Interview Trierer Gamedesign-Professorin Breitlauch: „Traurig, dass wir unsere Absolventen verlieren“

„Mir ist es wichtig, beim Spielen entspannen zu können. Beim Fernsehen akzeptiert das jeder, bei Games noch nicht so richtig“, s
»Mir ist es wichtig, beim Spielen entspannen zu können. Beim Fernsehen akzeptiert das jeder, bei Games noch nicht so richtig«, sagt Deutschlands erste Professorin für Gamedesign, Linda Breitlauch.

Linda Breitlauch lehrt an der Hochschule Trier Gamedesign und engagiert sich innerhalb der deutschen Computer- und Videospiellandschaft vor allem für die Nachwuchsarbeit. Dabei spielen die Hochschulen in Rheinland-Pfalz eine große Rolle. Mit Benjamin Ginkel spricht Breitlauch über eine ausbaufähige Unterstützung der Landesregierung, warum Spieleentwickler finanziell gefördert werden sollten und über fragwürdige Werte in Games.

Sie wurden 2007 – europaweit – als erste Professorin für Gamedesign an eine Hochschule berufen, lehren mittlerweile seit Jahren an der Hochschule Trier zu Gamedesign und sitzen in der Jury gleich mehrerer Computerspielepreise. Wie ernst werden Sie von Ihren Kollegen aus anderen Fachrichtungen genommen?
Anfangs hat mir ein Kollege tatsächlich mal gesagt, dass ich mich doch lediglich als Professorin vorstellen soll, ohne das Gamedesign. Inzwischen ist das anders. Ich habe mich etabliert und Games sind in der breiten Masse der Gesellschaft angekommen.

Das war ja vor Jahren noch ganz anders ...
Allerdings. Da waren so richtig dicke Bretter zu bohren. Ich habe das durch meine Arbeit in Verbänden auf Bundesebene miterlebt. In der Politik hat sich in den vergangenen 20 Jahren richtig viel getan.

Statt genereller Games-Schelte im Zusammenhang mit Amokläufen zeigen sich Politiker mittlerweile gerne im Games-Umfeld, beispielsweise auf der Spielemesse Gamescom.
Die zeigen sich nicht nur gern, auf Bundesebene tut sich da auch viel. Im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ist für Games ein eigenes Referat mit vielen klugen Leuten entstanden. Dort ist unter anderem ein Förderprogramm für die Spielebranche entstanden, wie ich es für sinnvoll halte.

Ein Lob fürs Verkehrsministerium in Berlin? Das hört man selten. Sonst geht es da eher darum, was nicht funktioniert ...
... abgesehen davon, dass Steuerverschwendung nie gut ist, kann ich beispielsweise zum Thema Pkw-Maut nichts sagen und es nicht beurteilen. Eine Förderung für Spieleentwickler oder die Ausrichtung des Deutschen Computerspielepreises dagegen schon. Und da läuft es momentan sehr gut.

Sie haben es gerade erneut angesprochen: eine finanzielle Förderung für Spieleentwickler. Warum braucht es denn für eine Branche, die in der Corona-Pandemie ihren Umsatz kräftig gesteigert hat, steuerfinanzierte Fördergelder?
Solche Förderungen sind gerade für junge Teams enorm wichtig. Damit Gründerinnen und Gründer, die sich vielleicht im Studium kennengelernt haben, keine Finanzierungsprobleme haben, wenn sie sich selbstständig machen. Eine Förderung soll es kleinen Teams ermöglichen, ein, zwei Jahre zu überleben, um an ihrem Projekt arbeiten zu können. So lange brauchen Spiele mindestens bis zur Vermarktung. In der Zeit sollten Gründer eine Grundsicherung bekommen, sie müssen ja schließlich von etwas leben, und ein Mentoring-Programm.

Und wenn das Spiel floppt?
Dann ist das Geld weg.Klar, das kann passieren. Dafür haben wir dann aber vier, fünf junge Menschen, die top ausgebildet sind und noch alle Chancen haben. Dank der Förderung sind sie dann wenigstens nicht total verschuldet.

