Politik Interview: Grünen-Außenexpertin Franziska Brantner zur Libyenkrise

Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner.
Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner.

Nach der UN-Konferenz in Berlin und der UN-Sicherheitsratsresolution vom Mittwoch soll am Wochenende in München die Diplomatie zum Bürgerkrieg in Libyen weitergehen. Ilja Tüchter sprach darüber mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner. Die Heidelberger Politikerin war 2009 bis 2013 EU-Abgeordnete und ist jetzt Europapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Sie ist zudem Expertin für zivile Krisenprävention.

Frau Brantner, Sie haben Libyen nach dem Sturz von Diktator Gaddafi 2011 mehrfach besucht. Was hat Europa falsch gemacht, dass dort neun Jahre später immer noch Krieg herrscht?
Die Europäer haben nach der internationalen Intervention – die ja unter UN-Mandat geschah – leider den Fehler begangen, dass sie nicht an einem Strang gezogen und nicht den Wiederaufbau vorangetrieben haben. Jeder hat versucht, seine eigenen Schäfchen ins Trockene zu kriegen. Die Italiener mit Blick aufs Öl, die Briten und Franzosen beim Wiederaufbau der libyschen Armee und den Rüstungsexporten. Deutschland hat sich ganz herausgehalten, nachdem es sich im Sicherheitsrat enthalten hatte und nicht an der Mission beteiligt war. Das UN-Mandat zum Schutz der Bevölkerung vor Muammar al-Gaddafi war erfolgreich – das Prinzip „Verantwortung zu schützen“ hat gegriffen. Aber es gehört eben auch die „Verantwortung zum Wiederaufbau“ dazu. Das hat man sträflich vernachlässigt und Libyen sich schnell wieder selbst überlassen.

Der neue EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat vor der Berliner Konferenz einer bewaffneten EU-Mission das Wort geredet. Wie realistisch ist das und ist es überhaupt der richtige Ansatz?
Nun, wenn der Berliner diplomatische Prozess dazu führen sollte, dass es von der Waffenruhe zum echten Waffenstillstand kommt und jemand den überprüfen müsste, dann ist die internationale Gemeinschaft schon in der Pflicht, das dann auch zu organisieren. Leider sehen wir, dass sich seit Berlin nicht so wahnsinnig viel in diese Richtung bewegt hat. Wie so eine internationale Überprüfung dann aussieht, das muss dann konkret diskutiert werden. Aber es kann durchaus hilfreich sein, schon mal anzukündigen, dass man auch bereitstünde, Einigungen abzusichern.

In Berlin traten Kanzlerin Merkel und Präsident Macron als Schirmherren eines neuen diplomatischen Prozesses auf. Trügt der Schein nicht? Während Merkel sich vor allem um die Flüchtlingskrise Sorgen macht, scheint Macron doch vor allem geostrategische Interessen zu vertreten. Wobei es in dem ölreichen Land ja deutsche, französische und italienische Engagements gibt.
Nein, ich finde, dass der größte Erfolg in Berlin gar nicht war, dass da von der Türkei bis zu Russland alle internationalen Player in Libyen dabei waren, sondern dass die Europäer sich tatsächlich weitestgehend auf einen gemeinsamen Strang geeinigt hatten. Die Einsicht war: Dass es falsch ist, zuzuwarten, bis der Konflikt vor Ort ausgekämpft ist. Ich finde auch, dass diese gemeinsame Haltung zu bewahren und zu stärken, die große Herausforderung bleibt. Denn das spielt sich doch vor Europas Haustür ab, es geht uns zu allererst an. Man hat erkannt, dass die europäische Spaltung dazu geführt hatte, dass andere Kräfte wie die Türkei oder Russland das Sagen haben. Insgesamt gibt es dank Berlin schon Bewegung nach vorn, wie groß, das wird man in den nächsten Tagen und Wochen sehen.

Russland hat sich im UN-Sicherheitsrat enthalten. Es unterstützt gemeinsam mit den Emiraten und Ägypten den Rebellen-General Haftar, auch militärisch. Die Türkei wiederum hilft der Regierung in Tripolis. Das Waffenembargo bleibt somit der große Knackpunkt. Wie könnte Europa auf die Beteiligten Druck ausüben, sich an die Berliner Beschlüsse auch zu halten?
Das größte Risiko in Berlin war, dass man sich auf Papier auf etwas einigt, aber vor Ort alle einfach weitermachen. Dass man sich in zwei Jahren wieder trifft, sich bis dahin aber die Fronten verschoben haben. Das war ja die Putin’sche Strategie für Syrien: Man einigt sich auf eine Deeskalationszone, und die Menschen in dieser Zone wussten, „Oh, Gott, wir sind die nächsten, die bombardiert werden“. Was können die Europäer in Libyen besser machen? Ich finde, man muss die Fakten erstmal benennen.

Also öffentlich sagen, wer gegen das Waffenembargo verstößt?
Ja, genau. Namentlich. Man muss auch die Parallelen ziehen, zum Beispiel zu Syrien. Die Europäer haben durchaus Einfluss auf die Beteiligten: ob auf Präsident Erdogan oder auch auf die Emirate. Da müssen aber auch alle mitmachen. Man muss auch überlegen, welche Art von Sanktionen, beispielsweise finanzielle, wirtschaftliche, sinnvoll sind.

Die USA hätten sicher den Einfluss, zumindest die Emirate und Ägypten einzuhegen. Tun sie aber bisher nicht, oder?
Ich habe nicht den Eindruck, dass es Donald Trumps Priorität wäre, den Europäern vor ihrer Haustür zu helfen.

Also ist es nicht zu erwarten, dass an diesem Wochenende in München die Amerikaner eine größere Rolle spielen?
Die USA haben schon ein Interesse, dass die Dschihadisten, die zu Hunderten aus Syrien nach Libyen kommen, nicht von dort aus zu einer neuen internationalen Gefahr werden. Aber was die USA früher an Libyen interessiert hat, das Öl, das war einmal. Daher wird die US-Rolle hier begrenzt bleiben.

x