Politik Viel Gewürge ums Gymnasium

Lehrer, Eltern, Schüler – eigentlich alle wollen in Bayern das G9 zurück, das Abitur nach neun Jahren am Gymnasium. Nur die Regierenden eiern herum. Ministerpräsident Horst Seehofer hat das Thema jetzt zur Chefsache gemacht, aus Angst vor dem Zorn der Wähler.

Was bei der Diskussion um die Gestalt des bayerischen Gymnasiums herauskommen werde, meinte Finanzminister Markus Söder neulich, das wisse er auch nicht so genau: G8, G9, G9-plus. „Ein G20 vielleicht?“, frotzelte einer in der Runde. „Na, das ist was ganz anderes“, knurrte Söder zurück. Wenigstens das ist also geklärt. Alles andere harrt einer Antwort. Immer noch. Auch nach dem Krisentreffen von Staatsregierung und CSU-Fraktion vorige Woche, von dem eine Entscheidung hätte ausgehen können. Aber wieder einmal erging nur ein Prüfauftrag an den Kultusminister; bis Ostern erwartet man von ihm ein Papier mit „Eckpunkten“. Dabei gibt’s die Eckpunkte längst: Alle, die in Bayerns Schulpolitik institutionell was zu sagen haben – Lehrer, Eltern, Kommunen – sind unglücklich mit der achtjährigen Variante des Gymnasiums, welche unter Edmund Stoiber (CSU) 2003 eingeführt wurde. Das geschah dermaßen überfallartig, sogar für die CSU-Fraktion im Landtag, dass die Wunden eines solch selbstherrlichen Regierungsstils bis heute nicht ganz verheilt sind. Das Gemurre blieb, schwoll in Bayern bis zur Landtagswahl 2008 so an, dass die absolute Mehrheit der CSU darüber baden ging. Diverse Reparaturversuche am G8 waren die Folge, das Resultat ist ein Flickwerk, das niemanden begeistert. Auch ist die erste praktische Abstimmung zur Reform des „Turbo-Gymnasiums“ eindeutig ausgefallen: An den 47 Projektschulen, die seit 2015 eine verlängerte „Mittelstufe plus“ anbieten, haben sich fast 70 Prozent der Schüler genau für diesen Modellversuch entschieden – und damit faktisch für eine neunjährige Gymnasialzeit. Gerechnet hatten die Politiker damit, dass nur ein Drittel der Schüler diese entspanntere Variante wählen würde. Lehrer, Schulleiter und Eltern in Bayern verlangen heute rundweg eine Rückkehr zum G9. Allein die Regierenden tun sich schwer, weil sie – so wird spekuliert – nicht zugeben wollten, dass das G8 letztlich ein Flop sei und weil sie damit einen Weg beschreiten müssten, den die Opposition im Landtag mit diversen Gesetzesanträgen schon begangen hat. Dann würde die mit wiedergewonnener absoluter Mehrheit regierende CSU ja eingestehen, dass auch SPD, Grüne und Freie Wähler einmal recht haben könnten. Diese Schmach tut sich eine CSU nicht an. Im Juli 2016 verfiel die Landesregierung in ihrer Not auf die Idee, die Entscheidung auf die einzelnen Gymnasien abzuwälzen und es ihnen – à la Hessen – freizustellen, ob sie G8 oder G9 anbieten wollten. Das sei „die feigste aller Möglichkeiten“, scholl es aus den Schulen zurück; und in der Fraktion ging das Murren wieder los, weil dieser „Kompromiss“ allein zwischen Ministerpräsident Horst Seehofer und Kultusminister Ludwig Spaenle ausgehandelt worden war und weil die Abgeordneten fürchteten, genauso überrollt zu werden wie von Stoiber im Jahr 2003. Seither schmollt jeder auf seine Weise. Kultusminister Spaenle hält sich mit eigenen Initiativen zurück, weil er sagt, eine Entscheidung liege beim Landtag, also bei der CSU-Fraktion. Diese wiederum will nicht entscheiden, weil sie die Bezeichnung „Wendehälse“ nicht auf sich bezogen sehen möchte. Außerdem gibt’s in der Fraktion durchaus unterschiedliche Meinungen zur Sache. Zu Spaenle sowieso. Und die Abgeordneten wollen diesmal eine Entscheidung „auf Dauer“. Sie wollen sie so lange wie möglich ausdiskutieren, sonst könnte das Volk ja wieder meckern. Und Seehofer lässt sie gewähren. Oder besser: Er ließ. Denn vor ein paar Wochen stellte auch er eine „helle Aufregung“ im Land über die G8/G9-Frage fest, kanzelte seinen Kultusminister ab und erhob das Thema zur Chefsache. Schließlich stehen wieder einmal Wahlen an, die in Bayern nächstes Jahr; bis dahin will Seehofer das Thema vom Tisch haben. Eine Steilvorlage für Seehofer hatte die Junge Union im Januar geliefert. Sie beschloss ohne jedes Wackeln eine flächendeckende Rückkehr zum G9. Nichts mit acht- oder neunjährigen Zügen parallel, alles zu kompliziert und zu teuer. „In Bayern darf es nur ein Gymnasium geben“, steht in dem Beschluss. „Wir brauchen Ruhe in der Schullandschaft!“ Das verlangte JU-Chef Matthias Reichhart. So einfach wird’s nicht, denn eine schiere Rückkehr zum alten G9 ist selbst der Jungen Union zu wenig. Eine „weitere qualitative Aufwertung“ des Gymnasiums sei zwingend, sagt der CSU-Nachwuchs. Und schon dreht sich die Diskussion über dieses „Plus“ am neuen G9 weiter: Richtet man beispielsweise eine individuelle Überholspur ein für begabte G8-Fans? Wie soll der neue Lehrplan aussehen? Die neue Pädagogik? Nur eine Frage ist in Bayern keine. 1000 neue Lehrer wird man brauchen für das neunjährige Gymnasium; ein paar hundert Millionen Euro sind wohl für Baumaßnahmen nötig. Aber Finanzminister Söder, der soeben neue Rekordeinnahmen an Steuern vermeldet, er sagt: Was die Politik beschließe, das werde auch bezahlt. Wenn’s nicht auf ein „G20“ hinausläuft natürlich. Aber das ist ja sowieso was ganz anderes: die institutionalisierte Gipfelrunde von 20 führenden Staaten der Welt.

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