Politik Steffen Möller im Interview: „In Polen herrscht eine große Wut“

Steffen Möller.
Gilt als der bekannteste und beliebteste Deutsche in Polen: Steffen Möller ist Schauspieler, Entertainer und Buchautor.

Am 13. Oktober wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Im Wahlkampf punktet die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit antideutschen Parolen. Der Kabarettist und Autor Steffen Möller (50, „Viva Polonia“) pendelt seit 25 Jahren zwischen Berlin und Warschau. Im Interview vergleicht er die PiS mit der deutschen AfD.

Herr Möller, seit vier Jahren regiert in Polen die PiS von Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Seitdem sind uns unsere Nachbarn fremd geworden.

Finden Sie das so fremd? Ich glaube, man kann das Phänomen der neuen PiS-Regierung ganz einfach so erklären, dass in Polen die AfD an die Macht gekommen ist. Wir könnten, wenn wir mehr nach Polen schauen würden, daraus viel für die Analyse unserer eigenen Verhältnisse lernen. Man könnte zum Beispiel lernen, dass der große Erfolg der AfD bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen nicht nur eine Folge von 30 Jahren Vereinigung mit der BRD ist, sondern eben auch ein postsozialistisches Ereignis. In Polen gab es keine arroganten Wessis, die die Macht übernommen haben – und trotzdem herrscht 30 Jahre später eine große Wut bei vielen Bürgern, die von Kaczynski ausgenutzt wird.

Eine Wut worauf?

Auf die Eliten, auf die Wende-Gewinner in Warschau und in den Großstädten. Und da es keinen großen Wessi-Bruder gab, der beim Wiederaufbau half, ist die Armut und die Wut der Abgehängten noch viel größer als in Ostdeutschland.

Die polnische PiS-Regierung punktet im Wahlkampf mit antideutschen Parolen. Wie ist es, im Jahr 2019 als Deutscher in Warschau zu leben? Hat sich das Klima verändert?

Ein Tourist würde gar nichts bemerken. Im privaten Rahmen aber ist die Stimmung stark politisiert worden. Man muss eine Meinung haben, Stellung beziehen. In jeder Familie, jedem Lehrerzimmer herrscht eine starke Spaltung zwischen den Kaczynski-Fans und den Kaczynski-Gegnern.

Als Wahlkampfschlager scheint die PiS Weltkriegsreparationen ausgemacht zu haben und fordert von Deutschland rund eine Billion Euro. Warum verfängt diese Forderung bei den Wählern?

Ich halte diese Forderung nicht für sehr zugkräftig, sie spielt innenpolitisch in Polen keine große Rolle. Der Erfolg Kaczynskis und seiner Partei hat mit seiner enormen Erhöhung der Sozialleistungen zu tun. Die Reparationsforderungen verfangen wohl nur beim harten Kern der PiS-Wählerschaft, die immer schon gewusst hat, dass die Deutschen stets nach der Hegemonie in Europa streben und klammheimlich auch noch mit den Russen unter einer Decke stecken. Diesen harten Kern schätze ich auf 25 Prozent der Wähler.

Sie treten regelmäßig in polnischen Medien auf. Nutzen Sie diese Auftritte auch für Kritik?

Nein, ich trete schon seit Jahren nicht mehr in den polnischen Medien auf, und das hat keinerlei politische Gründe. Meine Zeit im Fernsehen war einfach zu Ende. Heute trete ich fast nur noch in Deutschland auf – wo ja 1,7 Millionen polnischsprachige Menschen leben. Hier in Deutschland spielen sich die wichtigen Begegnungen zwischen Deutschen und Polen ab – und da mein Thema die kulturellen Unterschiede sind, habe ich hier mein Publikum gefunden. Ich moderiere Partnerschaftstreffen mit polnischen Städten – es gibt davon Hunderte - und ich habe sogar schon deutsch-polnische Hochzeiten moderiert.

Welches Bild haben eigentlich die Polen von den Deutschen?

Insgesamt kein besonders gutes. Aber ich sehe das positiv. Polen und Deutsche machen beide gemeine Witze über den jeweils anderen – und wenn man es ein bisschen geschickt anstellt, kann man sich das sogar zunutze machen. Ich selber bin das beste Beispiel. Wenn man in Polen als selbstironischer Deutscher auftritt, erntet man sofort Verwunderung und Freude: „Schaut mal, ein Deutscher mit Selbstironie – das hätten wir nie gedacht.“

Mit Humor zur Völkerverständigung. Was können wir noch tun? Haben Sie einen Tipp?

Ja, ich habe einen Tipp – wir sollten in das jeweils andere Land fahren und uns umgucken. Wer nicht hinfahren kann, sollte zumindest mal ein Buch in die Hand nehmen. Der Schriftsteller Tadeusz Nowakowski hat einmal gesagt: „Zwischen Polen und Deutschen ist bislang noch viel zu wenig Tinte vergossen worden.“ Mit meinen bislang vier Büchern über Polen versuche ich, diesem Übelstand ein wenig abzuhelfen.

Zur Person: Steffen Möller wurde 1969 in Wuppertal geboren, lebte von 1994 an in Warschau und pendelt heute zwischen der polnischen Hauptstadt und Berlin. Als Schauspieler und Entertainer gilt er als der bekannteste und beliebteste Deutsche in Polen. Für sein Wirken um die deutsch-polnische Verständigung wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Sein 2008 erschienenes Buch „Viva Polonia“ stand fast ein Jahr auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. In seinem aktuellen Buch „Weronika, dein Mann ist da!“ gibt Möller Tipps für deutsch-polnische Paare. Als Kabarettist ist er derzeit in Deutschland auf Tour.

Demonstranten in Warschau: In der polnischen Hauptstadt gingen vor einem Jahr tausende Menschen gegen die geplante Justizreform
Demonstranten in Warschau: In der polnischen Hauptstadt gingen vor einem Jahr tausende Menschen gegen die geplante Justizreform auf die Straße. Foto: dpa
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