Politik Wassims Traum, wieder Lehrer zu sein

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Mit einem speziellen Angebot an den Unis Bielefeld und Bochum versucht Nordrhein-Westfalen, Flüchtlingen, die Lehrer sind, einen Berufseinstieg in Deutschland zu ermöglichen. Das Projekt läuft seit 2017 und ist dank Stiftungsmitteln noch bis 2020 finanziert.

Wassim Alanis Augen leuchten. Der hochgeschossene 36-Jährige mit der Glatze grinst breit. Er kann es kaum erwarten, über „Lehrkräfte Plus“ zu erzählen. Wassim, der aus Damaskus stammt und 2013 nach Deutschland kam, sitzt in einem nüchternen Seminarraum der Uni Bielefeld und berichtet über sein Schicksal. Seit der Flucht ist er getrennt von seiner Frau. Nur per Skype und Whatsapp können sie miteinander reden, sich sehen. Und doch ist Wassim voll unbändiger Hoffnung, dass die Flucht vor dem Krieg in seiner Heimat für das Paar gut enden wird. Denn der Englischlehrer hat dank eines der bundesweit ersten Förderprogramme dieser Art die Chance, in Deutschland auch als Lehrkraft arbeiten zu können.

Große rechtliche Schwelle steht im Weg

„Lehrkräfte Plus“, an dem Wassim mit 24 anderen nach Deutschland geflüchteten Lehrern teilnimmt, ist ein in nur sechs Monaten auf die Beine gestelltes, 2017 gestartetes, auf jeweils ein Jahr angelegtes Programm der Universität Bielefeld. Die Bertelsmann Stiftung in Gütersloh unterstützt es zunächst bis 2020 und vernetzt es mit anderen Initiativen. Zu den Kooperationspartnern gehört das nordrhein-westfälische Ministerium für Schule und Bildung. Alle zwei bis drei Monate trifft sich eine Steuergruppe der Partner, wie Projektkoordinatorin Kristina Purrmann an der Bielefeld School of Education der Uni Bielefeld erklärt. Dabei geht es unter anderem auch um Praktikumsstellen an Schulen, die für das Projekt ganz entscheidend sind. Für die Aufnahme von Praktikanten erhalten die Schulen Entlastungsstunden – ein nicht unwichtiger Anreiz, geflüchteten Lehrkräften eine Chance zu geben. Denn eine große rechtliche Schwelle in Deutschland steht Lehrkräften wie Wassim im Weg: Zum Lehrerstudium hierzulande gehört, zwei Schulfächer zu beherrschen. Im Ausland ist das die Ausnahme. In Wassims Fall ist es eben auch so: Er ist „nur“ Englischlehrer. Ein komplett neues Studium wäre aber schon wegen der Dauer kaum zu bewerkstelligen.

Nicht jeder Teilnehmer schafft es so weit

Dass trotzdem ein Einstieg ins deutsche Bildungssystem möglich ist, das hat „Lehrkräfte Plus“ schon bewiesen. Teilnehmer des ersten Jahrgangs haben etwa Vertretungsstellen bekommen für Lehrkräfte, die in Elternzeit oder längere Zeit krank sind. Eine Teilnehmerin aus Armenien konnte sich für ein Seiteneinsteigerprogramm des NRW-Schulministeriums qualifizieren. „Das ist schon ein echter Einstieg ins Berufsleben“, betont Projektkoordinatorin Purrmann. Die Bezahlung sei natürlich nicht so hoch wie bei einem Masterstudium mit Referendariat, aber es reicht, um auf eigenen Füßen zu stehen. Nicht jeder Teilnehmer schafft es freilich so weit. Das Erlernen der deutschen Sprache ist das A und O und auch eine hohe Hürde für manchen. Einige Absolventen des ersten Jahrgangs sind daher erstmal in ein Studium gewechselt. Aber auch sie haben nun ein Zertifikat einer deutschen Uni, das ihren Erfolg im Programm „Lehrkräfte Plus“ belegt.

Ziel ist das Niveau C1

Um zu gewährleisten, dass ein Bewerber überhaupt eine Chance hat, gibt es eine Vorauswahl. Von 270 Bewerbern im ersten Jahr wurden nur 24 genommen. Im ganzen ersten Halbjahr liegt der Fokus auf der Professionalisierung der Sprache der Teilnehmer. Ziel ist das Niveau C1, das zum Bestehen der zweiten Stufe der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) qualifiziert. Im zweiten Halbjahr hospitieren Wassim und seine Kollegen bereits an Schulen, wobei ihnen Mentoren zur Seite stehen. Begleitend erhalten sie ganzjährig eine pädagogisch-interkulturelle Qualifizierung und fachlich-didaktische Hilfen. Während die akademische Qualifikation von Lehrern wie Wassim erstmal nicht vergleichbar mit der Ausbildung in Deutschland ist, bringen die Teilnehmer von „Lehrkräfte Plus“ eine ganz andere Stärke mit, von der das Schulsystem profitieren kann: ihre individuelle Biografie, ihre kulturelle Kompetenz, auch ihre Kenntnis von Sprachen, die unter deutschen Schülern durchaus verbreitet sind, aber von den wenigsten Lehrern beherrscht werden. 80 Prozent der Lehrkräfte-Plus-Teilnehmer sind aus Syrien. Aber auch Armenien, Pakistan, Irak, Tunesien, Aserbaidschan, Algerien, die Türkei und Guinea sind vertreten. „Wir sind überzeugt, dass die geflüchteten Lehrkräfte Schule bereichern werden“, sagt Angela Müncher von der Bertelsmann Stiftung. „Unser Schulsystem hat in den vergangenen Jahren sehr viele Kinder mit Fluchtgeschichte integriert – die Schülerschaft ist dadurch bunter geworden, aber die Kollegien sind es nicht.“ Projektkoordinatorin Purrmann weiß um dieses Problem, sie hat neben einem Lehramtsstudium einen Master in Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Migrationspädagogik. „Viele Studierende mit Migrationshintergrund brechen das Lehramtsstudium ab.“ Sie hält daher die Unterstützung der staatlichen Projektpartner wie auch der Bertelsmann Stiftung für ein „sehr gutes politisches Statement“.

So schnell wie möglich eigenes Geld verdienen

NRW gehört dank der Unterstützung der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung Mercator, die „Lehrkräfte Plus“ auch an der Uni Bochum ermöglicht, zu den Vorreitern bei dem Versuch, qualifizierten Kräften unter Geflüchteten einen Einstieg in den Lehrerberuf in Deutschland zu gewähren. „Ähnlich gelagerte Projekte gibt es in Potsdam und Göttingen“, heißt es aus dem NRW-Schulministerium. Und: „Interessierten Ländern stehen wir gern mit Informationen zur Seite.“ Dem Mainzer Bildungsministerium ist das NRW-Programm bekannt, wie ein Sprecher mitteilt. Ein ausgewiesenes Sonderprogramm, um geflüchtete Lehrer in den Schuldienst einzugliedern, gebe es nicht in Rheinland-Pfalz. Wassim und seine Kollegen sind jedenfalls voll des Lobes und des Danks für Deutschland. Der 36-Jährige Syrer betont, er wolle so schnell wie möglich sein eigenes Geld verdienen und mit seiner Lehrertätigkeit dem Land, das ihn aufnahm, etwas zurückgeben. Nur eins fehlt ihm zu seinem Glück: Dass er möglichst bald seine Frau hierher holen darf. Sie lebt in einem Flüchtlingslager in Jordanien. Um sie auch mitzunehmen, dafür reichte das Geld nicht.

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