Porträt Schröder hat sein eigenes Denkmal eingerissen
Manchmal sieht man ihn noch in Berlin. Obwohl ihm sein Altkanzlerbüro genommen wurde, hält sich Gerhard Schröder oft in der Hauptstadt auf. Vor zwei Monaten stand er Journalisten Rede und Antwort. Man erlebte einen vitalen älteren Herrn, der schlagfertig jede Frage pariert, der im Wechsel charmant und fies sein kann und mit der ihm eigenen Herablassung das aktuelle politische Personal abkanzelt wie kaum ein anderer. Schröder wirkt, als sei er mit sich im Reinen, wenn er sagt: „Ich bin manchmal ein bisschen anders als andere.“
Der Mensch
Schröder brüskiert zuweilen mit seinem Eigensinn. Das war früher schon so, das ist heute noch so. Aber das macht ihn auch interessant, er hat Ecken und Kanten. Und er formuliert so, dass man weiß, was er will und denkt. Das macht aus ihm eine Type, wie man sie im gegenwärtigen politischen Raum kaum noch findet. Aber kaum jemand musste einen so tiefen Fall erleben wie er. Er tat auch viel dafür, dass es so weit kommt.
Der Erfolg wurde Schröder nicht in die Wiege gelegt. Er war ein Kind des Zweiten Weltkriegs, geboren 1944, aufgestiegen aus einfachsten Verhältnissen. Seinen Vater hat er nicht kennengelernt, er fiel als Obergefreiter der Wehrmacht in Siebenbürgen.
Schröder schilderte seine Kindheit stets in dunklen Farben, man habe zu den Ärmsten der Armen gezählt, sagte er einmal. Ehrgeizig kämpfte er sich nach seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann nach oben, über die Abendschule zur Mittleren Reife und danach bis zum Abitur. Er wollte was werden. Und er wollte sich etwas leisten – ein schönes Leben, schöne Frauen. Und er wollte die Vergangenheit zurücklassen. Schröder wurde was: Rechtsanwalt, SPD-Funktionär, Ministerpräsident, Kanzler, schließlich gut bezahlter Lobbyist. Es ist eine beachtliche Karriere, bei der Schröder eine Menge Flurschaden angerichtet hat. Am Ende hat er sein eigenes Denkmal eingerissen, weil er einen Kriegstreiber nicht als solchen erkennen will. Das ist die besondere Tragik, die seinen Geburtstag überschattet.
Der Kanzler
Wie Olaf Scholz mit dem Ukraine-Krieg wurde Gerhard Schröder mit einem Konflikt konfrontiert, noch ehe er als Kanzler richtig im Amt war. Der Balkankrieg tobte, das Gemetzel religiöser oder nationalistischer Fanatiker entsetzte die Welt. SPD und Grüne stritten 1999 heftig, ob Deutschland die Bundeswehr in den Kosovo schicken sollte. Es zerriss die Parteien fast. Schröder, der dritte sozialdemokratische Bundeskanzler, sicherte der Nato die Beteiligung deutscher Soldaten zu. Er erkannte, dass die Welt vom wiedervereinigten souveränen Deutschland Soldaten statt Millionenschecks erwartete. Drei Jahre später sperrte sich der Kanzler jedoch gegen den Wunsch der USA nach einer deutschen Beteiligung am Irak-Feldzug, was sich als weitblickend erwies.
In der Innenpolitik strapazierte Schröders Agenda-Politik vor allem das Zusammengehörigkeitsgefühl der SPD. Gewerkschaften und der linke Flügel der SPD beklagten einen massiven Sozialabbau. Es war die Zeit, als Schröder mit „Basta“-Politik und offenen oder versteckten Rücktrittsdrohungen versuchte, die Koalition zu retten. Dennoch waren die damaligen Sozialreformen nach Jahren des sträflichen Laissez-faire dringend notwendig. Das Land profitiert noch heute davon. Gesellschaftspolitisch kam viel in Gang: Erstmals wurde die Möglichkeit zu legalen eingetragenen Lebenspartnerschaften eingeführt. Das Staatsbürgerschaftsrecht wurde modernisiert und das Zuwanderungsgesetz neu geordnet.
Der machtbewusste Kanzler tat aber 2004 etwas, das man von ihm nicht erwartete: Er übte Verzicht, indem er unter Druck stehend sein Amt als Vorsitzender der SPD an Franz Müntefering übertrug. Der Parteivorsitz, die Machtbasis für die Regierungsaufgaben, lag nun in den Händen eines anderen. Nachdem die Sozialdemokraten bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 nach 39 Jahren die Regierungsführung an die CDU verloren hatten, sah Schröder die Grundlage für seine Politik in Frage gestellt. Im Bundestag stellte er am 1. Juli 2005 die Vertrauensfrage mit der Absicht, diese zu verlieren, um vorgezogene Neuwahlen zu beantragen. Das Ende ist bekannt: Angela Merkel (CDU) wurde neue Kanzlerin, auch wenn der Verlierer von der SPD ihr in einem denkwürdigen Auftritt in der Wahlnacht jede Machtperspektive absprach. Auch hier irrte Schröder.
Der Putin-Freund
Bis heute wirkt Schröders Engagement nach seiner Kanzlerschaft befremdlich. Dass er kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Amt eine neue Beschäftigung ausgerechnet bei der „Nord Stream“-Pipeline des russischen Gazprom-Konzerns fand, wirkte so, als würde er seine politische Karriere und seine fragwürdige Nähe zu Putin als Drehtür in eine neue, äußerst lukrative Welt nutzen.
Mag Schröders Verständnis für das russische Vorgehen auf der Krim schon eigenartig gewesen sein, so fiel seine Reaktion auf den Überfall Russlands auf die Ukraine bodenlos aus. Schröder bezeichnete öffentlich Putins Aggression als „Fehler“, was nicht annähernd das Leid beschreibt, das die Ukrainer seitdem erfahren. Als Schröder 2002 sein Nein zum Irak-Feldzug der USA aussprach, hatte er es damit begründet, es dürfe nicht das Recht des Stärkeren gelten. Diesen Grundsatz hat er offenbar vergessen.