Online-Kolumne Hört auf mich zu duzen, ihr Ziegenbärte!

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Man soll sich ja Neuem nicht verschließen, aber diese ständige Duzerei geht mir jetzt doch langsam ein bisschen auf die Erbse. An dem Ausdruck „auf die Erbse“ ist schon ablesbar, dass ich keine 16 mehr bin, ein Alter, in dem ungefragtes Duzen noch gerade so durchgehen mag. Also beim Geduzten, nicht beim Duzenden. Komisches Wort. Duzen. Sieht irgendwie englisch aus, und aus dem englischen Sprachraum kommt es ja auch, das Duzen. Siezen ist da nicht, gibt die Sprache nicht her, also: You can say you to me. Kalauer, ich weiß. Verzeihung.

Den Taschenknigge nicht immer dabei

Zurück zum Duzen. Auch wenn es vielleicht manchmal schwierig ist zu unterscheiden, wen man duzen kann und wen nicht, man hat ja nicht immer einen Taschenknigge dabei, sollte man es sich dennoch nicht zu bequem machen und einfach alle duzen, nur damit man nicht mal aus Versehen einen Sechsjährigen siezt. Er wird es einem nachsehen. Vielleicht sollte ich das auch, wenn ich das nächste Mal von einem hippen jungen Menschen geduzt werde.

„Bist du schon mal geklettert?“

So wie neulich im Kletterpark. Da bin ich wegen meiner Tochter hin, sie ist acht und war aus dem Häuschen, dass wir so was Cooles machen. Es ging dann auch gleich sehr cool los, als wir eingegurtet und angegürtelt, behelmt, behandschuht und mit Karabinerhaken gespickt wurden. „Bist du schon mal geklettert?“, fragte ein dort angestellter Jüngling mit Ziegenbart, und erst dachte ich, er redet mit meiner Tochter. Aber nein, er guckte mich an. Ich wurde nervös.

„Näää“

Ob ich schon mal geklettert bin? Nun ja, als Kind, doch, auf Bäume manchmal, wir wohnten am Waldrand, und einmal bin ich in Hausschuhen meinem großen Bruder hinterhergeklettert auf einen mordshohen Baum, und erst fiel ein Hausschuh, dann ich hinterher, es tat sauweh, ich war wütend und habe es irgendwie geschafft, meine Mutter glauben zu lassen, dass mein großer Bruder an allem Schuld war, und er kriegte einen Riesenärger, aber ob der Ziegenbart-Mann das alles wissen wollte? „Näää“, krächzte ich also, aber da gurtete er schon an jemand anderem rum, war wohl nur eine Pro-Forma-Frage.

Schwieriger Balance-Akt

Es ging dann auch irgendwie gar nicht ums Klettern, mehr so ums Balancieren auf mehr oder weniger schwankenden Brettern und Planken, Gewichtsverlagerungen spielten eine Rolle, Fehltritte konnte man sich leisten, denn runterfallen ging gar nicht, weil man ja angegurtet war. Die Schuhe blieben an den Füßen, es waren aber diesmal auch keine Hausschuhe. Das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass man irgendwo festsaß und nicht weiter kam oder – noch schlimmer – sich nicht weiter traute. Dann musste man laut „Rothelm!“ rufen und wurde von den lässigen jungen Leuten, die im Kletterpark arbeiten, aus dem Geäst gepflückt. „Bleib ganz ruhig, wir holen dich da runter“, riefen sie einem Herrn zu, der mit seinem Enkel dort oben rumkraxelt war und jetzt an einer Seilbahn in der Mitte durchhing. Auch dieser Mann, mutmaßlich noch älter als ich, protestierte nicht dagegen, geduzt zu werden. Gut, er hatte auch eine schlechte Verhandlungsposition, aber trotzdem.

Doris Day war gut

Was ist das bloß, dass man nicht mal laut sagt „Was soll das, mich einfach zu duzen, Sie Lümmel?!“ und dabei pikiert zu gucken wie einst Doris Day in ihren Empörungsszenen. Das wäre doch angebracht. Will man nicht alt wirken, wie die preußische Benimmtante rüberkommen, oder was ist da los? Arbeiten im Kletterpark etwa lauter Engländer und Amerikaner? Und wenn ja, warum reden sie dann mit saarländischem Akzent?

Kneipenwechsel

Ich kann mich noch gut erinnern, als ich das erste Mal in einer Kneipe gefragt wurde: „Was möchten Sie trinken?“ Das hat mich getroffen. Obwohl es nur korrekt und höflich war. Aber auch ein Zeichen dafür, dass ich mit den jugendlichen Bedienungen nun halt so gar nichts mehr zu tun hatte. Da musste man entweder schnell erwachsen werden oder schnell die Kneipe wechseln.

Jetzt könnte man sagen: Der kann man’s auch nicht recht machen. Ich weise aber darauf hin, dass der Kneipen-Eklat 20 Jahre her ist und ich mich inzwischen in die Erwachsenen-Rolle durchaus hineinfinden konnte. Deshalb, Ziegenbärte dieser Welt: Es heißt Sie! Zunächst mal. Und wenn ich dreimal nicht klettern kann.

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