Interview "Pfalz mit Kids": Influencerin vermisst kinderfreundliche Angebote in der Region
„Zurück aus den Bergen und wieder sitze ich da und denke: Das gibt’s doch nicht! Wieso bekommen andere Regionen so viele familienfreundliche Angebote hin und wir hier nicht?“ – Frau Schwind, Ihr schlichter und völlig unaufgeregter Post auf Instagram hat enorm viele Reaktionen ausgelöst. Sie haben Hunderte Rückmeldungen bekommen, die meisten zustimmend. Was läuft da falsch in der Pfalz?
Wir waren gerade ein paar Tage in Österreich, zuvor in Dänemark oder auch in Holland, wir sind auch im Schwarzwald unterwegs. Und immer wieder denke ich mir, das ist krass, wenn ich die Angebote für Kinder dort sehe. Mit wie wenig Aufwand und völlig ohne Natur zu zerstören dort ein enormer Effekt erzielt wird. Ich habe selbst zwei Kinder, die nicht immer gerne wandern. Wenn ich sage, wir gehen wandern, dann hören wir erst mal ein: Oh, nee! Wenn sie dann aber im Wald sind, dann sind die super happy. Das liegt daran, dass ich meine Kinder im Wald gut mit Nix beschäftigen kann. Ich weiß aber auch: Es gibt ganz viele Eltern, die das aus ganz verschiedenen Gründen nicht können oder nicht vorbereiten wollen.
Und die brauchen Hilfe oder Tipps?
Ja, aber sie brauchen vor allem erstmal niedrigschwellige Angebote, die Lust machen auf Natur! Wir gehen am liebsten dorthin, wo wir in Kontakt kommen mit der Natur, es aber auch einen Spielfaktor gibt: Das sind zum Beispiel Barfußwege oder Stationenpfade. Ein Lieblingsziel von uns ist die Jung-Pfalz-Hütte bei Annweiler. Die hat eine traumhafte Aussicht und einen gigantisch schönen Spielplatz. Ich glaube, das ist der schönste Spielplatz in der Pfalz. Der Hütte, die mit relativ wenig Personal nur am Wochenende offen hat, rennen die Menschen die Türen ein. Wenn gutes Wetter ist, findet man dort keinen Platz – auch bei nicht so gutem Wetter übrigens. Jetzt stellen Sie sich diesen Spielplatz mal vor kombiniert mit einem kürzeren, kinderwagentauglichen Weg.
Wir haben Badeseen im Wald oder Baggerseen am Rhein, wir haben den Holiday Park, Zoos und Tierparks, die Alla-hopp-Anlagen, Kinderfeste ...
Es wäre schlichtweg falsch, zu sagen, wir hätten in der Pfalz keine Angebote. Im Gegenteil, sonst hätte ich nicht so viele Tipps auf meiner Seite gesammelt. Aber wir haben einfach nicht genug Angebote für die enorme Nachfrage von Familien mit Kindern. Ich frage mich also: Wieso gibt es nicht mehr Erlebniswege, schöne Spielstationen, eine Kletterwand, eine Holzkugelbahn im Wald?
Und das wollten Sie einfach mal auf Instagram loswerden?
Es war ausnahmsweise einmal bewusst provokativ, weil ich sehen wollte, was da zurückkommt. Sonst halte ich mich da mit politischer Meinung eher zurück. Und ich bin auch niemand, der schwarz-weiß malt. Die Wahrheit liegt immer irgendwo dazwischen. Deshalb funktioniert der Kanal „Pfalz mit Kids“ so gut, weil es bei den Tipps nie um meine persönliche Meinung geht, sondern um die schönen Seiten der Pfalz.
Und jetzt ging’s mal um die Schwachpunkte.
Ich glaube, der Bedarf an Angeboten für Familien mit Kindern ist enorm – vor allem bei Eltern, die sich nicht so viele Gedanken machen wollen oder können, was sie mit den Kindern im Wald anstellen. Ich frage mich: Warum kriegen andere Regionen das hin? Warum kriegen die es im Schwarzwald hin, ich schätze mal, zehn Kugelbahnen zu bauen, und wir in der südlichen Pfalz haben so etwas überhaupt nicht?
Was ist denn nun eine Kugelbahn?
Man läuft den Wald hoch, oben steht ein Automat, und da kaufen Sie für 50 Cent oder einen Euro eine Holzkugel. Und die rollt fleißig mit uns den Weg entlang, aber eben in einer Bahn. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt: Spiralen, Doppelbahnen, mit Thema, mit Bremse, mit Tunnel. Das ist genial, weil man mit Naturmaterialien arbeitet, weil man auf dem Weg bleibt – und man hat außerdem einen Super-Motivationsfaktor für die Kinder. Sie bewegen sich gemeinsam mit Ihnen in einem Naturraum, in dem sie, weil Kinder einfach so sind, noch viel mehr entdecken: Käfer, Ameisenhügel, was auch immer. Die Kinder haben einfach Spaß dort. Am Königsberg bei Wolfstein ist so eine, wenn auch sehr kurze Bahn, gerade durch Crowd-Funding entstanden.
