Rentenansprüche Härtefallfonds für jüdische Zuwanderer: Viele Worte, kaum Taten

Beraterin und Organisatorin: Marina Nikiforova, Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz.
Beraterin und Organisatorin: Marina Nikiforova, Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz.

Ein Härtefallfonds des Bundes soll die Altersarmut von jüdischen Zuwanderern wenigstens abmildern. Die Bundesländer könnten sich daran beteiligen – zeigen wie Rheinland-Pfalz bislang aber wenig Neigung dazu. Bis zum 31. März hätte man Zeit.

Sprache ist ein Indikator für die Ordnung der Dinge, banale Erkenntnis. Im Jüdischen Gemeindezentrum in Ludwigshafen ist sie momentan vielstimmig. Marina Nikiforova, die Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz, waltet gerade ihres Amtes und berät einen Klienten, auf Russisch. Nebenan beginnt der Chor der Gemeinde seine Probe, man singt Jiddisch. Eine Dame geht kurz in Nikiforovas Büro und fragt was, war wohl Ukrainisch. Und Galina Borodina hält ein kurzes Schwätzchen mit dem Reporter und erzählt, wie sie ihren Antrag auf Gelder aus dem Härtefallfonds für jüdische Zuwanderer gestellt hat, und Borodina plaudert auf Deutsch. Sprache also ist ein Indikator für die Ordnung der Dinge – und dass die Sprache hier bei der Jüdischen Kultusgemeinde so vielstimmig ist, ist der Grund, weshalb diese Geschichte geschrieben werden muss.

220.000 Auswanderer aus der Ex-Sowjetunion

Seit Anfang der 1990er-Jahre sind etwa 220.000 Juden aus der Sowjetunion nach Deutschland eingewandert, knapp die Hälfte davon hat den Weg in die jüdischen Gemeinden gefunden. Es war ein zu jener Zeit teilweise gewalttätiger Antisemitismus, der die Menschen zur Ausreise aus den damaligen Sowjetrepubliken gebracht hat. Zugestanden hat man ihnen lediglich den Status als „Kontingentflüchtlinge“ – womit sie, anders als beispielsweise Russlanddeutsche, keine in der Sowjetunion erworbenen Rentenansprüche in Deutschland geltend machen konnten und können. Das Ergebnis des Konstruktes lässt sich schon der Sozialstatistik ablesen: 93 Prozent der jüdischen Zuwanderer im Rentenalter beziehen Altersgrundsicherung, so die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.

Europa: Deutschland hat drittgrößte jüdische Gemeinde

Gleichzeitig hat der Zuzug vor allem aus Russland Deutschland zum Land mit der drittgrößten jüdischen Gemeinde in Europa gemacht. Ausgerechnet Deutschland also, das Land, das den Völkermord an den europäischen Juden zu verantworten hat – und angesichts dieser Klammer hat beispielsweise Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angelegentlich den Begriff „Wunder“ gebraucht. Die Frage ist nun, was das Wunder denn so kosten darf.

Galina Borodina ist aus Kirgisistan nach Deutschland eingewandert, „für uns gibt’s gar keine Rente“ aus der ehemaligen Sowjetrepublik, sagt sie. Russland überweist Rente, oder hat das jedenfalls bis zum Ukraine-Krieg, „das sind dann so 100, 150 Euro“, sagt Nikiforova – und die werden auf die Altersgrundsicherung angerechnet, Nullsummenspiel zumeist.

Der Gebetsraum der Speyerer Synagoge.
Der Gebetsraum der Speyerer Synagoge.

Oft prekäre Lebensverhältnisse

Das Ganze fügt sich in die Einwanderungspolitik eines Landes, das in den 1990ern noch nicht akzeptiert hatte, ein Einwanderungsland zu sein: Bei 78 Prozent der jüdischen Zuwanderer werden laut Zentralwohlfahrtsstelle die Berufsabschlüsse nicht anerkannt. Was heißt, dass das Wunder jüdischer Zuwanderung sich oft in prekären Lebensverhältnissen wiederfindet: „Der hohe Altersdurchschnitt der Eingewanderten, Sprachbarrieren sowie eine hohe Arbeitslosigkeit haben zur Folge, dass in den Gemeinden der Anteil an Aufgaben der sozialen Fürsorge seit den 1990er-Jahren dramatisch gewachsen ist“, schreibt die Soziologin Karen Körber.

Handlungsbedarf also besteht – und eigentlich hatte schon die Regierung Merkel die Einrichtung eines Härtefallfonds geplant. Gedacht ist der nicht nur für jüdische Zuwanderer, sondern auch für bestimmte Gruppen von Spätaussiedlern und Menschen, deren Rentenansprüche aus der DDR nicht übernommen worden waren. Geplant war die Alimentierung des Fonds mit einer Milliarde Euro aus Bundesmitteln und einer weiteren Milliarde, die die Länder beisteuern sollten.

