Politik Leitartikel: Beängstigende Aussichten
Der Streit zwischen Paris und Rom gibt einen Vorgeschmack auf mögliche zukünftige Auseinandersetzungen in der Europäischen Union. Macron ist die perfekte Zielscheibe für Populisten: Er ist proeuropäisch und Vertreter der politischen Elite.
Der Zwist zwischen Frankreich und Italien ist weit mehr als nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei benachbarten Staaten. Diese Auseinandersetzung bietet einen beängstigenden Blick in die Zukunft Europas, sollten Populismus und Nationalismus in der Europäischen Union weiter um sich greifen. Dass Paris seinen Botschafter aus Rom zu einer „Besprechung“ zurückbeordert hat, ist nur der vorerst letzte Akt in einem diplomatischen Schauspiel, wie es die EU seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat. Vorangegangen sind diesem Schritt beispiellose Provokationen aus Italien.
Italienischer Affront
Es ist ein Affront, wenn der italienische Vizepremier und Vertreter der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung Luigi Di Maio vergangene Woche in einem Vorort von Paris Vertreter eines radikalen Flügels der französischen „Gelbwesten“ trifft. Christophe Chalencon, ein charismatischer Wortführer der „Gilets Jaunes“, fordert offen den Sturz der Regierung von Präsident Emmanuel Macron und die Machtübernahme der Armee in Frankreich. Damit noch nicht genug: Schon Anfang dieses Jahres hatte Luigi Di Maio dem französischen Staatschef vorgeworfen, Frankreich verhalte sich noch immer wie eine Kolonialmacht und fördere die Flüchtlingsströme aus Afrika. Auch der italienische Innenminister und Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, beschimpfte Macron öffentlich als „fürchterlichen Präsidenten.“ Zugegeben, Italiens Regierungsspitze kann Macron politisch einiges vorwerfen. Der französische Präsident bezeichnet die Populisten in Europa als „Pest“ und lässt – entgegen einiger Zusagen – an der italienisch-französischen Grenze Flüchtlinge ohne Rücksicht auf den Nachbarn abschieben. Das muss offen angesprochen werden. Doch was die Vertreter der römischen Regierung sich leisten, sind keine diplomatischen Fehltritte, das sind verantwortungslose Einmischungen einer fremden Regierung in die Innenpolitik eines benachbarten Staates.
Politische Gegner werden als Feinde wahrgenommen
Dabei beschreiten die italienischen Populisten nun in der Außenpolitik den Weg, der sie in der Innenpolitik an die Macht gebracht hat. Politische Gegner werden als Feinde wahrgenommen, die es zu zerstören gilt. Zum Handwerkszeug der Populisten gehören Beleidigungen, Lügen und Diskreditierung. Emmanuel Macron ist in diesem Sinn die perfekte Zielscheibe: Er ist offensiv proeuropäisch und gilt vielen als arroganter Vertreter einer politischen Elite, die den Kontakt zum eigenen Volk verloren hat. Befeuert wird der italienisch-französische Streit von Seiten Roms allerdings noch aus einem andern Grund. Im Mai sind Wahlen zum Europaparlament, und die EU-Gegner in allen Ländern hoffen auf satte Gewinne. Längst knüpfen die Rechtspopulisten zu diesem Zweck europaweite Netzwerke. Die Verbindungen von Rom zur Rechtspopulistin Marine Le Pen in Frankreich oder auch zu rechtsnationalen Vertretern in Österreich, Polen, den Niederlanden und Deutschland sind längst gelegt. Die Regierung in Rom führt vor, wie Verhandlungen in Europa in Zukunft aussehen werden, sollten in mehreren Staaten der Europäischen Union Populisten das Ruder übernehmen. Das Ergebnis wäre eine egoistische und rücksichtslose Machtpolitik der einzelnen Staaten, bei der nicht das konstruktive Miteinander, sondern nur der eigene Sieg zählt. Es wäre ein großes Hauen und Stechen, das am Ende nur Verlierer kennen würde.