Interview Pfälzische EU-Abgeordnete zum Haushaltsplan: „Nicht hinnehmbar“

Pocht auf klare und verbindliche Rechtsstaatskriterien bei der Vergabe von EU-Geldern: Christine Schneider.
Pocht auf klare und verbindliche Rechtsstaatskriterien bei der Vergabe von EU-Geldern: Christine Schneider.

Das Finanzpaket, auf das sich die EU-Staats- und Regierungschefs nach tagelangem Ringen geeinigt haben, stößt im Europaparlament auf breite Kritik. Darüber und über die Gefahren neuerlicher Grenzschließungen sprach Ralf Joas mit Christine Schneider. Die 48-jährige CDU-Politikerin aus der Südpfalz gehört dem Straßburger Parlament seit 2019 an.

Frau Schneider, wegen wieder steigender Corona-Zahlen könnte es erneut Grenzkontrollen geben. Solche Kontrollen und Sperrungen haben zu Beginn der Pandemie der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit schwer geschadet. Wo blieb damals der Aufschrei aus dem Europaparlament?
In den betroffenen Regionen gab es diesen Aufschrei durchaus. Aber es handelte sich um eine Entscheidung der nationalen Regierungen, und wir Europaparlamentarier waren in dieser Situation hin und her gerissen. Im Nachhinein zeigt sich, dass wir dringend grenzüberschreitende Absprachen und koordinierte Maßnahmen brauchen. Die Grenzschließungen hatten zum Teil verheerende Folgen. Deshalb müssen wir alles daran setzen, dass zukünftig andere Maßnahmen greifen. Und eines ist auch klar: Ein Virus macht vor Grenzen nicht halt. Grenzschließungen bringen uns da nicht weiter, daher müssen wir diese definitiv verhindern.

Was muss getan werden, um die entstandenen Gräben wieder zuzuschütten?
Wir müssen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wieder intensivieren. Die Strukturen sind da. Zum anderen brauchen die Grenzregionen Hilfe, insbesondere bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, weil sie von der Corona-Pandemie besonders betroffen sind. Deshalb fordern wir, dass bei der neuen EU-Verordnung „React EU“ die Grenzregionen entsprechend unterstützt werden.

Anderes Thema: Das Europaparlament hat das von den Staats- und Regierungschefs ausgehandelte Finanzpaket heftig kritisiert. Wo liegen die größten Schwächen?
Zunächst einmal bin ich froh, dass es überhaupt ein Ergebnis gibt. Ein Scheitern des EU-Gipfels wäre für den Zusammenhalt Europas verheerend gewesen. Gleichwohl sind Teile des mittelfristigen Finanzrahmens für die Jahre 2021 bis 2027 aus meiner Sicht – und das sehen große Teile des Parlaments genauso – nicht akzeptabel. EU-Gelder dürfen nicht nach Gutdünken ausgegeben werden, sondern bei der Vergabe aller EU-Mittel muss es einen europäischen Mehrwert geben. Das Argument, mit dem Geld solle die Wirtschaft stabilisiert werden, reicht nicht aus, wenn wir künftigen Generationen Schulden hinterlassen. Da müssen auch nachhaltige Effekte ausgelöst werden. Deshalb teile ich die massive Kritik an den Kürzungen von Zukunftsprogrammen, zum Beispiel bei dem Horizon-Programm zur Förderung von Forschung und Innovation, beim Austauschprogramm Erasmus oder bei der Gesundheitspolitik. Gerade in Covid-19-Zeiten ist so etwas nicht nachvollziehbar.

Wo soll das Geld herkommen?
Wir dürfen nicht nur über neues Geld reden, sondern wir müssen auch über Umschichtungen reden. Was aber nicht passieren darf ist, dass es eine Renationalisierung des EU-Budgets gibt. Es kann nicht sein, dass über den Einsatz von 90 Prozent der EU-Mittel die Nationalstaaten entscheiden, wie diese Mittel verwendet werden. Wir als Parlament müssen dafür sorgen, dass europäisches Geld auch einen Mehrwert für Europa hat.

Umschichtungen allein werden nicht reichen. Um der EU zusätzliche Mittel zu verschaffen, gibt es verschiedene Vorschläge wie etwa eine Plastikabgabe oder die Digitalsteuer. Sind das gangbare Wege?
Ja, über mehr Eigenmittel wird seit langem geredet, ohne dass wir bisher einen Schritt weitergekommen wären. Wir brauchen, zum Beispiel beim Thema Digitalsteuer, mehr Steuergerechtigkeit. Digitalkonzerne zahlen vergleichsweise sehr wenig Steuer auf ihre Gewinne. Das müssen wir beenden. Steuern sollten dort bezahlt werden, wo auch die Wertschöpfung entsteht. Ich weiß, dass wir das in Europa nicht allein entscheiden können, aber hier müssen wir endlich vorankommen. Dazu bieten die Verhandlungen über den mittelfristigen Finanzrahmen jetzt eine Chance.

Im Umgang mit autoritären Regierungen wie in Polen oder Ungarn wirkt die EU noch immer weitgehend hilflos. Das zeigte sich auch beim EU-Gipfel. Wie soll die EU da noch glaubwürdig als Wertegemeinschaft auftreten?
Wenn es gegenüber dem Gipfelbeschluss keine Nachbesserungen gibt, sehe ich dafür im Moment keine Mehrheit im Europäischen Parlament. Das gilt für die Zukunftsfähigkeit des EU-Haushalts genauso wie für das von Ihnen angesprochene Thema Rechtsstaatlichkeit. Die Vergabe von europäischen Geldern muss an verbindliche Kriterien zur Rechtsstaatlichkeit geknüpft sein. Beim EU-Gipfel wurde zumindest ein Teilerfolg erzielt, weil es gelungen ist, die beiden Themen miteinander zu verbinden. Aber die unterschiedlichen Reaktionen zeigen, dass es hier noch an Eindeutigkeit fehlt. Wir brauchen klare, nachprüfbare Kriterien, die die EU-Kommission anschließend überwachen muss. Und wenn diese Kriterien nicht eingehalten werden, muss die Auszahlung der Gelder sofort gestoppt werden. Dieser Beschluss soll dann nur mit qualifizierter Mehrheit von den Mitgliedstaaten aufgehoben werden können. Dafür bietet das Gipfel-Papier eine gute Verhandlungsgrundlage.

Ist es wirklich vorstellbar, dass das Parlament im Herbst Nein zum Gipfel-Kompromiss sagt?
Ja, und es wäre auch nicht das erste Mal. Das, was derzeit auf dem Tisch liegt, ist für uns als Parlament nicht hinnehmbar. Das hat ja auch die breite Mehrheit für die entsprechende Resolution gezeigt. Und wenn jetzt gesagt wird, wir stünden unter Zeitdruck, dann kann ich nur sagen: Der Rat verhandelt seit 2018 über diesen Finanzrahmen. Dass wir so im Zeitverzug sind, liegt also wirklich nicht am Europaparlament.

Kontrollen statt freie Fahrt: So sah es im Frühjahr nicht nur am deutsch-französischen Grenzübergang in Kehl aus.
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