Es geht Ihnen vor allem um Hilfestellung für Eltern, die sich nichts selbst überlegen und ausdenken wollen?
Auch. Die Gesellschaft verändert sich und das spüre ich auch bei meinem Angebot. Die Menschen wollen Tipps. Das, was ich anbiete, das finden die Leute auch bei Google. Aber sie kommen auf meine Seite, weil dort die Touren und Abenteuer schön kompakt zusammengefasst sind, mit persönlicher Note, und man alle Informationen an einer Stelle findet.
Auf Instagram haben Sie geschrieben: „Denke ich an Tourismus in der Pfalz, denke ich an Weinmarketing.“
Ich habe unwahrscheinlich viele Nachrichten auf diesen Post bekommen, auch privat, von Menschen, die sagen: Es geht in der Pfalz immer nur um Wein, immer nur um ein alkoholisches Produkt, und dass man das vielleicht mal überdenken sollte. Ich finde, man sollte da jedenfalls mal einen zweiten Schwerpunkt setzen. Wir als Pfalz sollten uns nicht immer nur über ein Thema definieren.
Mir fallen tatsächlich viele, auch relativ neue und moderne Weinfeste oder Weinbergswanderungen ein, die enorme Anziehungspunkte sind, wo aber Kinder keine Rolle spielen oder keinen Platz haben.
Die sind oft wunderschön, aber eben ultralangweilig für Kinder. Die Frage ist doch: Wo und wie wird in Tourismus investiert? Was wir gerade im Urlaub in Österreich erlebt haben, ist sicher over the top – da steht wirtschaftlich eine Bergbahn dahinter, die auch im Sommer laufen soll. Wir können in dieser Hinsicht in der Pfalz nie und nimmer das erwarten, was wir dort erleben. Aber es geht halt auch mit einfacheren Mitteln und mit kleinem Geld etwas. Simples Beispiel: Man kann an einen Aussichtspunkt auch mal eine Schaukel stellen. Das finden dann übrigens nicht nur die Kinder schön.
An Kinder und Familien mit Kindern wird also zu selten gedacht?
Das ist das Problem. Dabei ist es doch so: Da, wo die Kinder gut beschäftigt sind, bleiben die Eltern länger sitzen und konsumieren mehr. Aber nochmal zurück vom Wein zur Faszination Natur: Wenn wir es nicht schaffen, möglichst viele Menschen aus allen Schichten in die Natur zu bringen, wo wir doch dieses Paradies vor der Tür haben, dann werden die Kinder das später als Erwachsene auch nicht für so schützenswert erachten, wie wir das heute noch tun.
Was also tun?
Nehmen wir zum Beispiel die Auerochsentour in St. Martin. Das ist wunderschön dort, mit Erlebnisweg dabei, aber es ist halt auch schon so alt jetzt, dass da mal wieder etwas dran gemacht werden müsste. Aber wer macht das? Solche Plätze, gut in Schuss, brauchen wir ganz, ganz zwingend, damit Kinder in Kontakt kommen mit der Natur. Und ohne Schutzgebiete zu zerstören.
Der Waldgeisterweg in Dörrenbach hat auch schon bessere Zeiten gesehen, fällt mir da ein.
Zum Teil verfällt da einiges. Aber das ist halt auch so ein Thema: Das geht alles auf ehrenamtliches Engagement oder private Initiativen zurück, manchmal auch von einzelnen Menschen. Alle diese Angebote gibt es, weil da jemand mal was gemacht hat. Und wenn die Leute nichts mehr machen oder nichts mehr machen können, dann geht’s nicht weiter. Es muss also um eine andere Art der Tourismusförderung gehen, um Geldmittel, um politische Entscheidungen, die das möglich machen.
Es fehlt die übergreifende Strategie, zum Beispiel vom Pfalzmarketing, für Familien mit Kindern?
Ich will an dieser Stelle gerne Mut machen zu neuen Ideen und Konzepten. Denn wir stehen ja auch in Konkurrenz. Ich rede da jetzt gar nicht vom Allgäu, die sind uns meilenweit enteilt als Ferien- und Urlaubsziel, aber nehmen wir den Schwarzwald. Die ziehen uns auch davon, weil dort Angebote ganz gezielt für Familien geschaffen werden. Inzwischen haben sich auch politische Vertreter bei mir zum Austausch gemeldet. Vielleicht können wir da ja etwas bewegen.
Wenn man als Tourismusregion stärker auf Familien mit Kindern setzen würde, würde das sicher dazu führen, dass es auch mehr familienfreundliche Restaurants gäbe, in denen man mit Kindern nicht schräg angeschaut wird.