Dass die sogenannten Indie-Entwickler, also kleine, selbstständige Teams, gefördert werden, das erschließt sich. Aber weltweit tätige Spielekonzerne?
Auch die profitieren von einer Förderung. Die Entwicklungsstudios großer Spieleverlage konkurrieren oft untereinander um Aufträge. Die gehen nicht selten an die Studios, die kostengünstiger produzieren können. Mit einer Förderung würden häufiger Gelder für eine Produktion nach Deutschland fließen. Dass es in anderen Ländern satte Förderungen gibt, ist ein Standortnachteil für uns. Indieteams haben also ein Finanzierungsproblem, große Spieleentwickler eher ein Kostenproblem.

Die großen Umsatz- und Gewinnzuwächse der Games-Branche helfen also den Gründerinnen und Gründern nichts?
Leider nicht. Die großen internationalen Unternehmen haben richtig viel Geld gemacht. Mein vor Jahren in der Branche gemachter Vorschlag, eine Art Kulturförderabgabe, wie beim Film zu etablieren hat sich bislang nicht durchgesetzt: 50 Cent pro verkauftem Spiel in einen Fonds einzahlen und damit Indie-Entwickler unterstützen. Das wäre leist- und bezahlbar.

Auf Bundesebene gibts bereits eine Förderung für Start-ups und Unternehmen in der Spielebranche, ebenso in anderen Bundesländern. Wie sieht es da in Rheinland-Pfalz aus?
(Breitlauch richtet sich auf). Das fehlt hier. Es ist traurig, dass wir hier ausbilden, aber dann unsere Absolventen nach Nordrhein-Westfalen, ins Saarland oder an andere Bundesländer verlieren, weil es dort eigene Förderprogramme für die Gamesbranche gibt.

Wie viele Absolventen hat denn Ihr Fachbereich an der Hochschule Trier?
Da geht es nicht nur um Gamedesign. Die Hochschule hat auch den ältesten Fachbereich Informatik - für Spieleprogrammierer. Das sind zusammen mehr als 1000 Studierende. Wir sind da größer als Berlin, Hamburg oder München. Dazu kommen noch die Hochschulen Mainz, Worms und die Hochschulen in Kaiserslautern und Koblenz, die ebenfalls junge Menschen für die Gamesbranche ausbilden. Wir sind ein ganz, ganz starker Ausbildungsstandort.

Ziemlich viele Absolventen für nur wenige in Rheinland-Pfalz ansässige Spieleentwickler ...
Genau. Und längst nicht jeder will zu einer großen Firma. Die – eigentlich – gute Nachricht ist, dass die Gründungsbereitschaft groß ist. Die Leute wollen oft hierbleiben. Wir hatten 2020 allein in Trier zwölf Ausgründungen. Teams, die sich im Laufe des Studiums zusammengefunden haben. Von einer Förderung würde das Land also profitieren, denn die Fachkräfte würden nicht zu großen Teilen abwandern.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Das Team der Rivers and Wine Studios. Die haben mit ihrem Spiel „Upside Drown“ 2019 den Deutschen Entwicklerpreis als bestes Start-up der Branche gewonnen – und sind nun nach Nordrhein-Westfalen gezogen. Das Team Bhatty Rabbit hat seinen Unternehmenssitz in das Saarland verlegt.

Zwölf Ausgründungen in Trier, das ist beachtlich. So viele Spieleentwicklerstudios gabs ja vorher in ganz Rheinland-Pfalz nicht. Braucht es da überhaupt Geld vom Land?
Dass die Teams nun ihrer Arbeit nachgehen und an Spielen arbeiten können, das verdanken sie der Bundesförderung, von der wir mehr als eine Million Euro nach Trier geholt haben, dazu Preisgelder und das ehrenamtliche Engagement im Verein gamesAHEAD e.V. Der Verein hat sich gegründet, um jungen Teams zu helfen, die Vernetzung zu verbessern und ihnen im bundesweit ersten Digital Game-Hub „Hubertta“ (Hub for Entertainment, Research, Technology Transfer and Arts) Büroflächen zu ermöglichen. Dazu gibts für Gründer vom Verein noch Mentoringprogramme. Alle ehrenamtlich.

Das klingt doch schon sehr vielversprechend ...
Ist es auch! Aber wir müssen Rheinland-Pfalz als Land für die Gamesbranche interessanter und in der Bevölkerung bekannter machen. Damit die Menschen sehen, was wir hier leisten.

