Rätsel um Krawalle „Krawall-Tourismus“ macht Polizei zu schaffen

Nach Ausschreitungen an Pfingsten hatte die Stadt Heidelberg ein nächtliches Aufenthaltsverbot auf der Neckarwiese erlassen.
Nach Ausschreitungen an Pfingsten hatte die Stadt Heidelberg ein nächtliches Aufenthaltsverbot auf der Neckarwiese erlassen.

Sie kommen, um die Polizei zu provozieren und dabei bejubelt zu werden: Randalierer, die wohl vor Gleichaltrigen Eindruck schinden wollen. Das Phänomen habe seit Corona eine neue Qualität, sagen Beamte.

„Krawall-Tourismus“ macht der Polizei im Südwesten schwer zu schaffen. „Verabredung junger Menschen aus ganz Deutschland zur gemeinsamen Randale über soziale Medien ist ein eher neues Phänomen“, beschreibt es der designierte Mannheimer Polizeipräsident Siegfried Kollmar.

So seien an Pfingsten auf Krawall gebürstete junge Männer aus Südbaden und Rheinland-Pfalz auf die Heidelberger Neckarwiese gereist, um sich dort bewusst mit der Polizei anzulegen. Es habe sogar eine Anfrage aus Hamburg über soziale Medien gegeben, ob sich die lange Fahrt hinsichtlich der zu erwartenden Auseinandersetzungen lohne.

Auch Stuttgart ist ein Anziehungspunkt für junge Leute weit über den Großraum hinaus, die etwas erleben wollen, sei es im Guten oder Schlechten. Sie kommen aus dem Allgäu, der Bodenseeregion und dem Heilbronner Raum, weil es in den sozialen Medien heißt: „In Stuttgart geht was“, wie ein Sprecher der Polizei in Stuttgart erläuterte.

Sieben verletzte Polizisten

In den vergangenen Wochen war es in Baden-Württemberg immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen jungen Menschen und der Polizei gekommen. Größere Gruppen hatten etwa am Stuttgarter Schlossplatz oder auf der Heidelberger Neckarwiese und in Freiburg randaliert.

Kollmar sagte: „So ein Bedürfnis nach zielgerichteter Eskalation gab es vor Corona in dieser Form nicht, das ist eine neue Qualität.“ Früher mussten Beamte in Einzelfällen nächtliche Griller oder Gruppen mit Musikboxen zurechtweisen, aber Flaschenwürfe gegen die Polizei habe es dabei nicht gegeben. Bei dem Einsatz auf der Neckarwiese an Pfingsten waren sieben Beamte verletzt worden.

Die Gemengelage ist nach Einschätzung Kollmars überdies schwierig, weil es auch zur Solidarisierung mit den Gewaltbereiten komme. Dadurch entstehe eine gewisse Gruppendynamik, die leicht außer Kontrolle gerate. Andererseits führe es bei Hunderten friedlich Feiernden zu Frust, wenn sie ebenso wie die vergleichsweise wenigen Unruhestifter die Lokalität verlassen müssten.

Er habe viel Verständnis für junge Menschen, die nach den Corona-Einschränkungen feiern wollten, sagte Kollmar. „Junge Leute dürfen schon mal über die Stränge schlagen, da überhören wir auch so manche Beleidigung. Aber wenn Sachbeschädigungen und Körperverletzungen dazu kommen, müssen wir eingreifen.“ Die These, die Polizei verursache solche Randale, hält er für „völlig falsch.“ Die Beamten reagierten bei solchen Vorfällen erst, wenn Straftaten bereits begangen werden oder sie kurz bevorstehen.

Gestiegene Alkoholpegel

Alkohol spiele bei den Auseinandersetzungen zwischen jungen Leuten und Polizei eine große Rolle. „Um 21 Uhr räumen wir die Wiese noch problemlos, zwei Stunden später ist das wegen zwischenzeitlich gestiegener Alkoholpegel weit schwieriger“, sagte der bisherige Stellvertreter von Andreas Stenger, der als Leiter des Landeskriminalamtes nach Stuttgart gegangen ist.

Wichtig sei bei jugendlichen Straftätern, dass eine Sanktion unmittelbar nach der Tat erfolge. „Wir brauchen mehr Erziehung, weniger Strafe“, sagte Kollmar. Stundenweise soziale Arbeit und Täter-Opfer-Ausgleich seien da die richtigen Instrumente. Zur Beschleunigung der Verfahren setzt sich Kollmar für ein Haus des Jugendrechts in Heidelberg ein, in dem Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe Tür an Tür arbeiten. Im kommenden Jahr könnte eine solche Institution in Heidelberg an den Start gehen. Bislang gibt es landesweit sieben davon.

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