Heidelberg RHEINPFALZ Plus Artikel Forschung über den Weltuntergang: Apokalypse Now

Die drei Säulen der aktuellen Apokalypse-Forschung sind: die Herausforderungen durch die Entwicklung Künstlicher Intelligenz, di
Die drei Säulen der aktuellen Apokalypse-Forschung sind: die Herausforderungen durch die Entwicklung Künstlicher Intelligenz, die Bedrohung durch den Klimawandel und die Angst vor nuklearer Vernichtung.

In Heidelberg gibt es Deutschlands einzige Forschungsstelle für apokalyptische Studien. Der wissenschaftliche Leiter sagt: Dafür ist gerade eine gute Zeit. Der Untergang hat Konjunktur. Dafür sorgen unter anderem Klimawandel und Künstliche Intelligenz.

Da sah ich ein fahles Pferd. Und der, der auf ihm saß, heißt der Tod. Und die Unterwelt zog hinter ihm her. Und ihnen wurde die Macht gegeben über ein Viertel der Erde. Macht, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde.“

Es sind schauerliche Worte, die da in der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament stehen und von Verderben und Chaos weissagen. Als sie geschrieben wurden, war bereits eine Reihe von Welten untergegangen. Alte Kulturen, über die es kaum mehr Aufzeichnungen gibt, und solche, die gut dokumentiert sind. Etwa das Ägypten der Pharaonen oder das Neubabylonische Reich. Apokalypse geht aber auch eine Nummer kleiner. Es muss nicht immer eine ganze Welt oder wenigstens ein Reich untergehen. Es reicht auch eine persönliche Tragödie, die ein Leben an einen Punkt führt, an dem es nicht mehr so weiter geht wie bisher. Wenn etwas zu Ende ist und an seine Stelle etwas Neues treten muss.

Dunkle Gedanken

Apokalyptische Vorstellungen gehören zum Dunkelsten, was der menschliche Geist sich ausmalen kann. Und derzeit spüren viele Menschen im Angesicht multipler Krisen ein düsteres Unbehagen. Umso kontrastreicher wirken die überaus hellen Räume des „Käte Hamburger Kollegs“ in Heidelberg. Die namensgebende Frau des Kollegs war eine einflussreiche Literaturwissenschaftlerin und Philosophin („Die Logik der Dichtung“). Die nach ihr benannten Kollegs – im Augenblick gibt es 16 – sind vom Bundeswissenschaftsministerium geförderte und auf begrenzte Zeit angelegte Forschungseinrichtungen, an denen international renommierte Wissenschaftler ein geisteswissenschaftliches Thema erforschen. In Heidelberg befassen sich diese Experten mit apokalyptischen und postapokalyptischen Studien, die eben gar nicht zur Atmosphäre in den Räumen passen wollen: weiße Wände, weißes Mobiliar, weißes Licht. Alles strahlt. Das Gegenteil von Chaos und Verderben. Eher: Sachlichkeit mit einem Hauch Zuversicht. Das jedenfalls ist im frischen Gesicht von Anaïs Maurer zu lesen, der man nicht im Entferntesten ansieht, woran sie in Heidelberg forscht. Nämlich an einer Apokalypse, die nicht irgendein abstraktes Geschehen in irgendwelchen alten Büchern von anno dazumal ist, sondern die Realität des Jahres 2024.

Anaïs Maurer ist in Französisch-Polynesien aufgewachsen. „Die Menschen dort erleben gerade ihre dritte Apokalypse“, sagt sie.
Anaïs Maurer ist in Französisch-Polynesien aufgewachsen. »Die Menschen dort erleben gerade ihre dritte Apokalypse«, sagt sie.

„Ihre dritte Apokalypse“

Auf der Landkarte muss der Finger von Europa aus lange wandern, bis er schließlich irgendwo mittig zwischen Australien und Südamerika hängenbleibt. Dort in Französisch-Polynesien ist Anaïs Maurer aufgewachsen, nachdem sie in Paris geboren wurde. „Die Menschen dort erleben gerade ihre dritte Apokalypse“, sagt sie. Zuerst das Fanal der Kolonialisierung durch die Franzosen. Dann bis spät in die 1990er-Jahre hinein Atomtests verschiedener Staaten von denen Maurer sagt, dass ihre schiere Anzahl rein rechnerisch bedeute, an jedem einzelnen Tag eines halben Jahrhunderts eine Bombe mit der Zerstörungskraft von Hiroshima zu zünden. Mit grauenhaften Folgen für Natur und Mensch, die bis heute über Generationen hinweg an all den Schrecken und Krankheiten leiden, die im Gefolge radioaktiver Verseuchung auftreten. „Und jetzt müssen die Menschen mitansehen, wie ihre Heimat im Meer versinkt“, sagt Anaïs Maurer und benennt damit die dritte Apokalypse, die infolge des Klimawandels der gestiegene Meeresspiegel für den Südpazifik bedeutet.