So ist es. Und es geht mir immer darum, dass es ausreichend Angebote geben muss. Wieder ein Beispiel: Wenn ich ein gutes Angebot finde und neu auf meinem Portal darüber berichte, dann kommt es schon vor, dass die Anbieter sich bei mir melden und sagen: Nimm’s bitte wieder von der Website, wir werden hoffnungslos überrannt und kommen mit dem Ansturm gerade nicht mehr klar. Dem komme ich natürlich nach. Aber das zeigt einfach, wie enorm der Bedarf ist. Und wir reden jetzt nur von Leuten, die selbst aktiv nach Informationen suchen. Aber die anderen, die vielleicht nicht sehr finanzstark sind, müssen ebenfalls Angebote für ihre Kinder finden. Auch diese Kinder müssen in Kontakt kommen mit der Natur.
Das wäre dann ein gesellschaftlicher Auftrag des Pfalztourismus für die Pfalz und die Pfälzerinnen und Pfälzer selbst, sozusagen.
Denken Sie doch mal an die ganzen Pfälzerwaldhütten, die jetzt schon Probleme haben, ehrenamtliche Helfer zu finden. Wie sollen die denn das in Zukunft hinkriegen, wenn die Menschen den Wald nicht mehr kennen? Da geht doch ein Kulturerbe verloren, wenn wir die Kinder nicht in den Wald bringen und vom Wald begeistern, so dass sie später vielleicht bereit sind, sich zu engagieren.
Zur Bratwurst die Schaukel!
Schön zusammengefasst. Die Hellerhütte hat eine neue Rutsche, die wird super angenommen. Das Hohe-Loog-Haus: Der Spielplatz ist der Garant dafür, dass diese Hütte immer voll ist. Jung-Pfalz-Hütte: ebenso. Es kann aber halt nicht sein, dass die Vereine allein für das touristische Angebot einer Region sorgen müssen.
... abseits vom Thema Wein.
Ich rede übrigens nicht davon, im Wald überall Spielparadiese zu bauen, so etwas wie einen zweiten Holiday Park. Das braucht es nicht. Das muss im Wald immer im respektvollen Umgang mit der Natur passieren. Und es muss immer auch das Ziel sein, dass alle Zielgruppen im Wald zusammenfinden, sich den Wald miteinander teilen und miteinander klarkommen.
Kindertrubel nicht überall, aber an deutlich mehr Stellen als jetzt, lautet also Ihre Forderung?
Absolut. Wir brauchen den Trubel nicht überall und es gibt Räume, die geschützt werden müssen. Aber wir kommen immer an den selben Punkt zurück: Wir brauchen mehr Angebote. Weiteres Beispiel: In Haßloch wurde der Rehbach renaturiert und Steine wurden im Wasserlauf platziert. Da ist immer die Hölle los, und es gibt inzwischen Probleme, weil die Uferbegrünung nicht richtig anwachsen kann. Was beweist das? Die Tatsache, dass die Familien dort in Scharen hinziehen, zeigt, dass der Bedarf nicht anderweitig gedeckt wird. Und das ist in der Pfalz an sehr vielen Orten so.
Info: Pfalz mit Kids
Linda Schwind (36) aus Neustadt arbeitet im Bereich Softwareentwicklung und war Projektleiterin bei einer Digitalagentur. Ihr Portal Pfalz mit Kids sieht sie als Hobby, entstanden kurz vor der Corona-Zeit, als sie die Zeit nutzte, um die schönsten Touren für Kinder zusammenzufassen und digital aufzubereiten.
Kommerzielle Absichten verfolgt sie mit „Pfalz mit Kids“ nach eigenem Bekunden nicht, auch wenn mittlerweile Bücher („Erlebniswanderungen für Familien Pfalz“, „Mein Pfalz Abenteuer“), Poster und Spielkarten für draußen dazugekommen sind: „Wenn ich da was verkaufe, ist das schön, dann sichert das ein werbefreies Portal und die Kosten, aber das ist nicht das Ziel. Ich habe einen Job, und den will ich nicht aufgeben. Ich denke, das merkt man auch als Nutzer.“
Linda Schwind auf Facebook und Instagram: @pfalz.mit.kids
Kommentar: Tourismus in der Pfalz: Nicht immer nur schönreden
Dieser Artikel stammt aus der RHEINPFALZ am SONNTAG, der Wochenzeitung der RHEINPFALZ. Digital lesen Sie die vollständige Ausgabe bereits samstags im E-Paper in der RHEINPFALZ-App (Android, iOS). Sonntags ab 5 Uhr erhalten Sie dort eine aktualisierte Version mit den Nachrichten vom Samstag aus der Pfalz, Deutschland und der Welt sowie besonders ausführlich vom Sport.