Politik Maaßen-Affäre: Ein Schritt zu viel

Es ist wieder so ein Tag in Berlin, an dem Politiker von Union und SPD bereitwillig reden, aber nicht namentlich zitiert werden wollen. Die Affäre Maaßen hat sie alle verunsichert. CDU-Abgeordnete ballen die Faust in der Tasche über den Umstand, dass Verfassungsschutzpräsident Maaßen für seine Grenzüberschreitungen nach den Ereignissen von Chemnitz auch noch mit einem höher dotierten Staatssekretärsposten belohnt wird. Und bei der SPD ist ohnehin Feuer unterm Dach, nachdem Innenminister Horst Seehofer (CSU) in einer Pressekonferenz beinahe beiläufig erwähnte, dass ein SPD-Mann nun seinen Hut nehmen müsse, um Maaßen im Ministerium Platz zu machen. Die Genossen fragen sich: Wie konnte SPD-Chefin Andrea Nahles so etwas zulassen? Wurde darüber im Kanzleramt denn nicht verhandelt? Die Vermutung liegt nahe, dass Kanzlerin Angela Merkel, Seehofer und Nahles diese Sache erörtert haben. Denn hätte Seehofer die Riege seiner schon jetzt acht Staatssekretäre um einen Posten für Maaßen vergrößern wollen, hätte er dafür das Ja des Haushaltsausschusses des Bundestages benötigt. Voraussetzung wäre das Einvernehmen der Koalitionsparteien in dieser Frage gewesen. Weil sich die SPD diesem Ansinnen widersetzt hätte, verzichtete Seehofer auf einen zusätzlichen Staatssekretär. Stattdessen versetzt er einen der acht in den einstweiligen Ruhestand. Man muss Zweifel an Nahles’ Kompetenz haben, wenn ihr nicht klar gewesen war, dass dieses Los einen der Ihren trifft. Seehofer schasst einen SPD-Mann, einen anerkannten Fachmann für das Thema Bauen: Staatssekretär Gunther Adler. Der 55-Jährige aus Leipzig war Mitarbeiter von Hans-Jochen Vogel und Johannes Rau, Referent des Bundespräsidenten und seit 2012 als Staatssekretär in mehreren Bundesministerien tätig. „Hier wird mitten im Rennen das beste Pferd vom Platz genommen“, bedauert der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Adler ist nun der einzige, der in der Affäre Maaßen seinen Job verliert. Auf die Frage, ob das so in der Kanzlerrunde Thema gewesen war, bleibt Seehofer merkwürdig unpräzise: „Alle Folgeprobleme der Ablösung von Herrn Maaßen wurden besprochen.“ Und was sagt Nahles? Die SPD-Chefin stellt sich gestern keinen Fragen, sondern schreibt einen Brief an die Parteimitglieder. Darin äußert sie sich allgemein, dass Seehofer den Staatssekretärsposten zur Bedingung für die Maaßen-Ablösung gemacht habe. Diese Belastung für die Zusammenarbeit in der Koalition „müssen wir aushalten“, schreibt Nahles. Im Internet ergießt sich viel Spott über die Sozialdemokraten. Der Tenor: Die Partei hat es geschafft, einen Streit zwischen Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer zu ihrem eigenen Problem zu machen. Die SPD geht als Verliererin vom Platz. Und das Versagen des Verfassungshüters Maaßen, der das Geschäft der Rechtspopulisten betrieben hat, wird belohnt. „In der Welt jenseits der politischen Spiele wird jemand, der Fehler macht, bestraft. Oder man verzeiht ihm die Fehler. Aber niemand wird abgesetzt und gleichzeitig befördert“, bringt es Grünen-Chef Robert Habeck gestern in einem Blogbeitrag auf den Punkt. Die SPD-Zentrale hat für ihre Mandatsträger eine Sprachregelung herausgegeben. Sinngemäß lautet sie so: Die Forderung der SPD nach Ablösung von Maaßen sei erfüllt worden. Was aber Seehofer nun treibe, sei verwerflich. So sind SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider zu vernehmen. Unberührt bleibt dabei die Tatsache, dass SPD-Chefin Nahles diesen Kompromiss mit ausgehandelt hat. Die dazu befragten SPD-Abgeordneten aus der Pfalz argumentieren entlang der vom Willy-Brandt-Haus vorgegebenen Linie. „Herr Seehofer trickst die Kanzlerin aus, stößt die SPD vor den Kopf und fügt der Politik insgesamt Schaden zu. Meine Parteibasis ist entsetzt“, zürnt etwa Gustav Herzog (Wahlreis Kaiserslautern). Der Südpfälzer SPD-Mann Thomas Hitschler ist über die Entscheidung von Innenminister Seehofer „maßlos entsetzt“. Und: „Ja, ich finde es schrecklich, dass Maaßen jetzt im Innenministerium ist. Unabhängig davon, wer für ihn gehen muss.“ Das Murren der Basis und die Wut der Funktionäre treiben nun die ersten prominenten Sozialdemokraten zu einer Art Misstrauensvotum gegen Nahles. Die SPD-Vizechefin und bayerische Spitzenkandidatin Natascha Kohnen erklärte in einem Brief an die Parteichefin, Maaßen habe „maßgeblich dazu beigetragen, die rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz zu verharmlosen“. Die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder sollten der Beförderung Maaßens daher nicht zustimmen. Dies aber wäre ein Bruch der am Mittwoch im Kanzleramt getroffenen Vereinbarung – und zu Ende gedacht auch ein Bruch der Koalition. Nun befindet sich Kohnen im bayerischen Landtagswahlkampf und hat daher auch etwas „Beinfreiheit“ in der zugespitzten Bewertung der Ereignisse. Doch Sorgen muss sich die SPD-Vorsitzende machen, wenn etwa so angesehene SPD-Vertreter wie der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius die Entlassung des SPD-Staatssekretärs als „Provokation ersten Ranges“ bezeichnen. Zwischen den Zeilen liest man die Frage heraus, warum Nahles so etwas überhaupt zulassen konnte. Sind die Koalitionspolitiker also der Realität entrückt? Noch einmal Grünen-Chef Robert Habeck: „Die Entscheidung, Herrn Maaßen zu befördern, war eine selbstvergessene, selbstgerechte Entscheidung, die mehr zerstört als heilt. (...) Das ist aber der Gradmesser für die Frage, ob man sich abgeschottet und abgekoppelt hat von der Realität: Ist diese Entscheidung irgendwie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger?“ Der Bad Dürkheimer CDU-Abgeordnete Johannes Steiniger sorgt sich ebenfalls um den Zusammenhalt. Es sollten sich ab sofort alle in der Regierung „endlich am Riemen reißen“, sonst verstärke sich der Vertrauensverlust von Politik und die Spaltung der Gesellschaft, die allerorten festzustellen sei. „Außerdem laufen uns die Mitglieder weg“, sorgt sich Steiniger. Die Reaktionen aus der Bevölkerung, die er bisher erhalten habe, seien „reines Kopfschütteln“.

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