1. FC Kaiserslautern Abpfiff – der Betzenberg-Krimi (4)

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In welchem sich die Frage stellt, ob man Mutters Geburtstag in einem Hotel feiern darf, in dem ein toter Schiedsrichter gefunden worden ist.

Als der Feldkamp in Haßloch ankommt, steht seine Mutter schon in der Tür. Wie klein und zerbrechlich sie inzwischen geworden ist, denkt er und achtet darauf, dass er sie nur ganz behutsam in die Arme nimmt. Nicht so wie im letzten Jahr, als er ihr bei der Begrüßung fast die Rippen angeknackst hätte und sie den ganzen Geburtstag sich immer wieder stöhnend in die Seite gegriffen hatte.

Aber sonst ist sie immer noch fit für ihr Alter, die Mutter vom Feldkamp. Auch wenn ihr Herz ein bisschen schwächer geworden ist und sie darauf achten muss, regelmäßig ihre Tabletten zu nehmen. Ansonsten versorgt sie sich immer noch selbst und lebt immer noch allein in dem Haus, das sich seine Eltern vor 50 Jahren vom Munde abgespart haben. Sein Vater ist schon vor 14 Jahren gestorben. Aber nach seinem Tod ist sie noch einmal richtig aufgeblüht. Endlich kein Mann mehr im Haus, der sie gängelte, der so gut wie nie mit ihr ausging und von seinem ganzen Temperament so überhaupt nicht zu ihr gepasst hat. Danach ist sie richtig um die Häuser gezogen. Also jetzt vielleicht nicht genau in dem Sinne, aber den einen oder anderen Schoppen hat sie sich schon gegönnt, und auch heute noch geht sie mindestens zweimal die Woche zu den Seniorentreffs, wo sie selbst verfasste Gedichte vorträgt.

Hinter seiner Mutter steht die Schwester vom Feldkamp. Und wie immer, wenn er sie sieht, schämt er sich ein bisschen. Denn es ist die Claudia, die sich um die Mutter kümmert. Die jeden Tag nach ihr schaut, die mit ihr zum Arzt geht, die das Haus in Schuss hält – und auch die Tage aushalten muss, an denen die Mutter launig und störrisch sein kann, wie das halt manchmal so ist bei alten Leuten.

Die Claudia ist auch Journalistin geworden. Hat genauso wie der Feldkamp bei der „Rheinpfalz“ volontiert, ist aber im Gegensatz zu ihm bei der Lokalzeitung geblieben. Wenn auch nicht mehr in Vollzeit. Doch die gewonnene Freizeit geht eigentlich jetzt für die Mutter drauf, was das schlechte Gewissen vom Feldkamp nicht gerade besser macht. Vielleicht ist auch deshalb seine Stimme etwas belegt, als er sie an sich drückt: „Hallo Schwesterherz, schön, dich zu sehen!“

Seiner Schwester scheint das nicht aufzufallen. „Und?“, fragt sie. „Braucht der Bu erst einmal ein Leberwurstbrot?“

Der Feldkamp grinst und nickt. Dass er zur Begrüßung erst einmal ein Brot mit Hausmacher Leberwurst kriegt, ist schon zu einem Ritual geworden. Genauso, dass ihn seine Schwester mit „Bu“ anspricht. Wobei – das muss ich jetzt vielleicht erst einmal dem einen oder anderen Nichtpfälzer erklären. Also: „Bu“ bedeutet auf Pfälzisch nichts anderes als „Bub“, als Junge, Knabe oder größeres männliches Kind. Und bevor ich erkläre, was die Claudia damit meint, möchte ich mir einmal mehr erlauben, darauf hinzuweisen, um wie viel treffender und warmherziger ein Dialekt doch manchmal sein kann als das Hochdeutsche. Besonders der pfälzische Dialekt. Ich bitte euch! Wie bescheuert hätte denn das geklungen, wenn die Claudia den Feldkamp gefragt hätte: „Braucht der Bub ein Leberwurstbrot?“

Es heißt „Lewwerworschdebrod“!

Die Claudia hat natürlich auch nicht Leberwurstbrot gesagt, sondern Lewwerworschdebrod. Und das klingt doch gleich viel mehr zum Reinbeißen als im Hochdeutschen.

