Meinung US-Wahlkampf: Von „Normalos“ und „schrägen Vögeln“
Mal ehrlich: Die allermeisten von uns möchten doch von ihren Mitmenschen als „normal“ angesehen werden. Denn wer der Norm nicht entspricht, wird oft schief angesehen, mitunter ausgegrenzt und mit Etiketten versehen, von denen der „Paradiesvogel“ noch zu den freundlichsten gehört. Dass Normal-Sein oft auch mit einer gewissen Langeweile in Verbindung gebracht wird, wird hingenommen. „Keine Experimente“ – der alte CDU-Slogan mag gerade in der heutigen Zeit, wo allerorten Unsicherheit und Orientierungslosigkeit herrschen, auf viele anziehend wirken.
Auf diese nach Normalität strebenden Wählerinnen und Wähler zielte bei der Bundestagswahl 2021 auch der AfD-Slogan „Deutschland. Aber normal“. Damit suggerierte die AfD, sie sei Hüterin einer Normalität, die von den anderen Parteien zur Disposition gestellt werde. Dass gerade in der AfD sich viele tummeln, deren politische Ansichten den Normalitäts-Test kaum bestehen würden, sei hier nur am Rande erwähnt. Zu klären wäre zudem, wer festlegt, was eigentlich „normal“ ist.
Trump und Vance als schräge Vögel
Die wahlkämpfenden US-Demokraten haben bei der Suche nach einer Strategie, mit der sie den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und dessen Vize-Kandidaten J.D. Vance entgegentreten können, den Spieß quasi umgedreht: Statt ihre eigene Normalität zu betonen, bezeichnen sie Trump und Vance neuerdings bei jeder Gelegenheit als „weird“, also schräg oder seltsam. Statt also andauernd erregt und empört auf Trumps Beleidigungen, Hasstiraden und Lügen zu antworten, haben die Demokraten eine geradezu geniale Umkehr der Rollen vorgenommen: Sie beschränken sich angesichts von Trumps fortwährenden Angriffen nicht aufs Zurückweisen und Reagieren, sondern entziehen diesen quasi von vornherein die Grundlage, indem sie deren Urheber als „seltsam“ bezeichnen. Also als jemanden, der zwar tierisch nervt, den man aber auch nicht allzu ernst nehmen sollte – ein schräger Vogel eben.
Bislang scheint die Strategie der Demokraten, die sie dem von Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris als Vize auserkorenen Tim Walz – dem personifizierten Normalo – verdanken, aufzugehen. Der harte Kern der Trump-Fans wird sich davon zwar nicht beeindrucken lassen. Aber manch anderer mag ins Grübeln kommen, ob er tatsächlich als Anhänger eines Mannes gelten will, für den „weird“ eine eher beschönigende Charakterisierung ist. Wie lange die Wirkung von „weird“ anhalten wird, muss freilich die Zukunft bis zum Wahltag am 5. November zeigen.
Nicht jede Provokation durch Empörung aufwerten
Was aber lässt sich aus all dem für Wahlen und Wahlkämpfe in Deutschland lernen? Auf den ersten Blick wenig, weil hierzulande selbst im härtesten Wahlkampf glücklicherweise noch gewisse Regeln der Fairness und des Anstands gelten. Wer die brechen und versuchen würde, die Trumpschen Tiraden nachzuahmen, würde sich selbst ins Abseits stellen.
Eine Schlussfolgerung aber lässt sich doch ziehen, gerade auch im Umgang mit Radikalen und Extremen: Manchmal kann es geboten sein, nicht jede gezielte Provokation noch durch moralisch aufgeladene Empörung aufzuwerten, sondern auch mal mit einer Portion Gelassenheit zu fragen, ob solche Äußerungen eigentlich noch normal sind.