Katholische Kirche Papst lehnt Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx ab: Doppelter Ritterschlag

Franziskus macht den Münchner Erzbischof Reinhard Marx zu einer Art Vorbild für die Bischöfe.
Franziskus macht den Münchner Erzbischof Reinhard Marx zu einer Art Vorbild für die Bischöfe.

Wieder sind alle überrascht, und wieder scheint es keinerlei Absprachen in Gremien oder Strukturen gegeben zu haben. Nicht der Nuntius oder der Präfekt der Bischofskongregation überbrachte die Botschaft aus Rom, sondern der Papst, und zwar in schriftlicher Form: Erzbischof Reinhard Marx muss bleiben.

Der Papst persönlich verfasste die Ablehnung des Rücktrittsgesuchs des Münchner Kardinals in seinem bilderreichen und emotionalen Spanisch und ordnete die sofortige Veröffentlichung an. Lange dauert es, bis erste Reaktionen eintrudeln. Im Erzbistum München und Freising braucht man über drei Stunden, bis Marx reagiert und ebenfalls von Überraschung spricht.

Seitenhieb auf Deutschland

So bleibt für Bischöfe und Kirchenexperten Zeit, den Brief des Papstes zu studieren und die Konsequenzen für Deutschland und weltweit zu wägen. Etliche Male stimmt der Papst dem Kardinal ausdrücklich zu. „Die gesamte Kirche ist in der Krise wegen des Missbrauchs“, schreibt er – und weiter: „Ich stimme Dir zu, dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben: der traurigen Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Weise, wie die Kirche damit bis vor Kurzem umgegangen ist.“

Zugleich macht der Papst klar, dass er sich eine Wende für die Kirche nicht von Missbrauchsstudien oder vom Enthüllungsjournalismus erhofft: „Es sind nicht die Untersuchungen, die uns retten werden, und auch nicht die Macht der Institutionen. Uns wird nicht das Prestige unserer Kirche retten, die dazu neigt, ihre Sünden zu verheimlichen. Uns wird nicht die Macht des Geldes retten und auch nicht die Macht der Medien.“ Auch eine „Reformation“ sei keine Lösung, erklärt der Papst mit einem Seitenhieb auf Deutschland, sondern nur die Selbsterniedrigung.

Der einzige Weg bestehe darin, die Sünde öffentlich einzugestehen und Gott um „die Gnade der Scham“ zu bitten: „Jeder Bischof muss sie (die Sünde) annehmen und sich fragen: Was muss ich angesichts dieser Katastrophe tun?“ Das Marxsche Rücktrittsangebot lobt der Papst hier in höchsten Tönen.

Lob für demütiges Verhalten

Damit macht der Papst Marx für die Bischöfe zu einer Art Vorbild und lobt ihn dafür, dass er nicht mit „Leichen im Keller“ leben will, bloß um das Ansehen der Institution zu retten. Und so ist es konsequent, dass er ihn auffordert, weiter Erzbischof von München und Freising zu bleiben, um sich „für eine geistliche Erneuerung der Kirche einzusetzen“.

Mit diesem doppelten Ritterschlag des Papstes, also dem Lob für sein demütiges Verhalten und der ausdrücklichen Bestätigung im Amt des Erzbischofs, hat Marx nun eine einzigartige Stellung unter den deutschen Bischöfen. Zugleich geht der Papst mit diesem Schritt ein erhebliches Risiko ein. Sollten Gutachter oder Journalisten dem Kardinal schwere Verfehlungen in der Vergangenheit nachweisen, dann würde die „moralische Beförderung“ durch den Papst rasch wieder verpuffen – und ein denkbarer neuer Skandal könnte dann auch auf Franziskus selbst zurückfallen.

Kritik von Missbrauchsopfern

Marx betonte wohl auch deshalb: „Es bleibt bei dem, was ich auch in meiner Erklärung unterstrichen habe: dass ich persönlich Verantwortung tragen muss und auch eine ,institutionelle Verantwortung’ habe, gerade angesichts der Betroffenen, deren Perspektive noch stärker einbezogen werden muss. Ich empfinde diese Entscheidung des Papstes als große Herausforderung. Danach einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein.“ Wie dieses „Kein weiter so“ aussehen könnte, weiß niemand.

Kein Verständnis für die Entscheidung des Papstes bringen Missbrauchsopfer auf. Der Verein „Eckiger Tisch“, der die Interessen von Betroffenen sexueller Gewalt im Kontext der katholischen Kirche vertritt, kritisiert, dass Franziskus die Verantwortung der Bischöfe an Machtmissbrauch und Vertuschung von Missbrauch relativiere. Von dem radikalen Neuanfang, den das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx andeutete, sei durch die Entscheidung des Papstes jetzt wenig geblieben.

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