Politik Leitartikel: Die Zeit arbeitet für Putin

In den Regionen Donezk und Lugansk bewegt sich gar nichts mehr – weder diplomatisch noch militärisch. Und es gibt wieder mehr Tote. Jeder Tag, der vergeht, festigt Russlands Einfluss in der Ostukraine wie auch auf der Krim. Die neuen US-Sanktionen

gegen Moskau treiben einen Keil zwischen Europäer und Amerikaner.

Auch wenn es nur wenige registrieren: Es wird immer noch gestorben im Osten der Ukraine. Der Regierung in Kiew zufolge verloren allein in der letzten Julihälfte 20 ukrainische Soldaten ihr Leben. Seit Beginn des Konflikts im Frühjahr 2014 sind schon mehr als 10.000 Menschen dort ums Leben gekommen: Zivilisten und prorussische Separatisten, ukrainische Freiwillige und Regierungssoldaten sowie Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Dieser nie erklärte Krieg in Europa ist zum „frozen conflict“, zum „eingefrorenen Krieg“ geworden. Es gibt kaum noch Bewegung – weder militärisch noch diplomatisch. Die OSZE-Beobachter müssen hilflos zuschauen. Die Konfliktparteien ignorieren seit fast zwei Jahren mehr und mehr die Bedingungen des unter Vermittlung Frankreichs und Deutschlands ausgehandelten Friedensplans. Die schweren Waffen wurden nicht von der Front abgezogen, in den Separatisten-„Republiken“ gab es bisher weder Wahlen, die internationalen Standards genügen, noch hat macht die Regierung in Kiew Anstalten, den Regionen eine gewisse Autonomie zu gewähren. Die verschärften US-Sanktionen gegenüber Russland, dessen Regierung als Drahtzieher oder zumindest als „Schutzmacht“ der Separatisten gilt, werden den Konflikt aber in keiner Weise entschärfen. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Maßnahmen treiben einen Keil zwischen Amerikaner und Europäer. Denn Europa und allen voran Deutschland sind gerade auf dem Energiesektor eng mit Russland verzahnt. Nun drohen Firmen, die in Kooperation mit Moskau Erdgas nach Deutschland oder in andere EU-Staaten importieren, Sanktionen aus Washington. Die Amerikaner wollen den russischen Einfluss auf dem europäischen Energiemarkt zurückdrängen – um dann selbst diese Lücke zu füllen. Ganz im Sinne von Trumps „America first“-Politik. Das gibt Washington offen zu. Vertreter der EU wie auch Außenminister Sigmar Gabriel werfen den USA deshalb vor, hier politische und wirtschaftliche Interessen in unzulässiger Weise zu vermischen. Von einer gemeinsamen Strategie der USA und der EU gegenüber Russland ist bezüglich des Ukraine-Konflikts nicht mehr viel zu erkennen. Lachender Dritte in diesem Streit ist Russlands Präsident Wladimir Putin. Der braucht erst mal nur abzuwarten. Jeder Tag, der vergeht, festigt den russischen Einfluss in den Regionen Donezk und Lugansk wie auch auf der 2014 von Russland annektierten Krim. Damit verringert sich Wahrscheinlichkeit, dass diese Gebiete wieder ins ukrainische Staatsgebiet integriert werden können, wie es in Kiew Präsident Petro Poroschenko nicht müde wird zu fordern. Dieser ist allerdings nicht ganz unschuldig daran, dass Deutschland und die EU die Interessen der Ukraine gegenüber Russland inzwischen wohl eher aus Pflichtgefühl, denn aus tiefstem Herzen verteidigen. Trotz des beeindruckenden Bekenntnisses zu Demokratie und Europa, das die Maidan-Bewegung im Protest-Winter 2013/2014 ablegte, befindet sich die Ukraine bis heute in den Fängen von Oligarchen und Korruption. Der Dauerkrieg im Osten hat nicht nur die Staatsfinanzen ruiniert, auch auf dem Weg zu einer liberalen Demokratie ist das Land nicht vorangekommen. Im Gegenteil. Der Druck auf politisch Unliebsame und kritische Medien steigt. Und nicht wenige der Maidan-Aktivisten haben sich inzwischen frustriert von der Politik abgewandt. Auch hier arbeitet die Zeit unaufhaltsam gegen die Ukraine.

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