Deswegen werbe ich so vehement für eine Förderung auf Landesebene, die den Namen verdient und kein neues Etikett auf einem bereits bestehenden Fördertopf ist – und bei der die Gründer noch mit Start-ups aus anderen Branchen konkurrieren müssen.

Wenn Sie doch nur eher etwas mit Künstlicher Intelligenz oder Industrie 4.0 machen würden. Das gefällt doch Politikern und Verwaltungsmitarbeitern besser als „dieses Spielezeug“ ...
(lacht) Wir machen hier auch seriöse Informatik. Unser Spruch ist: „Wer ein Spiel programmieren kann, kann alles programmieren.“ Nicht zu vergessen, dass unsere Intermedia-Design-Absolventen auch als UI-Designer gefragt sind, beispielsweise bei Automobilkonzernen.

Erkenntnisse aus Spielen lassen sich also auch in anderen Feldern nutzen?
Natürlich. Das Stichwort ist Technologietransfer. Mein eigenes Start-up, skilltree, arbeitet beispielsweise an einer Smart-City-Simulation, mit der sich reale Stadtviertel digital erstellen und verändern lassen. Etwa mit energiesparenden Straßenleuchten oder Photovoltaikanlagen auf den Dächern. Mit wenigen Klicks sehen die Bürger die Veränderung in ihrem Viertel – und was sie konkret davon haben. So beschäftigt man sich spielerisch mit einer Materie, die sonst vor allem den Stadtrat interessiert. Ein schönes Beispiel, wie Spieletechnologie anders genutzt werden kann.

Ganz seriöse Games.
(lacht) Serious Games eben. Da gibts übrigens momentan viel zu wenige. Gerade mit Blick auf die alternde Gesellschaft. Games können dabei mithelfen, die körperliche und geistige Gesundheit länger zu erhalten. In dem Forschungsbereich haben wir derzeit ein Projekt mit der Carl-Zeiss-Stiftung, die zwischen Februar 2021 und Januar 2024 den Aufbau eines „Serious Games Lab“ mit dem Schwerpunkt „Senior Health Games“ fördert.

Ist es für Sie auch okay, dass Games nur der Unterhaltung dienen?
Selbstverständlich haben Spiele als Unterhaltungsform ihre Berechtigung, gerade dank der innovativen technischen Möglichkeiten. Statt abends vorm Fernseher zu sitzen, spiele ich aktuell ein, zwei Stunden Aufbauspiele wie „Medieval Dynasty“ oder „Endzone“. Letzteres ist übrigens ein Spiel von früheren Studenten hier an der Hochschule. Die hat es mittlerweile als Gently Mad Studios nach Hessen verschlagen.

Mir ist es wichtig, beim Spielen entspannen zu können. Beim Fernsehen akzeptiert das jeder, bei Games noch nicht so richtig. Dabei macht es doch so einen Spaß, in andere Welten abzutauchen, ohne dass es ums Lernen geht.

Auch, wenn dabei sprichwörtlich die Fetzen fliegen – Stichwort Gewalt in Games?
Hat denn Gewalt in Filmen einen Zweck? Actionspiele zeigen, was es im echten Leben gibt, referenzieren oft tatsächliche Ereignisse. Nicht jedes Spiel muss bereits für Kinder geeignet sein, so wie es bei Kriegs- oder Antikriegsfilmen auch ist. Durch Gewalt entstehen in Spielen Konfliktsituationen, die man aushalten muss. Über die man auch mal nachdenkt. Mittlerweile gibt es immer mehr Spiele, die genau das erreichen wollen. Wenn Sie so wollen, sind das Antikriegsspiele, in denen sperrige Themen transportiert werden. „This War of Mine“, in dem der Spieler eine Gruppe Kriegsüberlebende zwischen Trümmern spielt, ist kein Wohlfühl-Game. Aber übrigens ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man einem kleinen Entwicklerstudio Geld gibt.

