Politik Nächster Schlag gegen die Demokratie

Vermeintlicher Staatsfeind Nummer eins: Das Gesetz betrifft vor allem George Soros, dessen Stiftung viele Organisationen finanzi
Vermeintlicher Staatsfeind Nummer eins: Das Gesetz betrifft vor allem George Soros, dessen Stiftung viele Organisationen finanziert.

Unbeeindruckt von europaweiten Protesten hat das ungarische Parlament gestern das umstrittene Gesetz verabschiedet, das künftig die Tätigkeit von ausländischen Nicht-Regierungsorganisationen massiv einschränkt und diskriminiert. Kritiker sprechen von einem weiteren Schlag gegen die Demokratie.

Das Parlament, staatliche Schlüsselstellen, Gerichte, Medien, Universitäten – es gibt mittlerweile wenige Institutionen und Einrichtungen in Ungarn, die der autokratische Premier Viktor Orbán in seiner siebenjährigen Amtszeit nicht unter die Kontrolle seiner Regierungspartei Fidesz gebracht hätte. Nur staatlich unabhängige Organisationen (NGOs) waren noch nicht an die Kandare genommen worden – bis gestern. Da beschloss das Parlament das sogenannte Transparenzgesetz mit überwältigender Regierungsmehrheit: 130 Abgeordnete stimmten mit Ja, 44 mit Nein, 24 enthielten sich. Diese Zahlen verdeutlichen die Machtlosigkeit der Opposition in Ungarn. Das Gesetz betrifft nur vom Ausland finanzierte NGOs, darunter die führenden Menschenrechtsorganisationen wie das Helsinki Komitee, Human Rights Watch, Amnesty International oder die Antikorruptionsliga Transparency International und vor allem die Open-Society-Stiftung des ungarischstämmigen Spekulanten und Philanthropen George Soros, der viele dieser NGOs finanziell unterstützt. Heimische Vereine, Fußballclubs und parteipolitische Vorfeldorganisationen sind der von Orbán geforderten Transparenz trotz oft dubioser Finanzierungen allerdings nicht unterworfen. Vorgeschrieben wird eine Registrierung bei Gericht, wenn die Einnahmen mehr als 24.000 Euro im Jahr betragen. Zudem müssen Name und Adresse der ausländischen Geldgeber angeführt werden. Daneben werden die NGOs zu einem Hinweis verpflichtet, den sie sämtlichen ihrer Publikationen anfügen müssen: „vom Ausland finanzierte Organisation“. Das ist eine abgeschwächte Form der russischen Vorlage, die NGOs als „ausländische Agenten“ anprangert. Verstöße gegen die neuen Vorschriften werden sanktioniert, von Geldbußen bis zur Auflösung der Organisation. Die konservative Europäische Volkspartei im EU-Parlament versuchte vergeblich, den ungarischen Parteifreund umzustimmen, ebenso die EU-Kommission. Doch Vorwürfe, wonach das Gesetz gegen Gemeinschaftsrecht verstoße, kratzen Orbán wenig. Die Venedig-Kommission des Europarats, ein Gremium internationaler Staatsrechtler, will das NGO-Gesetz auf Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention prüfen. Die Verfassungsjuristen kritisierten auch die „giftige Kampagne“ der Regierung und die „unverhältnismäßigen Sanktionen“ gegen NGOs. Orbán rechtfertigt das Gesetz mit der Bekämpfung von Geldwäsche – nirgendwo in der EU wird dieser Verdacht gegen Menschenrechtsorganisationen geäußert. In einer seiner turnusmäßigen Radioansprachen sagte er: „Die Ungarn haben ein Recht darauf zu erfahren, wer diese NGOs sind, wer sie bezahlt und welche Interessen sie vertreten.“ Stellvertretend für die betroffenen Organisationen erwiderte Goran Buldioski, Direktor der Soros-Stiftung: Das Gesetz „greift Ungarn an, die Bürgern helfen, die unter Korruption und Machtwillkür leiden und die für freie und unabhängige Medien aufstehen“. Soros wird von der Regierung seit Monaten mit antisemitischen Untertönen regelrecht dämonisiert. Orbán erklärte den 86-jährigen Finanzspekulanten, der seit der Wende 1989 Millionen von Dollar für den Aufbau der osteuropäischen Demokratien spendet, geradezu zum Staatsfeind Nummer eins: Durch seine Geldspenden an regierungskritische NGOs, die Massen von illegalen Flüchtlingen ins Land lassen wollten, sowie an die linke Opposition wolle Soros den Sturz der Regierung herbeiführen. Der rüstige Milliardär warf Orbán kürzlich vor, in Ungarn „einen Mafiastaat etabliert“ zu haben, worauf der Premier von einer „Kriegserklärung gegen Ungarn“ sprach. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen: Alle NGOs wollen vor dem Verfassungsgericht gegen das Gesetz Beschwerde einlegen.

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