er endlich die Baustelle erreicht hat.

Das ist der Moment gewesen, als der Feldkamp endgültig eine Zigarette gebraucht hat – und plötzlich wieder hellwach war. Was hatte die Frau Sandig gerade gesagt?

„Wo ist eigentlich sein Koffer?“

„Welcher Koffer?“, fragt er. „Der Rollkoffer, den er mit im Hotel gehabt hat? Der liegt doch hinten im Kofferraum.“

„Nein. Den meine ich nicht. Mein Mann hatte doch immer noch einen anderen Koffer mit. So einen silbernen, so einen großen Aktenkoffer aus Aluminium. Den haben sie mir im Hotel nicht gegeben.“

Der Feldkamp ist dann am nächsten Rastplatz rausgefahren, hat sich eine Zigarette angezündet und sich von der Frau Sandig noch einmal alles haarklein erzählen lassen: Am Morgen war sie bei der Kripo gewesen, wo man ihr anstandslos den kleinen Rollkoffer zurückgegeben hat, den die Beamten mit aus der Suite genommen hatten. Nicht, ohne ihr versichert zu haben, dass ihr Mann eines natürlichen Todes gestorben sei. Laut Autopsie an einem Herzinfarkt. Was zwar in diesem Alter nicht sehr oft vorkäme, aber auch nicht ungewöhnlich sei. Warum es zu dem Infarkt gekommen war, müsse noch durch eine „ferensische Toxikolie“ abgeklärt werden.

Hm, denkt der Feldkamp. Wahrscheinlich meint sie damit eine forensische Toxikologie. Aber das darf man ihr nicht vorwerfen, dieser einfachen Frau, dass sie einen so komplizierten Begriff nicht richtig aussprechen kann. Wenn er ehrlich ist, hat auch er damit seine Schwierigkeiten, und wenn er jetzt erklären müsste, was dabei genau gemacht wird, käme er auch ins Schleudern. Irgendetwas mit chemischen Feinuntersuchungen auf jeden Fall. Er muss das nachher noch einmal genau bei Wikipedia nachschauen.

Und jetzt fällt ihm auch ein, dass er vor Kurzem davon etwas gelesen hat. Ja, im Zusammenhang mit dem jungen belgischen Radrennfahrer, der beim Klassiker Paris–Roubaix tot vom Rad gefallen ist. Auch bei dem hatten sie einen Herzinfarkt festgestellt und eine forensische Toxikologie angeordnet, um die genauen Ursachen für den Infarkt zu finden.

Bei Radrennfahrern denkt nicht nur der Feldkamp automatisch an Doping, und der junge Belgier wäre nicht der Erste, der dafür mit dem Leben bezahlt hat. Hat der Sandig sich vielleicht auch gedopt? Aber was soll das für einen Sinn haben für einen Schiedsrichter? Und vielleicht ist das ja auch nur die reine Routine, dass sie das jetzt auch bei dem Sandig machen. Oder die reine berufliche Neugier. Weil, so ein toter Schiedsrichter kommt ja für die Gerichtsmediziner auch nicht gerade jeden Tag vor. Auf jeden Fall, das weiß er auch, dauern solche Untersuchungen Wochen, wenn nicht Monate.

Aber interessant ist das schon, denkt der Feldkamp. Und wer weiß: Vielleicht hat die Mutter ja doch recht, dass der Sandig in Wirklichkeit umgebracht worden ist? Das mit dem verschwundenen Koffer ist ja auch etwas merkwürdig. Oder hat sich die Frau Sandig nur geirrt?

Zuerst schaut der Feldkamp noch einmal im Kofferraum nach. Aber außer dem kleinen Rollkoffer ist da nichts. Bis auf die Tüte mit Sandigs Schmutzwäsche natürlich. Und die riecht immer noch sehr unappetitlich.

Zur Sicherheit ruft der Feldkamp dann noch einmal im Hotel an. Doch der Anton Hofreiter, nicht verwandt und verschwägert mit dem gleichnamigen grünen Politiker, schwört Stein und Bein, dass sie keinen silbernen Alukoffer hätten, und dass er sich auch nicht erinnern könne, einen bei ihm im Zimmer gesehen zu haben, und dass er sich in solchen Dingen noch nie getäuscht hätte, und dass der Feldkamp doch nicht vergessen würde, das mit der Rechnung zu erledigen.

