Politik Leitartikel: Der Schluchz-Effekt

Es ist ehrenwert, für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen.

Aber die SPD verfehlt damit das, was die Menschen derzeit umtreibt.

Mehr als soziale Sicherheit erwarten sie innere Sicherheit. Man kann gute Wahlergebnisse

nicht planen. Man kann nur

gute Wahlkämpfe planen.

Es gab einmal einen Plan bei der SPD. Entstanden ist er in jenen Tagen, als die Partei das Gefühl hatte, gerade alles richtig zu machen. Damals wurde einer der ihren zum Bundespräsidenten gewählt. Und der bei den Wählern wenig gelittene Parteichef verzichtete auf Amt und Kanzlerkandidatur zugunsten eines beliebten Europapolitikers. Alles passte zusammen, alles schien möglich, sogar die Kanzlerschaft. Der Plan ging so: Erst holen wir das Saarland, dann bestätigen uns die Wähler in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Der zweite Teil des Plans waren Koalitionen von so unterschiedlicher Art, dass die Partei als patent und für jedermann wählbar erscheinen sollte: Mit den Linken im Saarland, mit den Grünen in Schleswig-Holstein und mit der FDP in Nordrhein-Westfalen. Es gab nur einen Punkt, den die SPD übersah: Man kann gute Wahlergebnisse nicht planen. Man kann nur gute Wahlkämpfe planen. Heute weiß die SPD, dass ihre Wahlkämpfe nicht gut waren, dass sie auf den Hype vertraut hat, statt sich den Realitäten zu widmen. Der Schmerz des Verlustes wirkt deshalb besonders stark, weil die Fallhöhe so riesig ist. Martin Schulz beflügelte seine Partei, gab ihr den Siegeswillen zurück und lässt – noch immer – die Umfragen besser aussehen als unter Sigmar Gabriel. Doch nach drei Niederlagen bei den Landtagswahlen muss der Parteichef erkennen, dass der Plan der SPD nicht aufgegangen ist, nicht an einer einzigen Stelle. In den drei Ländern werden künftig CDU-Regierungschefs das Sagen haben. Das sind erstaunlicherweise Politiker, die alles andere als Volkstribune sind, die unaufdringlich auftreten und wohl deswegen von der SPD lange unterschätzt wurden. Die Schuld an dem Dreifach-Debakel schieben die Genossen auf die jeweiligen Landespolitiker ab, wenn diese nicht gleich selbst das Büßerhemd überstreifen, wie Hannelore Kraft es am Sonntag tat. Dabei haben erste Wahlanalysen gezeigt, dass beispielsweise die CDU an der Küste vor allem wegen Merkel gewählt wurde, dass also der Bundestrend die Wahl mitentschieden hat. Die Kanzlerin, die noch vor wenigen Wochen als Auslaufmodell dargestellt wurde, verkörpert in ihrer Bedachtsamkeit und Abgeklärtheit jenen Typus von Führungskraft, den sich die Deutschen in einer unüberschaubaren Weltlage wünschen. Trump, Erdogan, Putin und Brexit verunsichern die Menschen ebenso wie der Befund, dass die Gewaltkriminalität steigt, die Anzahl der Wohnungseinbrüche hoch ist, und es weiterhin eine latente Gefahr von Anschlägen gibt. Wer von solchen Sorgen hört, muss handeln. Wer aber wie Schulz glaubt, sich an der Agenda 2010 abarbeiten zu müssen, hat gerade präzise das Thema verfehlt. Hinzu kommt, dass es den Deutschen wirtschaftlich gut geht – übrigens auch dank der Agenda-Politik. Richtig: Es gibt Jobs, die skandalös unterbezahlt sind. Dass der Niedriglohnsektor einer ist, auf den man in Deutschland nicht stolz sein sollte – auch richtig. Aber es ist schon komisch, wenn das eine Partei feststellt, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten gut 15 Jahre lang in Regierungsverantwortung stand. Die SPD hat hier ein Glaubwürdigkeitsproblem. Und wie schon beim Mindestlohn im Wahlkampf 2013 kann die Partei mit ehrenwerten, aber nachrangigen Themen wenig gewinnen: Mindestlohn betraf nur wenige persönlich, und von denen sympathisierten viele mit der Linkspartei. Erneut ist die SPD also in ihrem klassischen Dilemma gefangen: Will sie Wähler in der Mitte oder links gewinnen? Sie muss sich entscheiden. Beides geht nicht.

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