Forschung Mit einem Nasenspray das Coronavirus bekämpfen

Molekularbiologe Emanuel Wyler forscht in Berlin an einem Nasenspray-Impfstoff mit abgeschwächten Coronaviren.
Molekularbiologe Emanuel Wyler forscht in Berlin an einem Nasenspray-Impfstoff mit abgeschwächten Coronaviren.

Menschen, die sich vor dem Piks beim Impfen fürchten, leuchtet der Nutzen eines Impfstoff-Nasensprays gegen Corona vermutlich sofort ein. Doch es geht nicht nur um Impfängste. Eine sogenannte intranasale Verabreichung hat womöglich weitere Vorteile gegenüber injizierten Impfstoffen.

Coronaviren verbreiten sich bekanntermaßen vor allem durch die Luft und gelangen daher in der Regel zunächst in Nase, Rachen und Lunge. Nur logisch erscheint es deswegen, direkt dort, in den Schleimhäuten, mit der Bekämpfung der Erreger zu beginnen – und eine Corona-Infektion so im besten Fall ganz zu vermeiden.

Tatsächlich arbeiten Forscher schon seit der Frühzeit der Pandemie, also seit 2020, an Schleimhaut-Impfstoffen. Anders als die bisherigen Impfstoffe sollen sie nicht in den Muskel gespritzt, sondern direkt in die Nase verabreicht beziehungsweise inhaliert werden.

Direkt am Eintrittsort

„Wenn der Impfstoff in den Muskel gespritzt wird, baut sich die Immunität vor allem im Blut beziehungsweise über den ganzen Körper verteilt auf. Das heißt, dass Coronaviren, die ja über die Oberfläche der Schleimhäute von Nase und Hals eindringen, vom Immunsystem erst relativ spät bemerkt und damit bekämpft werden können“, erläutert Emanuel Wyler, Molekularbiologe am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin. „Um eine Ansteckung oder die Weitergabe des Virus zu verhindern, ist das zu spät.“

Die Schleimhautimpfstoffe hingegen sollen eine Immunität direkt am Eintrittsort von Sars-CoV-2 aufbauen und die Erreger dann zügig bekämpfen. Anfang September wurden zwei Präparate in Indien und China zugelassen. Dutzende weitere Kandidaten befinden sich in Entwicklung, einige werden bereits in klinischen Studien getestet.

Abgeschwächte Viren

Der Impfstoff des chinesischen Herstellers CanSinoBIO wird inhaliert und ist dort als Booster zugelassen. Das indische Präparat, entwickelt vom Unternehmen Bharat Biotech, ist auch für die Grundimmunisierung zugelassen und wird in die Nase gegeben. Beide Präparate beruhen auf abgeschwächten Adenoviren, einer Gruppe von Viren, die unterschiedliche Erkrankungen hervorrufen kann. Die abgeschwächten Viren können sich selbst nicht oder nur schlecht vermehren und somit keine Krankheiten auslösen. Sie transportieren aber genetisches Material von Sars-CoV-2 in die Zellen der Schleimhaut, woraufhin der Körper Antikörper und andere Abwehrstoffe gegen das Coronavirus bildet.

Die Hoffnung ist, dass die in den Schleimhäuten aufgebaute Immunität sowohl für längere Zeit vor Ansteckung schützt als auch die Weitergabe des Erregers bremst. „Wie gut das funktioniert, wissen wir momentan allerdings nicht, weil bisher nur wenige Daten von zugrundeliegenden Studien veröffentlicht wurden“, sagt Leif Erik Sander, Immunologe und Impfstoffforscher von der Berliner Charité. Viele Fragen sind noch offen. Grundsätzlich aber brauche man genau solche Impfstoffe, sagt Sander. Es sei bedauerlich, dass in Europa oder in den USA nicht mit gleicher Intensität an Schleimhaut-Impfstoffen geforscht werde.

