Politik Leitartikel: Der italienische Patient
Im Konflikt mit der Regierung in Rom um die Neuverschuldung darf die EU nicht nachgeben. Denn hoch verschuldeten Ländern wie Italien drohen neue Belastungen, wenn die Phase der niedrigen Zinsen zu Ende geht. Deutschland hebt sich positiv ab: Es dürfte gelingen, die Schuldenquote unter 60 Prozent zu drücken.
Der Konflikt mit der italienischen Regierung hat das Zeug, Europa weiter zu schwächen. Nur vordergründig geht es um die Frage, ob die populistische Regierung in Rom die Neuverschuldung stärker ausweiten darf, als dies die Vorgängerregierung vorgesehen hat. Rom argumentiert, dass es mit dem geplanten Defizit von 2,4 Prozent nach wie vor unter der Maastricht-Grenze bleibt, laut der die Neuverschuldung nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen darf. Aber dies sollte niemanden beruhigen, denn die Gesamtverschuldung Italiens zählt zu den höchsten in der Eurozone. Nur mit einem Abbau des Defizits besteht die Chance, vom hohen Schuldenberg herunterzukommen. Dazu ist Rom nach dem Europäischen Stabilitätspakt auch verpflichtet – doch die aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtsorientierten Lega zusammengesetzte Regierung schert sich nicht drum. Welchen Schaden dies anrichtet, ist derzeit auf der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds in Bali zu beobachten. Vor allem angelsächsische Finanzakteure spekulieren schon darauf, dass Italien die Eurozone in schwere Turbulenzen bringen könnte. Das erscheint aus jetziger Sicht übertrieben, dennoch sind die Risiken ernst zu nehmen. Der Konflikt offenbart, dass sich die derzeitige Regierung in Rom über die Regeln in Europa hinwegsetzt. Es ist die Aufgabe der EU-Kommission als Hüterin der Verträge, die Regeln durchzusetzen. Italien muss sich an den europäischen Stabilitätspakt halten, der den Abbau der Gesamtverschuldung vorsieht. Dass auch andere Mitgliedstaaten es mit dieser Vorschrift nicht so genau nehmen, macht die Sache nicht leichter. In dem Konflikt mit Rom liegt große Sprengkraft: Bis zum Jahresende wollen sich die Mitgliedstaaten über die Reform der Eurozone einig sein. Vorgesehen war, den europäischen Rettungsfonds ESM zum Europäischen Währungsfonds fortzuentwickeln. Auch bei der europäischen Bankenunion wollen die Euroländer weiterkommen. Doch dafür ist Einstimmigkeit im EU-Rat erforderlich. Italien könnte sich querzustellen, um Entgegenkommen beim Haushalt zu erreichen. Die EU sollte hart bleiben. Wenn sich ein Mitgliedsland nicht an wichtige Fiskalregeln hält, darf dem Europa nicht nachgeben. Immer klarer zeigen sich nun die schädlichen Nebenwirkungen der Niedrigzinspolitik. Die Europäische Zentralbank hatte sich zum Ziel gesetzt, mit der Nullzinspolitik den Euroländern Zeit für Reformen zu verschaffen. Abgesehen von den Ländern mit Hilfsprogrammen ist aber wenig passiert. Spanien, Griechenland und Zypern waren auf Mittel aus dem Rettungsfonds ESM angewiesen und mussten den Staatsapparat und ihre Bankensysteme reformieren. Dort ist einiges in Bewegung geraten. Das sieht in den großen Euroländern Frankreich und Italien ganz anders aus. Mit der Normalisierung der Geldpolitik droht ein erneuter Belastungstest. Die Zeiten, in denen die Staaten für wenig Geld neue Kredite aufnehmen konnten, neigen sich dem Ende zu. In den USA sind die Kapitalmarktzinsen schon deutlich gestiegen. Jetzt rächt sich, dass sich die Staaten zu lange auf die billigen Zinsen verlassen haben. Deutschland hebt sich in diesem Punkt positiv ab. Der Bundesregierung wird es wohl bis Jahresende gelingen, die Schuldenquote auf unter 60 Prozent des Sozialprodukts zu drücken und damit die Maastricht-Obergrenze einzuhalten. Das ist ein Erfolg. Denn es geht um nichts weniger als den finanzpolitischen Spielraum für die Zukunft.