Der Feldkamp würgt seinen Redeschwall ab, murmelt etwas, dass die Leitung doch sehr schlecht sei, und legt einfach auf. Wenn der Hofreiter erst einmal ins Rollen kommt, ist er nur noch schwer zu bremsen. „Vielleicht hat er ihn diesmal ja zu Hause gelassen“, sagt er zu der Frau Sandig. „Vielleicht hat er ihn einfach vergessen oder diesmal nicht gebraucht.“

Die kleine Frau schüttelt energisch den Kopf. „Wenn ich es Ihnen doch sage, Herr Feldkamp. Der hat den Koffer immer mitgenommen. Der hat ihn nie alleine gelassen. Und ich frage mich, warum eigentlich?“

Das fragt sich der Feldkamp auch und schnippt den Stummel seiner Zigarette in Richtung eines Gullys am Straßenrand. Wenn der Koffer auch nicht beim Sandig zu Hause ist, kann er eigentlich nur noch bei der Kripo sein. Und wenn dem so ist, ist die Frage, warum die Polizei ihn nicht seiner Frau zurückgegeben hat wie die anderen persönlichen Gegenstände auch.

Der Zigarettenstummel trifft zwar den Gully, prallt aber von einem der Gitterstäbe ab und landet auf dem Asphalt. Mist, denkt der Feldkamp. Wieder nicht drin! Wieder nur Latte oder Pfosten. Wie so oft in dieser verfluchten Saison. Auf jeden Fall wieder ein schlechtes Zeichen. Es sieht auch in Duisburg nicht gut aus für den Betze.

Und wem gehört der rote Slip?

Das Haus, in dem der Sandig wohnt, oder, wie ich ja jetzt wohl besser sagen muss, gewohnt hat, liegt in einer Vorortsiedlung von Memmingen. Ein Bungalow aus den 1960er-Jahren mit Vorgarten, Garage und schmiedeeisernen Gittern vor Tür und Fenstern. Etwas angegraut schon, aber der Rasen sieht aus, als sei er mit der Nagelschere geschnitten, und unter den Rhododendronbüschen ist nicht das kleinste Unkraut zu sehen. Und das Erste, was dem Feldkamp dazu eingefallen ist, war: Das passt zu dem „Dibbelschisser“!

Muss ich jetzt erklären, was im Pfälzischen mit einem „Dibbelschisser“ gemeint ist? Das ist einfach: nichts anderes als ein Korinthenkacker, also ein Typ, der es mit allem übertrieben genau nimmt.

Was mir etwas schwerer fällt zu erklären, ist aber das Verhalten von der Frau Sandig, als sie mit dem Feldkamp ins Haus gegangen ist. Auch der Feldkamp hat später Schwierigkeiten gehabt, mir das mit den richtigen Worten begreiflich zu machen: „Irgendwie war das, als ob der Sandig eigentlich gar nicht mehr tot war“, hat er gesagt. „Nur, dass ich plötzlich seinen Platz im Haus einnahm. Erst hat sie mir die Pantoffeln von ihrem Mann geholt, dann ein Bier, den Fernseher angestellt …“

Und so sitzt der Feldkamp plötzlich zwischen altdeutscher Eiche und einer rosa geblümten Couchgarnitur in einem Ungetüm von Fernsehsessel, starrt auf ein possierliches Affenbaby, das von einem Tierpfleger mit einer Milchflasche gesäugt wird – und fragt sich, was er hier eigentlich tut und ob es nicht doch besser ist, sich jetzt zu empfehlen und wieder nach Hause zu fahren.

Doch dann fällt ihm ein, dass sein Auto ja immer noch vor dem Hubertushof steht und er ja nun mit dem Zug zurück in die Pfalz muss, und dazu muss er wissen, wann und ob überhaupt heute noch einer fährt. Oder soll er sich ein Hotel in Memmingen nehmen?

Viel weiter kommt der Feldkamp mit seinen Überlegungen nicht. Als er gerade auf seinem Handy nachschauen will, hört er einen markerschütternden Schrei aus der Küche:

„Jesus!!! Was ist das denn?“

Im Badezimmer steht die Frau Sandig mit Gummihandschuhen vor der Waschmaschine. Zu ihren Füßen den Rollkoffer mit der Kleidung des Sportkameraden Sandig, daneben der Plastikbeutel mit der Schmutzwäsche ihres Mannes. In der rechten Hand hält sie eine bräunlich verfärbte Jeans und in der linken zwischen spitzen Fingern – einen knallroten Damenslip.

Weiterlesen? Alle Teile des Betze-Krimis finden Sie hier.

Zur Person

Udo Röbel, geboren 1950 in Neustadt an der Weinstraße, ist Journalist und Autor. Der ehemalige RHEINPFALZ-Volontär wurde später in die Chefredaktion des Kölner „Express“ und an die Spitze der BILD-Zeitung berufen. Für seine Rolle in der sogenannten Kießling-Affäre wurde er mit dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse ausgezeichnet. 1988 stieg er bei der Geiselnahme von Gladbeck zu Entführern und Geiseln ins Auto. Das Verhalten der Medien während der Geiselnahme führte zu einer Erweiterung der Richtlinien im Pressekodex. Heute lebt Röbel in Hamburg und Berlin. Ein Interview mit dem Autor finden Sie hier.

Journalist und Autor Udo Röbel.
Journalist und Autor Udo Röbel.

An dieser Stelle finden Sie ein Video via GlomexSport.

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