Schutz vor neuen Varianten

Einige Studien zu derartigen Impfstoffen laufen aber auch außerhalb Asiens. In den USA etwa ist das Pharmaunternehmen Codagenix weit vorangeschritten. Eigenen Angaben zufolge testet es sein Präparat in einer klinischen Studie der fortgeschritteneren Phase zwei/drei in Zusammenarbeit mit dem Serum Institut of India im Rahmen eines Projekts der Weltgesundheitsorganisation.

In Deutschland arbeitet der Biologe Emanuel Wyler in einem Team mit Wissenschaftlern der Charité unter Federführung der FU Berlin an einem Nasenspray-Impfstoff, der genau wie der Impfstoff von Codagenix auf abgeschwächten Coronaviren basiert. Der Vorteil hierbei ist, dass dem Immunsystem ein vollständiges Virus präsentiert wird – und nicht nur einzelne Eiweiße wie in den meisten anderen der derzeit verfügbaren Corona-Impfstoffe. Man erhofft sich davon einen besseren Schutz auch vor neu auftauchenden Varianten.

Fälle von Gesichtslähmung

Ergebnisse aus Tierversuchen verliefen demnach erfolgreich: Der Impfstoff rief bei Hamstern eine effektive Immunantwort hervor, nach zwei Dosen hätten die Tiere nach einer gezielten Infektion mit dem Coronavirus fast keine Anzeichen einer Erkrankung und sehr geringe Entzündungswerte gezeigt. „In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Rocket Vax geht das Projekt nun in Richtung klinische Studie“, erläutert Wyler.

Ein speziell bei einem intranasal verabreichten Impfstoff wichtiger Sicherheitsaspekt betrifft die Nähe zu den Gesichtsnerven. Der nasale Grippeimpfstoff eines Schweizer Pharmaunternehmens wurde 2001 vom Markt genommen, nachdem sich Fälle von Gesichtslähmung bei Geimpften häuften. „Das ist eine mögliche Nebenwirkung solcher Produkte, die wir uns genau anschauen müssen“, sagt Wyler. Momentan ist nur ein nasal verabreichter Schleimhaut-Impfstoff in Europa zugelassen, für Kinder und Jugendliche gegen die Grippe.

Hohe Hürden zu nehmen

Aber braucht man solche Impfstoffe in der Corona-Pandemie überhaupt noch? Schließlich ist in vielen Ländern die Immunität in der Bevölkerung dank der Impfungen und als Folge der Infektionen mittlerweile deutlich gestiegen. Klaus Stöhr, Epidemiologe und unter anderem Mitglied des Corona-Sachverständigenausschusses, der die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung unabhängig bewertet hatte, ist skeptisch. Stöhr zufolge ist eine Zulassung in allen Altersgruppen „extrem unwahrscheinlich“ – ein weit verbreiteter Einsatz wäre jedoch nötig, um die Viruszirkulation zu stoppen oder die Entstehung von Immunflucht-Varianten zu verhindern.

Mediziner Sander kann sich eine gezielte Anwendung der Impfstoffe in besonderen Personengruppen oder besonderen Situationen hingegen gut vorstellen. „Ich halte ein Szenario für denkbar, dass hochgefährdete Gruppen, etwa Bewohner von Pflegeheimen, vielleicht alle drei Monate mit so einem Nasenspray ihre Immunität auffrischen.“ In so einer Situation zahle sich die vergleichsweise einfache Verabreichung als Nasenspray aus. Intranasale Impfstoffe seien auch für die gar nicht so kleine Gruppe von Menschen interessant, die unter einer starken Angst vor Spritzen leide, ergänzt Biologe Wyler.

Er weist allerdings auch auf die hohen Hürden hin, den ein Schleimhautimpfstoff mit Blick auf die Zulassung nehmen muss. „Wir sind nicht mehr in der gleichen Situation wie 2020“, sagt Wyler. „Ein möglicher neuer Impfstoff muss sich gegen alle Impfstoffe durchsetzen, die momentan auf dem Markt sind – er muss einfach besser sein.“ Allerdings sei alles, was jetzt erforscht werde, auch hilfreich für die Entwicklung anderer Schleimhaut-Impfstoffe – „gegen Grippe, virale Atemwegserkrankungen oder alles andere, was noch kommen mag.“

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