Aber zurück zum „Bu“. Für die Claudia ist der Feldkamp nicht nur ihr großer Bruder. Das sagt sie zu ihm, wenn sie mit ihm in Hamburg telefoniert. Doch wenn er zurück in die Pfalz kommt, ist er der „Bu“, der nach Hause kommt. Fast so wie in der Geschichte vom verlorenen Sohn. Und wie in der Bibel muss alles aufgeboten werden, was Küche und Keller zu bieten haben.

Das Lewwerworschdebrod schmiert seine Mutter, und Feldkamp ist am Überlegen, wie viele Lewwerworschdebrode sie in ihrem Leben schon für ihn gemacht hat. Von der Grundschule bis zum Gymnasium, jeden Tag gab es immer nur Lewwerworschdebrode für die Pause. Eigentlich müsste er sich davon längst übergegessen haben, doch auch jetzt beißt er voller Genuss in das frische Brot, während seine Schwester ihm einen Rieslingschorle einschenkt. Einen Pfälzer Schorle, wie sie betont: zwei Drittel Wein im 0,5-Liter-Schoppen-Glas und ein Drittel Sprudelwasser. In diesem Augenblick klingelt es an der Tür.

Wie aufs Stichwort schleppt Schorsch, der Mann von der Martina, eine Kiste Wein ins Haus. Schorsch ist Selbstversorger. Unterhalb des Hambacher Schlosses hat er noch einen eigenen kleinen Weinberg, der ausreicht, um seinen Jahresbedarf an Rieslingschorle zu decken. Wobei man wissen muss, dass ich kaum einen anderen Menschen kenne, der so ein inniges und liebevolles Verhältnis zu seinem Schoppenglas hat wie der Schorsch.

Auch jetzt muss er erst einmal einen Schluck nehmen, ehe er sich zu Feldkamp und seiner Mutter auf die Terrasse setzt. „Das mit dem toten Schiedsrichter hast du schon gehört?“, fragt er. „Und dass sie das Spiel abgesagt haben?“

Noch ehe der Feldkamp antworten kann, rutscht seine Mutter näher an den Schorsch ran.

„Was? Schiedsrichter? Tot?“, sprudelt es aus ihr heraus. „Haben sie ihn ermordet? – Hach, das wäre was für den Großvater gewesen!“

Schorsch und der Feldkamp lächeln sich nur stumm an. Die beiden wissen, was jetzt gleich kommen wird. Der Vater von der Mutter war nämlich Kriminalkommissar gewesen. Vor dem Krieg. In Worms. Und vielleicht ist das mit ein Grund dafür, dass die Mutter schon immer gleich wilde Fantasien hat, wenn sie so etwas hört.

„Der Vater war ja Kriminalkommissar gewesen in Worms“, beginnt sie. „Und habe ich euch schon einmal die Geschichte mit dem Hut und dem Schweißband erzählt? Den hat der Mörder am Tatort verloren. Und der Vater hat ihn überführt, weil er in dem Schweißband festgestellt hat, dass er Zucker gehabt hat, der Mörder. Und als er gesehen hat, wie die Nazis damals die ersten Wohnungen der Juden geplündert haben, hat er gesagt: Des bricht dem Hitler das Genick. Einen Tag später haben sie ihn abgeholt …“

„Ist ja gut, Mutter!“, fällt der Feldkamp ihr ins Wort und tätschelt ihre Hand dabei. Wenn man die Mutter erst einmal ins Rollen kommen lässt, hört sie nicht auf, von früher zu erzählen. Wie das halt so ist bei alten Leuten. Aber wenn man diese Geschichten schon tausendmal gehört hat, ist es manchmal schon etwas nervig. Besonders jetzt, wo der Schorsch doch gerade mehr über den toten Schiedsrichter erzählen will. Dass er selbst schon oben auf dem Berg gewesen ist und versucht hat, etwas darüber herauszufinden, sagt er lieber nicht. Nicht nur die Mutter würde ihn dann mit Fragen löchern.

„Also nichts Genaues weiß man noch nicht“, fährt der Schorsch fort. „Nur, dass ihn das Zimmermädchen tot in seinem Bett gefunden hat. Im Hub…“

Mitten im Satz fängt der Schorsch an zu stocken. Und jetzt sieht auch der Feldkamp, dass seine Schwester hinter die Mutter getreten ist und hinter ihrem Rücken hektische Handzeichen macht und immer wieder beschwörend den Finger auf den Mund legt.

