Politik Leitartikel: Frustrierte Italiener
Am Sonntag wird Italiens Parlament neu gewählt. Viele Italiener haben das Gefühl, nur dem kleineren Übel ihre Stimme geben zu können. Eine klare Mehrheit für eines der politischen Lager zeichnet sich nicht ab. Statt Spendierlaune braucht die drittgrößte Volkswirtschaft der
Eurozone vor allem Stabilität.
Für die Italiener ist die anstehende Wahl in ihrem Land nur eines: frustrierend. Man werde wohl „Male Minore“ wählen, heißt es von vielen, das kleinere Übel also. Aber was das genau sein soll? Das weiß auch keiner. Viele Italiener setzen ihre Hoffnung auf die Fünf-Sterne-Bewegung. Sie schätzen vor allem, dass diese sich weder links noch rechts verorten will. Damit ist sie aber auch wenig berechenbar. Aber immerhin hat die Bewegung den anderen politischen Kräften eines voraus: einen echten Spitzenkandidaten. Der 31-Jährige Luigi di Maio ist das komplette Gegenteil von Gründer Beppe Grillo. Er soll für die Wandlung der Bewegung hin zu einer seriösen Partei stehen. Auch von der einstigen Kernforderung, dem Ausstieg aus dem Euro, hat sich die Partei in ihrem Wahlprogramm verabschiedet. Geschadet hat der Imagewandel nicht: Zwischen 27 und 28 Prozent erreichen die Fünf Sterne in den Umfragen und sind damit seit Monaten die stärkste Partei. Aber zum Regieren fehlt der Bewegung neben weiteren Prozenten auch fähiges Personal. Das hätte der Partito Democratico zu bieten. Für Italien ungewohnt leise und besonnen führt Paolo Gentiloni seit 15 Monaten als Ministerpräsident die Geschicke des Landes. Auch Innenminister Marco Minniti hat in der Flüchtlingskrise Weitblick und Handlungsfähigkeit bewiesen. Doch die Sozialdemokraten ignorieren die Beliebtheitswerte ihres Führungspersonals und gehen lieber ohne eine Spitzenkandidaten ins Rennen. Parteichef Matteo Renzi, der Ende 2016 nach seinem verlorenen Verfassungsreferendum vom Amt des Ministerpräsidenten zurückgetreten war, wird von vielen Italienern als arrogant und machtversessen eingeschätzt. Mit Renzi als Gesicht der Wahlkampagne hat der PD nicht nur die eigenen Flügel sondern auch immer mehr Wählerstimmen verloren. An Skurrilität nicht zu überbieten ist die Wiederkehr des Silvio Berlusconi. Was Berlusconi mit seiner Forza Italia im Wahlkampf verbreitet, ist nur noch mit dem Wort Wählertäuschung treffend zu beschreiben. Auf dem Logo, mit dem die Partei Wahlkampf macht, prangt in großen Buchstaben der Slogan „Berlusconi Presidente“. Dass Berlusconi wegen Steuerhinterziehung verurteilt ist und daher bis Ende 2019 kein politisches Amt innehaben darf – wen interessiert’s? Das Mitte-Rechts-Bündnis aus Berlusconis Forza Italia, der rechten Lega und den noch rechteren Fratelli d’Italia liegt in den Umfragen derzeit bei 35 bis 37 Prozent und ist damit das stärkste politische Lager. Während der eurokritische Lega-Chef Matteo Salvini vor allem gegen Ausländer und Europa hetzt, verspricht der Cavalliere Berlusconi den Wählern wie eh und je das Blaue vom Himmel. Doch wenn Italien eines im Moment braucht, dann ist es Stabilität statt Spendierlaune. Zwar konnte in den vergangenen Jahren einiges auf den Weg gebracht werden: Die Arbeitslosigkeit liegt heute bei 10,8 Prozent und ist damit so niedrig wie seit 2012 nicht mehr. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 1,5 Prozent. Aber noch immer ächzt die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone unter einem Staatsdefizit von fast 133 Prozent. Bewahrheiten sich die Umfragen, wird das Land nach der Wahl vor einer politischen Pattsituation stehen. Eine Art große Koalition stünde auch Italien ins Haus. Dabei wäre eine Gentiloni-II-Regierung, gestützt von Forza Italia, Partito Democratico und ein paar anderen nicht das Schlimmste, was Italien und Europa passieren könnte.