Politik Wenn Juden keine Kippa tragen können

Mit Appellen gegen Judenfeindlichkeit und Antisemitismus ist gestern in Ludwigshafen die christlich-jüdische „Woche der Brüderlichkeit“ eröffnet worden. Dabei wurde der katholische Theologe Hanspeter Heinz für seine Verdienste um die Verständigung zwischen Christen und Juden mit der Buber-Rosenzweig-Medaille geehrt.

Polizeibeamte auf dem Parkplatz und vor dem Pfalzbau, der guten Stube Ludwigshafens, Einlass nur gegen Vorlage der Eintrittskarte und des Personalausweises – die Sicherheitsvorkehrungen für die Veranstaltung der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit sind ein deutliches Indiz, dass jüdisches Leben in Deutschland immer noch nicht Normalität ist. So empfindet es auch der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm: Vor Hunderten Gästen im Pfalzbau spricht er davon, wie es ihn jedes Mal bedrückt, wenn er am israelischen Generalkonsulat vorbeifahre und davor einen Polizeibeamten sehe, der für den Schutz der Einrichtung sorgen müsse. „Der offene und versteckte Antisemitismus in unserem Land und die latente und offene Gewalt, die daraus erwächst und zu solchen Sicherheitsmaßnahmen führt, macht traurig, aber auch zornig.“ Als „beschämend“ bezeichnet es Bedford-Strohm, dass der Vorsitzende des Zentralrats der Juden „überhaupt nur die Überlegung anstellen muss“, ob Juden an bestimmten Orten besser keine Kippa tragen. Niemand dürfe sich „an die tägliche Realität der Bedrohung der Sicherheit von Juden in diesem Land gewöhnen“.Die Kirchen trügen eine besondere Verantwortung, da der „lange unhinterfragte und immer noch wirksame theologische Antijudaismus der Vergangenheit“ mitverantwortlich dafür gewesen sei, dass eine rassistische Ideologie Nährboden gefunden und unendliches Leid angerichtet habe, so Bedford-Strohm. Wie es sich mit der Verantwortung verhält, erklärt Eva Schulz-Jander, katholische Präsidentin des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Es sei „beängstigend und skandalös zugleich, dass es offenbar ernsthafte Bestrebungen in der evangelischen Kirche gibt, das Berliner Institut für Kirche und Judentum zu schließen. Hier würden gebahnte Wege wieder zugemauert. Das dürfen wir nicht zulassen.“ Applaus. Einig ist man sich, dass der christlich-jüdische Dialog, dem die „Woche der Brüderlichkeit“ gewidmet ist, wichtig und längst nicht am Ziel ist. Denn noch immer müssten bei der Überwindung von Vorurteilen und Klischees dicke Bretter gebohrt werden. Einer, der seit Jahren dafür kämpft, ist der Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille 2015, der Pastoraltheologe Hanspeter Heinz mit dem von ihm geleiteten Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Seit 1968 verleiht der Deutsche Koordinierungsrat die Medaille, die nach den jüdischen Philosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig benannt ist. Sie geht an Menschen, Institutionen und Initiativen, die sich um die Verständigung zwischen Christen und Juden verdient gemacht haben. An Menschen wie Heinz, der seit 41 Jahren den 1971 gegründeten Gesprächskreis „Juden und Christen“ leitet. Für Heinz ist klar: „Nie wieder die Lehre der Verachtung.“ Beispiele dafür finden sich – wie ein kurzer Film während des Festaktes zeigt – an Kathedralen und Domen wie in Bamberg oder Straßburg. Kirche und Synagoge stehen sich als zwei Frauen gegenüber: die Synagoge als blinde, geknickte und gedemütigte Gestalt, die Kirche gekrönt mit einem Kranz und dem Kreuzstab als Siegeszeichen. Als Kehrtwende dieser Verachtung bezeichnet Heinz die Erklärung „Nostra aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils und darin die Sätze über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Juden. Danach gehört zur Identität der Kirche, dass sie im Volk und im Glauben Israels wurzelt. Doch Heinz verhehlt nicht, dass es auf dem Weg auch Stolpersteine gab und gibt. Einer war die Formulierung einer eigenen Karfreitagsfürbitte „Für die Bekehrung der Juden“ unter Papst Benedikt XVI.. Das habe, so Heinz, schwere Irritationen bei den Juden und ihren christlichen Partnern hervorgerufen. Der ZdK-Gesprächskreis hingegen hat einigen Bischöfen einen Stein des Anstoßes geliefert mit der Absage an die Judenmission 2009. Die umstrittene These lautete: „Wir betonen ..., dass der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk einen Heilsweg zu Gott darstellt – auch ohne Anerkennung Jesu Christi und ohne das Sakrament der Taufe.“ Berührt ist davon die theologische Gretchenfrage: Wie halten es Christen mit dem Nein der Juden zu Jesus Christus? Eine Frage, deren Deutung nach Meinung Heinz’ noch erhebliche theologische Anstrengung verlangt. Gemäß dem Motto der „Woche der Brüderlichkeit“: „Im Gehen entsteht der Weg“. So wichtig theologische Auseinandersetzungen sind, so wichtig ist es, das Gedenken wachzuhalten. Oder wie Heinz es formuliert: „Nur wer in der Lage ist zu fragen, kritisch zu hinterfragen, gewinnt eine Weite des Horizonts, in dem anderes Denken und Leben nicht verachtet, sondern geschätzt werden.“ So haben Schüler der Integrierten Gesamtschule (IGS) Ernst Bloch in Ludwigshafen mit polnischen Jugendlichen sich der Erinnerungsarbeit in den Konzentrationslagern Osthofen und Auschwitz gestellt. Ihre Eindrücke und Gefühle haben sie in Bildern ausgedrückt, die im Pfalzbau ausgestellt sind: schwarze Gebäude, Schienen, die ins Lager der Vernichtung führen, dazwischen lodernde Flammen. „Die Zahlen sind für mich zu Menschen, Geschichten und Leben geworden“, schreibt Lydia nach dem Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz. Andere ziehen Konsequenzen aus dem Gesehenen: gezeichnete Springerstiefel, deren Schnürsenkel miteinander verknotet sind, dazwischen die Worte „Keinen Schritt weiter“. Unter all den dunklen Bildern ein Lichtblick: die Silhouette eines Mädchen, sie steht auf einem Foto, das eine Klasse beim Hitlergruß zeigt, daneben eine Fotografie mit einem Berg toter Menschen. In ihren Händen hält das Mädchen bunte Luftballons mit Buchstaben. Sie ergeben das Wort „TOLERANZ“ .

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