Interview Militärexperte: Die Bundeswehr wird nicht im Geld schwimmen

Die Landesverteidigung rückt in den Mittelpunkt.
Die Landesverteidigung rückt in den Mittelpunkt.

Die Bundesregierung plant für die Bundeswehr ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, außerdem sollen die Verteidigungsausgaben künftig mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Im Interview mit Stefan Fischer erklärt Oberst a.D. Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik, wofür das Geld vorrangig gebraucht wird und was sich ändern muss, damit es nicht versickert.

Herr Richter, schwimmen die deutschen Streitkräfte künftig im Geld?
Die Bundeswehr wird nicht im Geld schwimmen. Die Bundeswehr hat Defizite, die ausgeglichen werden müssen. Dazu gehört, dass ein großer Teil der Heeresverbände nur teilweise ausgestattet ist. Erst wenn wir Großverbände haben, die voll ausgestattet und kurzfristig einsatzbereit sind, sind wir zur Landes- und Bündnisverteidigung fähig. Ich spreche deshalb nicht von Aufrüstung, sondern von der vollen Ausstattung der Verbände.

2014 betrug der deutsche Verteidigungshaushalt 32,4 Milliarden Euro, 2021 immerhin 46,9 Milliarden. Warum haben die Etatsteigerungen der vergangenen Jahre so wenig gebracht?
Geld ist wichtig, aber Geld ist nicht alles. Wir brauchen die notwendigen Strukturen, zum Beispiel bei der Beschaffung, damit es nicht versickert. Außerdem war die Bundeswehr lange auf Auslandseinsätze ausgerichtet. Das bedeutet, man hat Kontingente aus vielen Einheiten zusammengestellt, die sich dann erst einmal zusammenfinden mussten und bis zu einem halben Jahr gemeinsam ausgebildet wurden. Außerdem wurde Gerät aus allen möglichen Verbänden geholt, was dort weitere Lücken riss. Diese Struktur passt nicht für die Landesverteidigung.

Heißt das, Auslandseinsätze wie in Afghanistan und Mali kommen nicht mehr infrage?
Nicht unbedingt. Wenn man eine voll ausgestattete Truppe hat, die mobil ist, kann man die auch für Auslandseinsätze verwenden.

Sie haben die Beschaffung angesprochen. Die Schwerfälligkeit des Beschaffungsamtes BAAINBw in Koblenz ist legendär. Was muss sich da ändern?
Wir haben da eine Mentalität von guten Staatsbeamten, die ich als solche gar nicht kritisieren will. Aber sie führt auch dazu, dass wegen der detaillierten Vorschriften und des Vergaberechts vor allem darauf hingewiesen wird, was nicht möglich ist. Daraus entwickelt sich eine Mentalität des Verhinderns und Verlangsamens. Der Sparzwang verstärkt diesen Effekt. Wir brauchen hier effizientere Strukturen und Verfahren, die zu schnelleren Entscheidungen führen.

Als Verteidigungsministerin hat Ursula von der Leyen einst die Unternehmensberaterin Katrin Suder zur Staatssekretärin gemacht, um das Beschaffungswesen zu reformieren. Suder ist gescheitert. Warum sollte es nun klappen?
Mir macht Hoffnung, dass jetzt der entschiedene Wille der Regierung und der großen Mehrheit des Bundestags vorhanden ist. Ich glaube, dass nun die Notwendigkeit wirklich erkannt worden ist, dass sich hier etwas ändern muss.

Muss auch die Militärführung bei der Beschaffung umdenken?
Ja, gefragt sind nicht mehr „Goldrand-Lösungen“, sondern es geht jetzt um die schnelle Ausstattung der Truppe mit einsatzbereitem Gerät. Es darf nicht zu ständigen neuen Änderungs- und Ergänzungswünschen im Verlauf eines Beschaffungsprozesses kommen. Außerdem brauchen wir eine Verschlankung der Strukturen der Bundeswehr. Wir leisten uns zu viele höchste Kommandobehörden, die parallele Arbeit betreiben. Das macht die Prozesse schwerfällig. Um es platt zu sagen: Wir brauchen weniger Häuptlinge und mehr Indianer. Die Verantwortung für den Auftrag, das Personal, das Material und die Ausbildung gehört wieder in eine Hand. Wir hatten solche effektiven Strukturen schon einmal im Kalten Krieg. Damals standen zwölf voll ausgerüstete Felddivisionen mit jeweils etwa 15.000 Soldaten und weitere zwei Divisionen der Territorialverteidigung innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung. Heute wären wir schon zufrieden, wenn wir wenigstens drei vollausgestattete, durchsetzungsfähige und mobile Heeresdivisionen für die Landes- und Bündnisverteidigung kurzfristig einsetzen könnten.

Welche Investitionen sind mit dem frischen Geld nun vorrangig?
In der Landes- und Bündnisverteidigung muss man sich auf hochintensive Gefechte in einem längeren Konflikt einstellen. Um dies durchhalten zu können, bedarf es einer umfangreichen und mobilen Logistik. Hier muss man zunächst Lücken schließen. So wird ein großer Teil des 100-Milliarden-Pakets schon für die Aufstockung der Munitionsvorräte gebraucht. Dann geht es darum, Großprojekte langfristig finanziell abzusichern wie die Nachfolge des Tornado-Mehrzweckflugzeugs und eines schweren Transporthubschraubers, moderne Fregatten und U-Boote, die Bewaffnung von Drohnen, die Wiedereinführung einer robusten Flug- und Drohnenabwehr, die gemeinsame Entwicklung eines künftigen Kampfpanzers gemeinsam mit Frankreich und anderen Bündnispartnern, oder auch die Ausstattung der Truppe mit kompatiblen Funkgeräten und die Ergänzung der persönlichen Ausrüstung. Man sollte sich dabei keinen Illusionen hingeben: Die Defizite zu beseitigen, wird nicht von heute auf morgen möglich sein. Das wird einige Jahre dauern.

Herr Richter, wir haben jetzt wie selbstverständlich über etwas geredet, was vor ein paar Wochen noch hoch umstritten gewesen wäre: die drastische Ausweitung des Wehretats. Sehen Sie dazu auch eine Alternative?
Ich sehe im Moment keine Alternative zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben als solchen. Ich weise aber darauf hin, dass die Nato schon seit 1967 gut beraten war, nicht nur auf Abschreckung zu setzen, sondern auch auf Dialog, Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle. Denn die Abschreckung allein ist instabil, erhöht die Bedrohungsperzeptionen des Gegners und führt so zu Aufrüstungsspiralen. Der Krieg in der Ukraine dauert an, die kooperative Sicherheitsordnung in Europa ist zusammengebrochen und die Konturen einer neuen Ordnung zeichnen sich noch nicht ab. Klar ist aber, dass sie weitaus konfrontativer sein wird als die bisherige. Diesen neuen Zustand werden wir regeln müssen, damit es zu keiner Eskalationsspirale kommt. Dafür wird es auch wieder einen Dialog mit Russland geben müssen.

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