Rheinpfalz Friedrichs Schloss für Clara Tott: Neuscharfeneck bei Ramberg

Zeugnis gehobener Wohnkultur: Reste eines Standerkers des Wohnbaus aus dem späten 15. Jahrhundert.
Zeugnis gehobener Wohnkultur: Reste eines Standerkers des Wohnbaus aus dem späten 15. Jahrhundert.

Unsere Serie über Burgen in der Pfalz und im Nordelsass begleitet das LEO-Buch „Ritter, Räuber und Ruinen“. In Folge 10 entdecken wir die viertgrößte Burgruine der Pfalz: Neuscharfeneck.

Wer sich Neuscharfeneck aus östlicher Richtung nähert, sieht zunächst nur: Wand. Eine monumentale, vielfach geflickte, hier und da abgeplatzte Schildmauer, mehr Bastion als hoher Mantel. 60 Meter breit, bis zu zwölf Meter dick und noch 20 Meter hoch ist dieses horizontal ausgebreitete Bollwerk mit rondellartig abgerundeten Ecken. Dahinter verbirgt sich eine keilförmige Anlage, deren Grundriss einem sehr spitz zulaufenden Trapez entspricht: Aus der Luft betrachtet, erinnert Neuscharfeneck an eine Kompassnadel, die permanent gen Westen weist.

Streben nach gehobener Wohnarchitektur

Der Eingang liegt, von der Schildmauer aus betrachtet, genau am anderen Ende der Burg. Dieses Entrée besteht aus einem spitzbogigen Tor, das von einem kleinen runden Turm flankiert wird. Dahinter, im Hof der Vorburg, fällt zunächst der Westgiebel des ehemaligen Palas ins Auge: Restaurierte Reste eines Erkers mit spitz auslaufender Steinhaube und ebenso geformtem Fuß dominieren die Front und künden vom Streben nach gehobener Wohnarchitektur. Die drei darunter liegenden Arkaden sollen zu einer Schmiede und einer nach vorne offenen Küche gehört haben: Um Brände zu vermeiden, lagen die Feuerstellen außerhalb der Kernburg und des herrschaftlichen Wohnbaus. Zu dessen weiteren Ruinen gelangt man, indem man den südlichen Zwinger durchschreitet, dann das Tor zur Unterburg passiert, den zentralen schmalen Felsgrat mit Resten von Buckelquaderverkleidung rechts liegen lässt und über einen Durchgang in der Felsbarriere den inneren Burghof auf der Nordseite betritt. Hier sieht man die erkergeschmückte Giebelfront des Palas nun von innen. Die Nordflanke des Wohnbaus ragt, in Fragmenten, noch drei Stockwerke hoch auf. Besonders bemerkenswert ist ein auskragender Standerker mit Rechteckfenstern, Kaffgesims und Rundbogenfries-Resten am oberen Rand. Nach hohem Mittelalter sieht das alles nicht aus. Eher nach Dürer-Zeit, nach Spätgotik im Übergang zur Renaissance. Und tatsächlich stammt die Burg in der Form, in der sie – zwar ruiniert, aber noch immer imposant – erhalten ist, im Wesentlichen aus dem 15. und 16. Jahrhundert.

Umbau der Burg

1469 ist das Wendejahr in Neuscharfenecks Geschichte. Damals befahl der Pfälzer Kurfürst Friedrich I., genannt „der Siegreiche“, einen Umbau der Burg, der einem Neubau gleichkam: Die Oberburg auf dem zentralen schmalen Felsgrat wurde abgerissen, ein älteres Gebäude musste dem neuen Wohnbau weichen, die Buckelquaderschildmauer des Mittelalters verschwand in der massiven neuen, mit Geschützplattform und Kasematten versehenen Schildmauer der Feuerwaffen-Ära. Aus der Burg, die von einer Seitenlinie der Herren von Scharfenberg etwa um die Mitte des 13. Jahrhunderts gegründet worden war, entstand eine Anlage an der Schwelle zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit. Doch warum betrieb der Pfälzer Kurfürst diesen Umbau? Nun, er brauchte ein „Wittum“, ein potenzielles Witwengut, für seine Frau Clara Tott sowie eine Herrschaft für die Söhne aus dieser „morganatischen Ehe“. Um selbst als Kurfürst herrschen zu können, hatte Friedrich nämlich 1451 den damals dreijährigen Sohn Philipp seines früh verstorbenen älteren Bruders Ludwig adoptiert – und im Gegenzug dazu auf eine standesgemäße Ehe verzichtet. Auf diese Weise sollten Philipps Ansprüche auf die Kurwürde unangefochten bleiben. Die Konstruktion gestattete Friedrich obendrein, ein paar Jahre später einfach aus Liebe zu heiraten: eben Clara Tott, eine aus Augsburg stammende Hofdame seiner Münchner Verwandtschaft. Absichern konnte Friedrich seine Frau und die mit ihr gezeugten Kinder allerdings nur durch Lehen, die während seiner Amtszeit als „erledigt“ an die Pfalz zurückgefallen waren: die Grafschaft Löwenstein am Neckar – und Neuscharfeneck.

Claras Haft auf Burg Lindenfels

Bewohnt hat Clara Tott das ihr zugedachte Schloss wohl nie. Nachdem Friedrich 1476 gestorben war, wurde sie auf Befehl seines Neffen und Adoptivsohns Philipp auf die Burg Lindenfels im Odenwald gebracht und dort neun Jahre lang festgehalten. Ihr Sohn Ludwig aber durfte 1477 sein Erbe antreten, und so blieb Neuscharfeneck bis ins 17. Jahrhundert hinein im Besitz der Herren von Löwenstein-Scharfeneck. Dann jedoch kam der Dreißigjährige Krieg (1618-1648). In seinen Wirren gingen sowohl das Adelsgeschlecht als auch die Burg unter.

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Gemäuer mit Aussicht und Details: Blick über den schmalen Felsgrat in der Mitte (oben), Palas-Giebel (li. u.) und Brunnenstele.
Gemäuer mit Aussicht und Details: Blick über den schmalen Felsgrat in der Mitte (oben), Palas-Giebel (li. u.) und Brunnenstele.
Palas-Giebel.
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Brunnenstele.
Klare Form: Neuscharfeneck von oben.
Klare Form: Neuscharfeneck von oben.
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