Fragen und Antworten Impfung von Kindern: Warum sie umstritten sind

Eine Impfempfehlung könnte es zunächst nur für chronisch kranke Kinder geben.
Eine Impfempfehlung könnte es zunächst nur für chronisch kranke Kinder geben.

Es ist ein heißes Eisen: Seit Tagen wird in Deutschland über Corona-Impfungen von Kindern und Jugendlichen diskutiert. Jetzt gibt es für einen der Impfstoffe von der EU-Arzneimittelbehörde für den Einsatz bei 12- bis 15-Jährigen grünes Licht. Doch es bleiben Fragen.

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat am Freitag den Weg frei gemacht für den Einsatz des Impfstoffs von Biontech/Pfizer bei Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 15 Jahren. Bisher gab es ihn in der Europäischen Union erst ab 16. Alle anderen Corona-Impfstoffe sind bisher nur für Erwachsene zugelassen. Am Donnerstag hatten Bund und Länder vereinbart, dass Kinder ab 12 vom 7. Juni an gegen Corona geimpft werden können. Experten der Ständigen Impfkommission (Stiko), deren Einschätzungen in Deutschland als medizinischer Standard gelten, zeigten sich bisher allerdings zurückhaltend. Dazu Fragen und Antworten.

Was ist bisher über den Kinder-Impfstoff bekannt?
Der Biontech/Pfizer-Impfstoff schützt auch 12- bis 15-Jährige sicher vor einer Covid-19-Erkrankung. Das zeigen jüngst veröffentlichte Daten, die bereits Grundlage für die Notfall-Zulassung des Impfstoffes in den USA in dieser Altersgruppe waren und die der EMA zur Zulassungsprüfung vorlagen. In der Studie trat demnach bei mehr als 1000 geimpften Kindern und Jugendlichen kein Covid-19-Fall auf - in der etwa gleichen großen, ungeimpften Kontrollgruppe waren es 16. Nach der Impfung sei es überwiegend allenfalls zu leichten Impfreaktionen wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen gekommen, schreiben die Wissenschaftler im „New England Journal of Medicine“.

Warum ist die Ständige Impfkommission (Stiko) trotzdem skeptisch?
Nur rund 1000 geimpfte Teenager und eine relativ kurze Beobachtungszeit, das ist der Stiko nicht genug. Seltene Nebenwirkungen wären in einer solchen Probandengruppe nicht zu entdecken – darauf wies nun auch die EMA hin. Der kindliche Organismus sei noch in Entwicklung, sagte Stiko-Mitglied Fred Zepp im ZDF. Was ein neues Impfkonzept wie mRNA-Impfungen da bewirke, könne man noch nicht wissen. Bei Erwachsenen stelle sich das Problem so nicht. Schriebe die Stiko jetzt in Euphorie vorschnell Impfungen vor, gehe sie ein Risiko ein. Das unabhängige Gremium wartet nun auf mehr Daten, etwa aus den USA, wo der Impfstoff seit Mai an 12- bis 15-Jährige verabreicht wird. Es geht um eine Prüfung zu Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit. Mehrere Stiko-Mitglieder ließen durchblicken, dass es auf eine Impfempfehlung zunächst nur für chronisch kranke Kinder hinauslaufen könnte.

Welche Bedeutung hat eine Stiko-Empfehlung?
Normalerweise ist eine Empfehlung des Gremiums entscheidend für Fragen der Haftung und der Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen. Anders in der Pandemie: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will Kinder und Jugendliche auch ohne allgemeine Stiko-Empfehlung in die Impfkampagne einbinden. In deren Rahmen werden die Kosten vom Bund übernommen, und im Fall von Impfschäden besteht laut Bundesgesundheitsministerium Anspruch auf Versorgung nach dem sozialen Entschädigungsrecht. Die Stiko gebe nur eine Empfehlung, sagte Spahn kürzlich in der Sendung „Frühstart“ bei RTL/ntv. „Im Lichte dieser Empfehlung können dann die Eltern mit ihren Kindern, den Ärztinnen und Ärzten die konkreten Entscheidungen treffen, ob jemand geimpft wird oder nicht.“ Dies sei eine individuelle Entscheidung.

Wie gefährdet sind Kinder und Teenager durch das Virus?
Für Mediziner geht es bei einer Impfung wie bei Erwachsenen zuerst um den individuellen Schutz - und erst dann um den Schutz der Gemeinschaft. Bei Kindern gilt das Selbstschutz-Argument nicht so stark wie bei Älteren: Sie erkranken deutlich seltener als Erwachsene an Covid-19 – sie können auch vereinzelt schwere Verläufe entwickeln. Bis 23. Mai sind nach Daten der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie knapp 1550 Kinder und Jugendliche mit Covid-19 ins Krankenhaus gekommen, davon waren 37 Prozent jünger als ein Jahr. Rund fünf Prozent dieser Kinder und Jugendlichen wurden auf einer Intensivstation behandelt, 0,3 Prozent starben an Covid-19.

Angenommen wird, dass ein erheblicher Teil der Infektionen ohne oder nur mit milden Krankheitsanzeichen verläuft. Der Virologe Christian Drosten hatte im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ kürzlich gesagt, dass eine Corona-Infektion möglicherweise bei Kindern aber nicht so harmlos sei wie teils in der Öffentlichkeit dargestellt. Noch wisse man nicht, wie es sei, wenn sich große Gruppen von Kindern ansteckten. Die Frage ist: Wie stark breitet sich das Virus bei ihnen aus, wenn Schulen nächsten Herbst und Winter offen gehalten werden?

Drohen Kindern auch Spätfolgen?
Sogenanntes Long Covid oder Post Covid, das teils auch erst Monate nach der Infektion auftritt oder sich verschlechtert, wird nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Minderjährigen beobachtet. Zu Dauer und Häufigkeit ist aber noch vieles unklar. An der Jenaer Kinderklinik etwa gibt es bereits eine Spezialambulanz. Es habe den Anschein, dass Langzeitfolgen bei Kindern eher aufträten als die akute Erkrankung, sagte Drosten.

Daneben gibt es ein Zusatzproblem: Das pädiatrische Multisystem-Inflammationssyndrom (PIMS), das eine Krankenhausbehandlung erfordert. Das sind Entzündungen, die Kinder etwa ab dem Grundschulalter bis zur Pubertät betreffen können. Die Datenlage zu der schweren Erkrankung Wochen nach einer akuten Infektion sei unklar, so Drosten. Zu befürchten sei, dass das Syndrom in einem von 1000 Fällen auftrete.

Lassen sich Kinder auch anders schützen?
Für Kinder unter zwölf Jahren rechnet Stiko-Mitglied Martin Terhardt ohnehin nicht vor Ende des Jahres mit einem zugelassenen Impfstoff. Auch die Immunisierung von Teenagern bis 16 Jahre werde dauern. Das muss aber kein Drama sein: „Die Impfung der Erwachsenen könnte den Ping-Pong-Effekt zwischen Schulen und Haushalten unterbrechen“, twitterte Virologe Drosten kürzlich mit Blick auf die Lage in Großbritannien und die dortige Entwicklung an Schulen. Auch regelmäßige Tests zweimal pro Woche leisteten dort bestimmt einen wichtigen Beitrag, hinzu komme eine weit gesenkte Wocheninzidenz. „Das ist wirklich ermutigend für den Schulbetrieb.“

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