„Aber so, wie es aussieht, war es nur ein Herzinfarkt“, kriegt der Schorsch gerade noch die Kurve. Und Feldkamp ist jetzt total verwirrt. Warum will seine Schwester, dass er nicht weitererzählt?

Geburtstagsfeier am Fundort der Leiche

„Noch einen Schorle?“, fragt er stattdessen den Feldkamp und nimmt selbst noch einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Was mir die Gelegenheit gibt, noch einmal grundsätzlich zu werden: Ja, liebes Rechtschreibprogramm, ich weiß, dass es natürlich d i e oder e i n e Schorle heißen muss. Aber in der Pfalz ist der Rieslingschorle halt männlich. Oder wie es der Feldkamp jetzt ausdrücken würde: „Mein erster Chefredakteur war Berliner, und der hat in solchen Fällen immer gesagt: Ist mir egal, was im Duden steht. Wir hamm mehr Auflage, wa?“

Und überhaupt. Wahrscheinlich ist euch eh schon aufgefallen, dass ich diese Geschichte so aufgeschrieben habe, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und dabei lieber auch mal auf die Grammatik pfeife, als gekünstelt zu klingen.

Und damit zurück zu dem Schorsch, der den Feldkamp gerade in Wirklichkeit natürlich gefragt hat: „Noch“n Schorle?“

Für die Mutter ist dies das Stichwort, ihren Sohn zu fragen, ob er vielleicht nicht doch noch ein Lewwerworschdebrod haben will, so dünn, wie er aussieht. Um dann ohne Punkt und Komma auf ihren morgigen Geburtstag zu sprechen zu kommen: „Also, wenn morgen wieder der Kerl von dem Altenheim kommt“, sagt sie. „Der so auf fromm tut und mit mir immer über das Sterben reden will, den lass ich nicht rein. Der hockt dann stundenlang bei uns herum und isst mir die ganzen Kanapees leer, der Schmarotzer.“

Feldkamp nutzt die Gelegenheit, um sich in die Küche zu verdrücken, wo seine Schwester gerade die Silberplatten für die Geburtstagsschnittchen für morgen putzt.

„Was war denn das eben?“, fragt er. „Warum sollte der Schorsch eben nicht weitererzählen?“

„Weil sich die Mutter dann nur unnötig aufgeregt hätte“, antwortet die Claudia.

„Wieso?“

„Ja, den Schiedsrichter haben sie doch im Hubertushof gefunden.“

„Ich versteh immer noch nicht …“

„Aber hat“s dir die Mutter denn nicht gesagt?“

„Nee. Was denn nur?“

„Wir gehen doch morgen Abend essen im Hubertushof. Und kannst du dir vorstellen, wie das ist für die Mutter, wenn sie dort ihren Geburtstag feiern soll, wo gerade ein toter Mann im Zimmer gelegen hat?“

Nee. Eigentlich nicht, denkt sich der Feldkamp. Aber immerhin weiß er jetzt, wo der Schiedsrichter abgestiegen ist. Und er fragt sich, warum ausgerechnet dort und nicht zusammen mit seinen Kollegen oben auf dem Betzenberg im Best Western.

Weiterlesen? Alle Teile des Betze-Krimis finden Sie hier.

Zur Person

Udo Röbel, geboren 1950 in Neustadt an der Weinstraße, ist Journalist und Autor. Der ehemalige RHEINPFALZ-Volontär wurde später in die Chefredaktion des Kölner „Express“ und an die Spitze der BILD-Zeitung berufen. Für seine Rolle in der sogenannten Kießling-Affäre wurde er mit dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse ausgezeichnet. 1988 stieg er bei der Geiselnahme von Gladbeck zu Entführern und Geiseln ins Auto. Das Verhalten der Medien während der Geiselnahme führte zu einer Erweiterung der Richtlinien im Pressekodex. Heute lebt Röbel in Hamburg und Berlin. Ein Interview mit dem Autor finden Sie hier.

Journalist und Autor Udo Röbel.
Journalist und Autor Udo Röbel.

An dieser Stelle finden Sie ein Video via GlomexSport.

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