In ihren Forschungen befasst sich Maurer damit, wie die Bevölkerung diese apokalyptischen Erfahrungen verarbeitet. Etwa in der Malerei, der Musik oder Literatur. Vor allem aber, wie sich eine solche Gesellschaft im Anbetracht ihres Schmerzes solidarisiert, eine besondere Widerstandsfähigkeit kultiviert und gemeinsam für den Erhalt und Wiederaufbau kämpft, statt nur fliehen zu wollen. Ihr besonders Anliegen: „Die Welt muss verstehen, dass das, was im Südpazifik passiert, alle Menschen angeht.“ Auch das ist Gegenstand ihrer Arbeit in Heidelberg, die sie noch bis Dezember im Rahmen eines Gaststipendiums, eines sogenannten Fellowships, am Kolleg hält.

Die Leidenschaft des Literaturwissenschaftlers Adam Stock verbindet sich in seiner Faszination für Science-Fiction und Wüsten.
Die Leidenschaft des Literaturwissenschaftlers Adam Stock verbindet sich in seiner Faszination für Science-Fiction und Wüsten.

Ängste beflügeln die Fantasie

Adam Stock, ein schlaksiger Mann mit hellbraunen Locken und einem spitzbübischen Lächeln, der ursprünglich aus Nordengland stammt, ist ebenfalls Fellow am „Käte Hamburger Kolleg“. Mit ihm, der sonst Vorlesungen an der St. John Universität in York hält, bekommt das Thema Apokalypse einen literaturwissenschaftlichen Anstrich. Die Leidenschaft des 40-Jährigen verbindet sich in seiner Faszination für Science-Fiction und Wüsten. „In apokalyptischen Vorstellungen spielen Wüsten oft eine große Rolle“, sagt Stock und erinnert daran, dass es in vielen Geschichten die Wüste ist, die schließlich übrig bleibt, wenn alles andere verschwunden ist.

Die postapokalyptischen Forschungen von Stock machen deutlich, wie endzeitliche Ängste die Fantasie von Autoren aller Jahrhunderte beflügelt haben und noch immer beflügeln. Der 40 Jahre alte Geisteswissenschaftler konzentriert sich bei seinen Studien auf Schriftsteller aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und Stock stellt die Verbindung zwischen dystopischen Fiktionen – wie sie etwa in Orwells Roman „1984“ oder Franz Kafkas „Der Prozess“ erzählt werden – in einen Zusammenhang mit politischem Denken. Und wie sich diese wechselseitigen Welten in der Realität der Jetztzeit treffen.

Die Pandemie habe dem Thema Apokalypsen Aktualität und Relevanz verliehen, sagt Forschungsleiter Robert Folger, ein Historiker.
Die Pandemie habe dem Thema Apokalypsen Aktualität und Relevanz verliehen, sagt Forschungsleiter Robert Folger, ein Historiker.

„Ich hatte ja überhaupt keine Ahnung, wie viele Aspekte die Forschung an Apokalypsen betreffen würde“, sagt Robert Folger, der als Historik-Professor die Idee zur Einrichtung der Forschungsstelle hatte und jetzt in seinem Büro lebhaft mit den Schultern zuckt. Was er in den Jahren vor der Gründung des „Käte Hamburger Kollegs“ freilich auch nicht auf dem Zettel hatte, war die Corona-Pandemie und die damit verbundene endzeitliche Stimmung, die sich in weiten Teilen der Bevölkerung breit machte. „Covid hat uns insofern ausgebremst, weil die Idee des Instituts ja ist, dass die Leute verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten. Und sich dann halt auch dialogisch verständigen, also zusammensitzen.“ Das sei unter Corona-Bedingungen schwierig bis nicht möglich gewesen. Andererseits habe die Pandemie dem Thema Apokalypsen Aktualität und Relevanz verliehen. „Die Folge waren viele Presseanfragen und es entstand die Vorstellung, dass das Kolleg wegen der Pandemie gegründet worden sei, was aber nicht zutrifft.“

Monster und die Weltherrschaft

Am Heidelberger Kolleg sind inzwischen 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fest beschäftigt. Dazu kommen jährlich bis zu 20 Fellows aus aller Welt, die zwischen sechs und zwölf Monaten bleiben. Die Zahl der Bewerber übersteigt die zur Verfügung stehenden Plätze dabei etwa um das Dreifache.

Auch in Superhelden-Comics wird der Untergang inszeniert.
Auch in Superhelden-Comics wird der Untergang inszeniert.

Was die Apokalypsen angeht, sind es sozusagen drei Säulen, die aktuell im Fokus stehen, erklärt Folger: die Herausforderungen durch die Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI), die Bedrohung durch den Klimawandel und die Angst vor nuklearer Vernichtung durch atomare Katastrophen oder Kriege.

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