Politik Leitartikel: Unberechenbar
Die neue italienische Regierung steht in den Startlöchern, und Europa
schaut skeptisch nach Rom. Mit den Populisten der „Fünf Sterne“ und
der Lega, die sich die Macht teilen, könnte der Ton rauer werden. Das Einzige, was sich derzeit in
Italien rasant wandelt, sind die
Ansichten der handelnden Politiker.
ist Chaos gewohnt. Vor allem, wenn es um Politik geht. Doch eine solche Verwirrung, wie sie die Regierungsbildung in den vergangenen Wochen hervorgebracht hat, ist auch den hartgesottenen Italienern neu. Ob Luigi Di Maio, der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, und sein Kompagnon, Matteo Salvini von der rechten Lega, das meinen, wenn sie versprechen, ihre Regierung werde etwas komplett Neues sein? Eine „Regierung des Wandels“ wolle man auf den Weg bringen, heißt es pathetisch. Ganz so bahnbrechend sind die Pläne allerdings nicht. Neu ist, dass die 65. Regierung Italiens, gerechnet seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, keinen Vertrauensvorschuss von den europäischen Partnern erhält. Ganz im Gegenteil: Skepsis und Nervosität prägen den Blick, mit dem aus Berlin und Brüssel nach Rom geschaut wird. Denn ob neu tatsächlich auch gut ist für die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, die mit einer Schuldenlast von 2300 Milliarden Euro zu kämpfen hat, stellen viele derzeit in Frage. Vor allem, seit der Koalitionsvertrag der in den Startlöchern stehenden Regierung auf dem Markt ist. Übrigens auch ein Novum in Italien, dass es einen solchen Vertrag gibt. Doch er ist nicht mehr als eine Absichtserklärung: Die Wahlversprechen wie Steuersenkung, Bürgereinkommen und ein niedrigeres Renteneintrittsalter sind enthalten. Konkretisiert wird die Umsetzung der Vorhaben kaum. Auch die beiden Hauptakteure wissen wie viele Experten nicht, wie lange ihr Experiment dauern wird: Ihre Mehrheit im Senat ist nur hauchdünn. Gerade die Abgeordneten der Protestpartei „Fünf Sterne“ haben in der Vergangenheit schon zur Genüge gezeigt, was sie von Fraktionszwang halten – herzlich wenig. Di Maio und auch Salvini befinden sich daher eigentlich jetzt schon wieder im Wahlkampf für mögliche Neuwahlen und wollen vor allem ihre zentralen Themen prominent platzieren. Salvini möchte Innenminister werden, damit er die zahlreichen illegalen Migranten aus dem Land werfen kann. Finanziert werden soll das aus dem EU-Fonds, der bisher Geld für die Aufnahme von Flüchtlingen bereitstellte. Di Maio träumt von dem Posten an der Spitze des Superministeriums für Arbeit und Industrie. Das Wichtigste für ihn: mit der Einführung eines Bürgereinkommens sein Wahlversprechen umzusetzen. So werden sich die EU-Mitgliedstaaten auf zähe Diskussionen einstimmen müssen, insbesondere was die Themen Haushalt, Staatsverschuldung und Migration betrifft. Das wäre nun aber wahrhaftig nichts Neues. Schon die Vorgängerregierungen waren Weltmeister darin, die Ermahnungen aus Brüssel geflissentlich zu überhören. Die EU wiederum hat die Verhandlungen über den EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahre als Trumpf. EU-Hilfen wird auch ein von Populisten regiertes Italien weiterhin in Anspruch nehmen wollen. Ebenfalls ein alter Hut ist, dass kein Parteipolitiker das Land führen soll. In Ermangelung an eigenem geeigneten Personal einigten sich die Koalitionspartner auf den Juraprofessor Giuseppe Conte als Regierungschef. Ein weiterer Beweis dafür, dass das Einzige, was sich derzeit in Italien rasant wandelt, die Ansichten der handelnden Politiker sind: Fürchteten sie doch vor wenigen Tagen nichts mehr als eine Technokraten-Regierung. Die Gefahr, die von den bald in Rom regierenden Populisten ausgeht, liegt genau in dieser Unberechenbarkeit. Eine Gefahr auch für die Koalition selbst, die daran früh scheitern könnte.