Weil sich kein großer Hersteller an die Thematik gewagt hätte?
Die können sich solche Experimente nicht erlauben. Da gehts in den Produktionen um Millionen, das muss einem Massenmarkt gefallen. Kleine Studios können mehr ausprobieren. Echte Innovationen kommen von kleineren Studios. Die Großen sehen das dann und übernehmen es gegebenenfalls. Sie merken, wir sind wieder beim Thema Startfinanzierung (lacht).

... dann biege ich schnell ab und frage Sie: Sind Games ein Kulturgut?
Definitiv und seit 2008 auch vom Deutschen Kulturrat in den Kanon aufgenommen. Deswegen sollten wir in Deutschland daran arbeiten, den Eigenanteil der hier verkauften Games zu erhöhen. Aktuell kommen gerade einmal vier Prozent der Spiele aus deutscher Produktion. Das hat nicht nur finanzielle Folgen.

Und zwar?
Ein 96-prozentiger Anteil an ausländischen Spielen ist zwar kulturell fördernd, gerade wenn man sich über Landesgrenzen hinaus mit anderen Spielern austauscht, aber es hat auch Auswirkungen auf unsere Werte. Als Beispiel nehme ich da gerne die Rollenbilder aus asiatischen Spielen, wo die Frauen meist verniedlicht und/oder sexualisiert dargestellt werden. Sind das die Werte, die wir unseren Kindern mitgeben wollen? Wir sollten also nicht nur finanziell und wegen der Arbeitsplätze ein Interesse daran haben, mehr Spiele in Deutschland zu entwickeln, sondern auch kulturell.

Ein Großteil der Jugendlichen spielt mittlerweile Games – ob Jungs oder Mädchen. Sollten die in Bewerbungen das Hobby angeben?
Wenn sie sich bei uns bewerben, auf jeden Fall (lacht). Ansonsten würde ich es vielleicht eher im Gespräch einfließen lassen, je nachdem, wie der Interviewer reagiert. Wissenschaftlich bewiesen ist beispielsweise, dass junge Chirurgen besser operieren, wenn sie Games spielen. Das hat mit der Hand-Auge-Koordination zu tun. Oder wer in einem Online-Rollenspiel eine Gilde mit Dutzenden von Mitgliedern am Laufen hält, der beweist soziales Geschick. Bei manchen Spielen wird nebenher auch aufwendig mit Excel-Tabellen gearbeitet. Da gibt es viele Beispiele.

Letzte Frage: Was spielt die Gamedesign-Professorin?
Wie gesagt, derzeit abends mal ein Aufbauspiel. Für storylastige Action- oder Rollenspiele, an denen man länger dranbleiben muss, fehlt mir die Zeit.

Zur Person: Linda Breitlauch

Professor Linda Breitlauch, 55, studierte zunächst Betriebswirtschaftslehre, später Film- und Fernsehdramaturgie. 2008 promovierte sie über Dramaturgie in Computerspielen. Von 2001 bis 2006 entwickelte sie innerhalb eines Hochschulverbundes Lern- und Spielprojekte für Hochschulen und den Medienbereich. 2007 wurde Breitlauch zur ersten Professorin für Gamedesign an die Mediadesign Hochschule in Düsseldorf berufen. Seit April 2014 lehrt sie Gamedesign im Studiengang „Intermedia Design“ an der Hochschule Trier. Sie wurde als erste Frau in die Hall of Fame des Deutschen Entwicklerpreises aufgenommen. Breitlauch ist Mitglied in verschiedenen Jurys, unter anderem der des Deutschen Entwicklerpreises.

Info: Glossar

Hubertta: Der griffige Name des „Hub for Entertainment, Research, Technology Transfer and Arts“ in Trier. Dort arbeiten mehrere kleine Entwicklerteams an ihren Games.

Indiestudio: Meist noch kleine Spieleentwickler-Teams, die nicht von großen Spieleverlagen (Publisher) abhängig sind und ihr Game selbst finanzieren.

Serious Games: Computerspiele, die neben der Unterhaltung auch dazu dienen, Wissen zu vermitteln, Verhaltensänderungen anzustoßen oder etwas gegen Krankheiten zu tun.

UI: Abkürzung von „User-Interface“, der Benutzerschnittstelle. Also beispielsweise Gestaltung, Anordnung und Funktion der Inhalte auf einem Bildschirm oder Smartphone.

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