500 Millionen Euro vum Bund

Was sich nach langen Verhandlungen so nicht hat umsetzen lassen. Stattdessen hat das SPD-geführte Bundeskabinett am 18. November 2022 eine abgespeckte Lösung auf den Weg gebracht: 500 Millionen gibt der Bund – was auf eine Einmalzahlung von 2500 Euro für jüdische Altersgrundsicherungs-Empfänger hinausliefe. 5000 Euro könnten es werden, wenn die Länder sich ebenfalls am Fonds beteiligen. Und jetzt zeigt sich einmal mehr, dass die Sprache ein Indikator für die Ordnung aller Dinge ist.

Die Leistung der Stiftung knüpft an Sachverhalte mit Rentenbezug an“, schreibt das rheinland-pfälzische Sozialministerium am 8. März auf eine Anfrage. „Beim Recht der gesetzlichen Rentenversicherung handelt es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes. Das Land Rheinland-Pfalz plant daher derzeit keine finanzielle Beteiligung an der Stiftung des Bundes.“ Bis Mitte dieser Woche hatten sich nur zwei von 16 Bundesländern – Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern – zur Beteiligung am Fonds durchringen können.

„Ein bedeutender Bestandteil“

Die Beschäftigung mit jüdischer Kultur im Land hat sprachlich gelegentlich auch mal mehr Verve als das Statement aus dem Ministerium: „Wir wollen zeigen, dass es (das Judentum, Anm. der Redaktion) seit vielen Jahrhunderten ein bedeutender Bestandteil unserer Kultur ist“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) beim Auftakt zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Rheinland-Pfalz“ 2021.

Deutschlandweit hat man damals, ist gerade zwei Jahre her, die lange Tradition jüdischer Kultur und jüdischen Lebens im Land gefeiert. Im Sommer 2021 hat die Unesco dann die „SchUM“-Stätten in Speyer, Mainz und Worms als Weltkulturerbe anerkannt: Die Monumente der drei jüdischen Gemeinden am Rhein also, die schon im Mittelalter Zentren jüdischer Kultur und jüdischer Gelehrsamkeit waren. Womit unter anderem auch der malerische Judenhof in Speyer samt ältestem in Mitteleuropa erhaltenem Ritualbad auf der Unesco-Liste steht.

Ein Schüler der Talmud Tora Schule in Hamburg schaut in ein jüdisches Gebetsbuch.
Ein Schüler der Talmud Tora Schule in Hamburg schaut in ein jüdisches Gebetsbuch.

„Weit hinter den Erwartungen“

Die Gegenwart ist da schon etwas trister: Die Ausgestaltung des Härtefallfonds bleibe „weit hinter den Erwartungen der Betroffenen zurück“, hat Abraham Lehrer, der Präsident der Zentralwohlfahrtsstelle, schon im Januar gesagt – und Bund und Länder aufgefordert, „umgehend eine Nachbesserung der veröffentlichten Konditionen vorzunehmen“.

Wie man unbürokratisch hilft, zeigt sich im Übrigen im Jüdischen Gemeindezentrum in Ludwigshafen: Der Mann, den Geschäftsführerin Nikiforova gerade auf Russisch beraten hat, ist nicht einmal Gemeindemitglied. Hat wiederum mit der Geschichte jüdischer Zuwanderung seit den 1990er-Jahren zu tun: Im sowjetischen Pass stand unter Nationalität „Jude“, egal, ob der Vater oder die Mutter des oder der Betroffenen jüdischen Glaubens war. Viele deutsche Gemeinden haben dann allerdings nur Mitglieder akzeptiert, bei denen der Glaube über die Mutter weitergegeben wurde.

„Der war wohl nicht mal Jude“

Macht in der Praxis allerdings keinen Unterschied, so Nikiforova: Am Gemeindeleben und den Gottesdiensten können sich alle beteiligen, meint sie, und die Gelder aus dem Fonds stehen beiden Gruppen zu. Vor Kurzem hat sich einer telefonisch beraten lassen, „der war wohl nicht mal Jude“, Nikiforova muss kichern. Als sie den Mann gefragt hat, ob er Gemeindemitglied ist, hat er jedenfalls entrüstet geantwortet: „Natürlich nicht!“

So viel zum Thema flexibles Handeln im Alltag. Galina Borodina allerdings wird unter Umständen an der massiven Barriere verwaltungstechnischer Ausschlusskriterien scheitern: Ihre Grundsicherung ist erst nach dem entsprechenden Stichtag angelaufen, es fehlt ihr ein halbes Jahr. „Eigentlich sollte ich stolz sein – ich bin ja noch jung“, sagt sie, kichert, und wird wieder ernst. „Trotzdem bin ich enttäuscht.“

Bis Ende dieses Monats haben die Länder noch Zeit, sich am Bundesfonds zu beteiligen. Nikiforova hofft noch auf ein Umdenken. Borodina hofft, dass irgendjemand die Regeln nicht zu eng auslegt. 2500 oder 5000 Euro ersetzen keine anständige Rente, ist für manche eben trotzdem sehr viel Geld. „Klar würde das helfen“, sagt sie.

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