Rheinland-Pfalz Willkommen im „Freistaat Flaschenhals“

Kaub. Freistaat Bayern oder Sachsen kennt jeder. Und wie steht es um den „Freistaat Flaschenhals“, jenes Unikum im Oberen Mittelrheintal? Das „Staatszentrum“ in Kaub hält spezielle Reisepässe bereit, deren Besitzer in besonderen Gaststätten nicht nur freien Eintritt genießen. Serviert wird ihnen ein uriges „Flaschenhals-Menü“ zum Flaschenhals-Riesling. Neugierig geworden?

20 Jahre sind inzwischen ins Land gegangen, seit sich ein paar Winzer und Gastronomen aus Kaub und Lorch zusammengetan haben, um einem fast vergessenen Kapitel in der Geschichte ihrer Region zu huldigen. Auf besondere Art. 75 Jahre waren seit der Gründung des Freistaats vergangen. Eine kleine Tourismus-Vereinigung war geboren, die sich als „Freistaat Flaschenhals-Initiative“, kurz FFI genannt, rasch einen Namen machte. Hatten doch Gazetten bundesweit über den „Freistaat Flaschenhals“ berichtet und damit so manchen Gast an den Rhein gelockt. „3500 Reisepässe haben wir seit 2001 verkauft, das Stück für 55 Euro“, erzählt „Gründungsvater“, Winzer und Schnapsbrenner Peter Josef Bahles voller Stolz. Auf der Suche nach berichtenswerten Anekdoten für seine Weinproben, die er für Gäste zelebrierte, hatte er Geschichten, die sich um den „Freistaat Flaschenhals“ ranken, aufgespürt. Mitstreiter in Weinbau und Gastronomie waren rasch gefunden. Der kurios anmutende Name ist einfach erklärt: Das „Staatsgebiet“, um das es geht, liegt zwischen Bodenthal bei Lorch, Roßstein bei Kaub und Laufenselden im Taunus. Es hat die Form eines Halses einer Weinflasche. Entstanden war dieses Stück „Niemandsland“ im Dezember 1918, also unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Alliierte Truppen auf dem rechtsrheinischen Gelände sollten verhindern, dass Deutschland die im Rheinland vorhandenen Bodenschätze und Industrieanlagen nutzte, um wieder aufzurüsten. Mit dem Zirkel, heißt es in dem kleinen Buch, das die Geschichte des Freistaats ausführlich beschreibt, wurde um die drei wichtigsten Rheinstädte je ein 30 Kilometer breiter Halbkreis gezogen. Diese Gebiete wurden besetzt. In Köln marschierten die Briten ein, in und um Koblenz hatten die Amerikaner das Sagen, Mainz und Umgebung ging an die Franzosen. Zwar hatten die Siegermächte angenommen, die Kreise würden überlappen, doch das war der große Irrtum. Das „Territorium Flaschenhals“ blieb frei und war von den Alliierten im Norden und Süden quasi abgeriegelt. Bahles, seit 20 Jahren FFI-Vorsitzender, sprudelt, als sei er selbst dabei gewesen, als der Freistaat Flaschenhals seine Hochzeit durchlebte. Es waren schwierige Jahre, in denen notgedrungen der Schmuggel blühte. „Geschmuggelt wurde alles, was nicht niet- und nagelfest war.“ Lebensmittel, natürlich auch Wein und jede Menge Vieh. Bis 1924, so ist auch im Reisepass festgehalten, mussten sich die Menschen im „Flaschenhals“ viel einfallen lassen, um zu überleben. Ideenreichtum galt nicht nur für die Beschaffung von Lebensmitteln, sondern auch bei der Bezahlung. So entstanden bunte Notgeldscheine, die der „Präsident“ des „Freistaats Flaschenhals“, Lorchs Bürgermeister Edmund Pnischeck, drucken ließ. Heute ist alles anders. Längst hat das Notgeld ausgedient, gilt auch am Mittelrhein der Euro. Doch genießen die Flaschenhals-Reisepass-Inhaber gewisse Sonderrechte. So waren sie in den vergangenen Jahren immer wieder zu Weinmessen oder auch zu einer Schiffsweinprobe eingeladen, bei denen ausschließlich Flaschenhals-Weine offeriert wurden. Dabei muss man wissen: FFI-Winzer setzen sich jedes Jahr zusammen und probieren verdeckt ihre besten Tropfen, meist Rieslinge und Spätburgunder und entscheiden, welche Weine es überhaupt wert sind, das Flaschenhals-Etikett zu tragen. Auch wenn mit dieser Werbeidee das große Geld ganz sicher nicht zu machen ist, kleinreden lässt sich Bahles die gemeinsame Sache deshalb nicht. Jede Aktivität sei wichtig, unterstreicht der fast 75-jährige Winzermeister mit einer besonderen Passion zum Brennen von Trester-Schnaps. Mit Bahles, so hat es den Anschein, steht und fällt die Gemeinschaft, die nichts unversucht lässt, Menschen für eine Region zu gewinnen, die im Tourismus wahrlich schon bessere Zeiten gesehen hat. Mehr noch: Manche sagen, der Lack sei ab. Trotz Projekt „Rheinsteig“, das dem Gebiet wieder mehr Gäste beschert habe, registriert Bahles. Und doch: Leicht hat es Kaub nicht. Von den gut 2500 Einwohnern, die noch vor gut zwei Jahrzehnten den Ort stark machten, sind gerade mal 850 übrig geblieben, Tendenz weiter abnehmend. Die Bevölkerung überaltert, angesichts der Rheintal-Topographie ist an ein Neubaugebiet nicht zu denken. Die Konsequenz: Die jungen Leute gehen, suchen anderswo ihr Glück. In verwaisten Häusern und Kinderzimmern sind kleine Ferienwohnungen entstanden, um sich so in bescheidenem Rahmen doch ein Stück vom Gästekuchen sichern zu können. Sieben Gastwirtschaften und drei Straußwirtschaften zählt der Ort mit einer Handvoll Winzerbetrieben. Gerade mal vier Hektar bewirtschaftet Bahles junior, der den Wein vor allem im eigenen Lokal ausschenkt. Alles Steillagen, die Weinbau zum Knochenjob werden lassen. „Renner“ ist die mit großzügigem Landeszuschuss entstandene Jugendherberge, die fast ständig ausgebucht sei, weiß Bahles. Sicher lässt er keine Chance aus, auch dort neue Freunde für den Freistaat am Mittelrhein zu gewinnen. Info Internet: www.freistaat-flaschenhals.de, Kontakt: Peter Josef Bahles, Bahnstraße 1056349 Kaub, Telefon: 06774/9180 64, E-Mail: kurier@freistaat-flaschenhals.de

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