Politik Leitartikel: Kaltschnäuziger Jungstar

Der Wahlkampf in Österreich hat gerade begonnen, doch scheint die Wahl bereits entschieden: Der konservative Jungspund Sebastian Kurz ist

unangefochtener Favorit. SPÖ-Kanzler Christian Kern agiert glücklos. Der Rechtspopulist Heinz-Christian Strache von der FPÖ inszeniert sich neuerdings als Staatsmann.

Die Parallelen sind frappierend. Bundeskanzler Christian Kern, Spitzenkandidat der österreichischen Sozialdemokraten (SPÖ), teilt das Schicksal seines deutschen Genossen Martin Schulz – zuerst von Partei und Medien hochgejubelt, dann in den Umfragen abgestürzt. Wie bei der SPD kommt auch bei der SPÖ der Wahlkampf nicht in Fahrt: Wie Schulz versucht auch Kern mit Inhalten zu punkten und findet das zündende Thema nicht, das den Trend noch vor dem Wahltag am 15. Oktober zu seinen Gunsten umkehrt. Kern hat vor allem einen entscheidenden Fehler gemacht: Er hat den neuen Chef der konservativen ÖVP, Sebastian Kurz, unterschätzt und zu spät als schärfsten Rivalen erkannt. Vor mehr als einem Jahr, als der ehemalige Bahnchef nach einer parteiinternen Krise als Quereinsteiger ins Kanzleramt kam, legte er ein umfassendes Reformkonzept vor, den berühmten Plan A, der Österreich für die Zukunft fit machen sollte. Doch dann kam Kurz, mittlerweile 31 Jahre alt: In einer putschartigen Inszenierung übernahm er die in Umfragen immer tiefer absinkende ÖVP und ließ kaltschnäuzig die rot-schwarze Koalition platzen, um über Neuwahlen unbelastet seinen Marsch ins Kanzleramt anzutreten. Seit rund einem halben Jahr liegt die SPÖ deutlich hinter der ÖVP, nach neuester Prognose um sieben Prozentpunkte. In der Kanzlerfrage liegt Kurz sogar mit zwölf Prozentpunkten vor Kern (37:25). Es hat die SPÖ völlig überrascht, dass sie mit der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei (FPÖ) um Platz zwei kämpfen muss. Kern nahm der politische Alltag voll in Anspruch; und statt eine Strategie auszuhecken, verhakten sich die SPÖ-Flügel in eine Debatte, ob man die FPÖ weiterhin ausgrenzen oder deren Chef Heinz-Christian Strache nicht doch als potenziellen Partner umwerben solle. Die Sozialdemokraten finden dazu keine Antwort. Mit dem Thema „Mehr soziale Gerechtigkeit“ glaubte die Kern-Truppe, das zündende Thema gefunden zu haben. Der dazu ersonnene Wahlslogan, „Holt euch, was euch zusteht“, geriet dann doch zu platt und wird eher als Aufforderung zur Plünderung der Staates gedeutet. Hingegen schaffte der charismatische Kurz seinen bisherigen Höhenflug ganz ohne Parteiprogramm – das will er erst vor der Wahl präsentieren – und mit einem einzigen Themenkomplex, wofür ihm das Außenministerium die passende Bühne bereitet: Migration und Sicherheit. Die FPÖ sieht hilflos zu, wie sich Kurz ihres vermeintlichen Monopols bemächtigt. Er scheint auch keinerlei Skrupel zu haben, deren umstrittene Positionen zu übernehmen, etwa ausländischen Arbeitnehmern die Kinderbeihilfe zu kürzen. Obwohl mit seinen 31 Jahren ein politischer Jungstar, ist Kurz dennoch das dienstälteste Mitglied der österreichischen Regierung. Schon mit spätpubertären 24 war er Staatssekretär für Integrationsfragen, mit 27 Außenminister. Umfragen bestätigen dem ÖVP-Mann, dass die Mehrheit der Österreicher ihm glaubt, das Land verändern und festgefahrene Strukturen aufbrechen zu wollen. Auch diese Rolle nahm bislang die FPÖ für sich in Anspruch. Der mittlerweile 48-jährige Strache hat eingesehen, dass er für einen Politrebellen zu alt aussieht, insbesondere im Vergleich zum Jungspund Kurz. Strache spielt daher auf Staatsmann, er möchte die langjährige Oppositionspartei endlich in eine Koalition einbringen. Kurz hätte wohl keinerlei Scheu, mit der Strache-Partei zu koalieren.

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